03.12.2012

"Es gibt so viel Potenzial – Jugendbeteiligung kann das hervorbringen"

Kerli Kängsepp (20) und Mirjam Laurimäe (18) aus Estland haben an dem internationalen Seminar "Re-Thinking Youth Participation" teilgenommen. Mirjam ist im letzten Schuljahr, Kerli studiert im zweiten Jahr "International Youthwork". Ein Gespräch über Jugendarbeit in Estland – und welche Ideen die beiden jetzt für die Zukunft haben.

Seid ihr selbst schon aktiv in der Jugendarbeit?

Kerli Kängsepp Kerli: Ich habe noch keine eigenen Projekte gestartet – deswegen bin ich auch hier, um Ideen zu bekommen, was ich machen kann beziehungsweise was andere Leute schon machen.

Mirjam: Seit ich zwölf bin, war ich bei den Pfadfindern und habe bei verschiedenen Organisationen mitgemacht. Eine davon ist die ESCU – Estonian School Students Councils' Union. Da war ich zum Beispiel im Kulturkomitee und habe Events mitorganisiert. Im Moment bin ich Mitglied im Jugendrat in Talinn. Das ist sehr aufregend, weil ich hier die Möglichkeit habe, mit dem Stadtrat zu reden. Wenn Jugendliche Probleme haben, sind wir die Schnittstelle zu den Politikern.

Warum wollt ihr euch in der Jugendarbeit engagieren?

Mirjam Laurimäe Mirjam: Ich bin Mitglied bei der Jugendorganisation der Liberalen. Im Moment gibt es eine Art Krise; die Menschen haben das Vertrauen in die Politik und in die Regierung verloren. Da hilft Reden – so wie ich das im Gespräch mit dem Stadtrat erlebe.

Kerli: Ich bin selber jung, deshalb habe ich das Gefühl, dass mich das etwas angeht. Ich habe eine Zeit lang in den Niederlanden gelebt und hatte den Eindruck, dass dort wirklich etwas passiert in der Jugendarbeit. Bei uns in Estland – da gibt es zwar Jugendzentren, das schon. Aber da sitzt man herum und das war's. Da könnte ich auch zu Hause vor dem Fernseher sitzen. Es gibt so viel Potenzial bei uns – und ich glaube, Jugendbeteiligung kann das hervorbringen. Man muss das Potenzial nur hervorkitzeln, ihm einen kleinen Stups geben, damit es zum Vorschein kommt.

Was glaubst du, warum passiert das nicht schon?

Kerli: Ich glaube, viele wissen einfach nicht Bescheid. Es gibt ja Fördermittel, es gibt Material, es gibt Räumlichkeiten – aber die Jugendlichen wissen das gar nicht. Und die Mitarbeiter in den Jugendzentren auch nicht. Oft sind sie um die vierzig, sind vielleicht eigentlich Köchin oder etwas Ähnliches, und arbeiten da, weil das ein ganz guter Job ist. Das kann natürlich gut laufen, aber ich habe den Eindruck, dass es auch schief gehen kann. Die Informationen dringen gar nicht bis zu diesen Mitarbeitern vor.

Mirjam: Das Gefühl habe ich auch.

Kerli: Ein Beispiel: Wir haben in meiner Heimatstadt einen Runden Tisch veranstaltet, mit den Schulen und den Jugendzentren aus der Gemeinde. Dabei kam heraus, dass die einen überhaupt nicht wissen, was die anderen eigentlich machen, und dass es auch keine Zusammenarbeit gibt. Das geht doch nicht. Und manchmal liegt das auch einfach an der Motivation. Selbst wenn Leute dann Informationen über etwas haben, ist immer noch die Frage, ob sie die wirklich weitergeben oder für ein Projekt nutzen – das könnte ja auch Zeit und Aufwand kosten... "Das war schon immer so, das brauchen wir jetzt nicht ändern", ist dann das Argument.

Hast du jetzt nach dem Seminar "Re-Thinking Youth Participation" selbst eine konkrete Idee, was du unternehmen könntest?

Kerli: Ja, ich habe eine Idee. Aber sie ist noch nicht spruchreif – deshalb möchte ich lieber noch nicht zu viel dazu sagen. (lacht) Es wird aber darum gehen, junge und ältere Menschen zusammenzubringen. Meine Heimatstadt, etwa 100 Kilometer von Talinn, ist eine kleine Stadt, aber die Leute kennen sich dort nicht besonders gut, glaube ich. So ein Projekt würde die Einwohner näher zusammenbringen.

Hast du dir auch schon überlegt, wie du das angehen wirst?

Kerli: Ich möchte auf jeden Fall mit dem Jugendzentrum zusammenarbeiten und werde als Erstes mit den Jugendarbeitern dort sprechen. Es ist ein riesiges Haus mit drei Geschossen. Jeden Tag sind dort etwa 50 Jugendliche, was für eine Kleinstadt von 2000 Einwohnern eine Menge ist. Ich sehe einfach, dass man dort etwas anfangen könnte – und ich glaube, die Jugendlichen würden mitmachen, wenn ihnen jemand einfach mal etwas Neues anbietet.

Mirjam: Es kommt auch immer sehr darauf an, wie alt die Jugendlichen sind, mit denen man zusammenarbeiten will. Wenn du in Estland ein Projekt mit Jüngeren anfangen möchtest, könntest du auch gut mit der Schülervertretung zusammenarbeiten.

Könnt ihr euch vorstellen, international mit anderen zusammenzuarbeiten?

Mirjam: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Es kommt drauf an, welches Thema es ist, aber ich würde gern mit Schweden zusammen ein Projekt machen.

Kerli: Ich würde gern mit Großbritannien zusammenarbeiten. Ich habe auf dem Seminar nur Gutes von der Jugendarbeit dort gehört.

Was nehmt ihr von dem Seminar mit nach Hause?

Kerli: Ich nehme sehr viel Inspiration mit. Hier wurden so viele gute Ideen entwickelt. Ich möchte nicht genau das Gleiche machen, aber ähnliche Sachen. Ich habe zum Beispiel noch einmal gemerkt, wie wichtig es ist, die Jugendlichen einer Gemeinde zusammenzubringen. Beim Kleinen anfangen, das ist es.

Mirjam: Ich habe so viele neue Kontakte geknüpft. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft ein Projekt zusammen machen. Und ich habe auch neue Ideen für den Jugendrat zu Hause, zum Beispiel einen Runden Tisch. Zu sehen, was andere möglich machen – das hat mich noch einmal so motiviert, auch etwas verändern zu wollen.

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Das Interview mit Kerli Kängsepp und Mirjam Laurimäe führte Anna Kohn während des Seminar "Re-Thinking Youth Participation" in Bonn. Einen Bericht zum Seminar finden Sie hier...

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