21.11.2019

Praktika und Arbeitsstellen im Europäischen Solidaritätskorps: Zu den Pionieren gehören

Workshop-Phase. Teilnehmerinnen diskutieren untereinanderSeit 2018 gibt es das Format "Praktika und Arbeitsstellen im Europäischen Solidaritätskorps". Wie in der Pionier-Phase mit dem Format und seinen Herausforderungen umgegangen wird, darüber tauschten sich Anfang Oktober 20 Organisationen aus 13 Ländern in Berlin aus.

Das Hotel Rossi liegt im Berliner Stadtteil Moabit. Wenn man die Eingangshalle betritt, fällt einem erst beim genaueren Hinschauen auf, dass das Hotel etwas anders ist als andere: Hier kann der Frühstücksmanager gehörlos und der Kellner blind sein – denn das Hotel Rossi ist ein Inklusionshotel.

"Es ist egal, welche Form von Beeinträchtigung jemand mitbringt. Wir verfolgen die Philosophie, dass jeder, Schritt für Schritt, Tätigkeiten lernen kann – egal wie lang es dauert", berichtet Lars, Rezeptionschef des Inklusionshotels, das gleichzeitig auch ein Bildungs-, Ausbildungs- und Begegnungszentrum ist. "Menschen mit Beeinträchtigungen haben es in unserer Branche schwer, eine Ausbildung oder einen Job zu finden. Das würden wir gern ändern", betont er. Seit einem Jahr läuft der Hotelbetrieb mit 28 Zimmern.

Auf Augenhöhe miteinander arbeiten, sich solidarisch zeigen und jedem eine Chance geben – das Hotel bot den perfekten Rahmen für das Seminar "Traineeships and Jobs in the Solidarity Sector. A Networking and Support offer for European Solidarity Corps Organisations".

Praktika und Arbeitsstellen im Europäischen Solidaritätskorps

Denn eben diese Solidarität steht auch im Fokus des Formats "Praktika und Arbeitsstellen im Europäischen Solidaritätskorps (ESK)", das 2018 startete.

"Wir bieten mit dem Format Organisationen und Unternehmen die Chance, sich europäisch zu öffnen und Menschen aus anderen Ländern in ihre Teams hereinzuholen", erklärt Heike Zimmermann, Programmkoordinatorin für das Europäische Solidaritätskorps bei JUGEND für Europa.

Dies gelte für Organisationen und gemeinnützig arbeitende Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, wie der Kinder- und Jugendhilfe, dem Umweltbereich, der Sozialarbeit, der Behindertenhilfe sowie aus vielen weiteren gesellschaftlich relevanten Arbeitsfeldern.

Für junge, motivierte Menschen biete das Programm die Chance, Berufserfahrung in einem gemeinnützigen Bereich zu sammeln – und dies in einem anderen Land. Dabei können sie ihre Kompetenzen erweitern. Praktika im ESK dauern zwischen zwei und sechs Monaten. Geförderte Einsätze in Arbeitsstellen sind Vollzeittätigkeiten, die mindestens drei und höchstens zwölf Monate dauern dürfen. Eine große Hilfe bei der Suche sei das ESK-Portal (externer Link), bei dem sich Jugendliche und Organisationen bzw. Unternehmen gegenseitig finden können.

Warum sollten Organisationen einsteigen?

Oliver Borszik von der Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung e.V. erklärt, wie das neue Format im Europäischen Solidaritätskorps Organisationen darin unterstützen kann, sich interkulturell zu öffnen. Als Erstes gehe es darum, "sich auf die Ressourcen und nicht auf die Defizite eines möglichen neuen Mitarbeiters zu konzentrieren", sagt er. In sehr vielen Unternehmen sei die interkulturelle Öffnung noch nicht common sense. Die Aufnahme eines jungen Menschen über das Europäische Solidaritätskorps in das Unternehmen könne helfen, einen solchen Bewusstseinswandel zu starten.  

Vortrag Basics of Intercultural Opening von Oliver Borszik

In verschiedenen Szenarios lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars, wie wichtig es ist, sich Gedanken über die Ziele und Pflichten eines Einsatzes zu machen. Außerdem müssen die rechtlichen Bedingungen und Voraussetzungen in jedem Einzelfall genau geprüft werden, da diese in jedem Land unterschiedlich sind.

Bereits im Besitz eines Qualitätssiegels ist die Gemeinnützige Gesellschaft für Soziales in Hamburg. Die Einrichtung bietet sozialpädagogische und therapeutische Unterstützung für Kinder, Jugendliche, Familien, Menschen mit Behinderungen und Geflüchtete an. Sie betreut stationäre, teilstationäre und ambulante Angebote.

"Mit einer europäischen Arbeitskraft für den Bereich Sozialarbeit würden wir die Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen, mit denen wir hier arbeiten, sehr erweitern", sagt Milena Westermann von der Gesellschaft. Etwas schwierig sei, dass diese Arbeitskraft schon Deutschkenntnisse mitbringen und eine per Zeugnis nachgewiesene Fachkraft der Sozialarbeit sein müsse. "Wir hatten allerdings schon gute Gespräche und ich bin optimistisch, dass wir jemand passenden finden – vielleicht haben die anderen hier ja noch spezielle Tipps", hofft Westermann.

Auch Lena Scholz’ Organisation Arbeit und Leben Hamburg e.V. hat in diesem Jahr das Qualitätssiegel erhalten. "Wir haben Erfahrung aus dem Freiwilligendienst und würden das Programm gern als Chance für unsere Nachwuchskräfte in den Bereichen Umwelt, Kinderbetreuung und Pflege nutzen", berichtet sie. "Viele wollen gern ins Ausland gehen und wenn man gezielt darauf hinweist, dass dort etwas Spezielles gelernt werden kann, dann ist das noch mal attraktiver", sagt sie.

Das Programm sei auch für diejenigen interessant, die ihre Ausbildung abgebrochen haben oder wegen der Altersgrenze durch andere Programme durchfallen, sagt Scholz. Sie habe schon Kontakt zu Organisationen in einigen Ländern, sei aber noch auf der Suche nach anderen Partnern.

Die Fragezeichen aus dem Weg räumen

Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern gibt es viele Fragen zur Umsetzung des Formats. "Wir sind noch dabei zu lernen, wie das Programm im Unterschied zum Freiwilligendienst funktioniert und wo man geeignete Arbeitskräfte findet", sagt Tairi Lääts (Archimedes Youth Agency) aus Estland.  

"Für mich stellt sich die Frage, was Solidarität in dem Kontext genau bedeutet, denn bei uns sind viele qualifizierte Menschen nach Westeuropa ausgewandert, die uns jetzt am Arbeitsmarkt fehlen", erklärt Razvan Mihailescu (go Romania) aus Rumänien. Es sei schwierig, junge Menschen im Ausland anzusprechen, wenn die Löhne im eigenen Land sehr niedrig seien. "Das Programm könnte gleichzeitig aber auch ein großartiges Sprungbrett für junge Leute sein, Berufserfahrung im Ausland zu sammeln, um diese später in der Heimat sinnvoll einsetzen zu können", resümiert Mihailescu.

"Es ist klar: Momentan befinden wir uns in einer Pilotphase, weil viele Organisationen ausloten müssen, ob und wie das Format für sie Sinn ergibt", ordnet Heike Zimmermann ein. "Ich will Organisationen trotzdem unbedingt ermutigen, einzusteigen und das Qualitätssiegel zu beantragen. Nur so können sie das Potenzial dieses neuen Förderformats ausloten und vielleicht nach und nach ausbauen."

(Text und Fotos: Lisa Brüßler für JUGEND für Europa)

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Weiterführende Informationen

Link: Alle Förderinformationen zum Format "Praktika und Arbeitsstellen" im Europäischen Solidaritätskorps finden Sie auf unserer Programmseite www.solidaritaetskorps.de.

Die nächste Antragsrunde endet am 05.02.2020 um 12:00 Uhr.

Kontakt bei JUGEND für Europa: Malte Krumrey, Programmreferent, Tel.: 0228 9506-254, E-Mail: krumrey@jfemail.de

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