22.10.2016

Aachen – eine lebende Bibliothek

Freiwillige mit Schildern300 junge Menschen auf den Straßen Aachens. Das Motto: "20 Jahre Europäischer Freiwilligendienst – Europa will mit dir reden". Die jungen Freiwilligen verwandeln sich in Bücher, die Geschichten erzählen. Sie werden zu einer öffentlichen Bibliothek, in der Sprechen ausnahmsweise sehr erwünscht ist.

"Wusstest du, dass heißes Wasser gefriert wenn man es bei -35 Grad in die Luft wirft?", fragt Michelle den 18-jährigen Philipp aus Aachen. Weiß er natürlich nicht – lernt man vermutlich auch nur, wenn man einen Europäischen Freiwilligendienst (EFD) im finnischen Hinterland macht. Auf dem Plakat, das Michelle sich umgehängt hat, stehen Dinge wie: "Die spinnen, die Finnen". Der Azubi Sebastian lässt sich nicht irritieren. Er kann sich vorstellen, einen EFD dort zu machen: "Schweden, Finnland und England würden mich sehr interessieren für das nächste Jahr", sagt er. 

Auf dem Aachener Altmarkt versammelten sich am Freitagnachmittag 300 Teilnehmer des Europäischen Freiwilligendienstes aus dem In- und Ausland. Auf den EFD aufmerksam machen, ins Gespräch kommen, Vorurteile ausräumen – das war das Ziel.

Oder eben aber auch mal anecken: Auf dem provokanten Plakat von EDFler Cengiz stehen Dinge geschrieben wie "Die Türkei ist eine Diktatur" und "Frauen in der Türkei tragen alle Kopftücher". Natürlich blieb das nicht lange von türkischen Mitbürgern ignoriert – aber genau das wollte Cengiz erreichen: Ein Thema ansprechen, das oft sehr emotional gesehen wird. Cengiz war selbst bis Dezember 2015 sechs Monate mit dem EFD in der Türkei und hat in der größten türkischen Jugendorganisation gearbeitet – zudem hat er selbst türkische Wurzeln. 

Manchmal ist Europa auch undankbar

Kurz danach trifft Michelle auf einen älteren Herren: "Wissen Sie was?", sagt er, "wir feiern heute 20-jähriges Bestehen eines deutsch-französischen Freundschaftskreises – das ist doch ein schöner Zufall!" Andere Passanten geben dem Europadialog nur 30 Sekunden oder gehen – wenn sie nur "Europa" hören – gleich einen Schritt schneller. "Europa ist manchmal eben auch undankbar", sagt Marc, der mit dem EFD in Polen war. 

Auf den Plakaten der Freiwilligen stehen Vorurteile und Positionen wie "Berlin ist nicht Deutschland" oder "Bier ist günstiger als Wasser", "Wodka heißt Wässerchen, also ist es überlebenswichtig" aber auch "Was weißt du über Belarus?". Auf der Rückseite wird groß Werbung für den EFD gemacht – für alle Passanten, die sich im Vorbeigehen nochmals umdrehen, um zu schauen, wer denn da mit ihnen ein Speeddate mit Europa haben wollte.

Auch um Brexit geht es auf dem Marktplatz in Aachen: Luca war ein Jahr in London. "Am Anfang habe ich immer mal Gespräche in der U-Bahn verfolgt, in denen viele Leute sich nicht sicher waren über ihre Wahl. Kurz vor dem Referendum wurden dann aber sehr starke Kampagnen gefahren", erzählt er. Fünf Tage vor dem Brexit endete sein EFD  – erstaunt und geschockt war er schon über das "No" zur EU. "Man hat bei so einer Entscheidung eben auch gesehen, wie wichtig es ist, wählen zu gehen, sonst wird unsere Zukunft fremdbestimmt."

Durch den Brexit sei er noch mehr Europäer geworden, erzählt er. Was in den sozialen Netzwerken steht, sei eben auch nicht repräsentativ und das müsse man auch immer wieder sagen. Er vermisst London ein bisschen, ist viel herumgereist. Vorher habe er sich kaum Gedanken um kleinere Länder wie etwa Lettland gemacht, "jetzt bin ich viel interessierter daran und würde auch in ein nicht englischsprachiges Land gehen – das wollte ich vorher eigentlich nicht. Es muss nicht England und Englisch als Sprache sein, es geht mehr um die Erfahrung und auch die Einsatzstelle, in der man arbeitet", resümiert Luca.

 (Lisa Brüßler für JUGEND für Europa)

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