04.10.2015

EFD in Serbien - Zwischen Jugendarbeitslosigkeit und Flüchtlingstransit

"Viele serbische Jugendliche wohnen mit 30 Jahren noch bei ihren Eltern", erzählt Nicole Hoyer, die ihren Europäischen Freiwilligendienst von 2014 bis 2015 in Vranje, Südost-Serbien geleistet hat. "Das fand ich am Anfang ein wenig befremdlich, ich selbst bin ja schon 29. Aber mit der Zeit habe ich verstanden, dass sie einfach keine andere Möglichkeit haben."

Serbien zählt zu den Nationen mit dem höchsten Altersdurchschnitt in ganz Europa, beinahe jeder fünfte Einwohner ist über 65 Jahre alt. Dies könnte ein Grund sein, warum die Serbische Regierung denkbar wenig finanzielle Mittel zur Förderung der Jugend und Bildung zur Verfügung stellt: Es herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent. Dementsprechend resigniert sind die jungen Menschen.

Was führt dann also einen jungen Menschen aus Deutschland in dieses Land? "Ich hatte im April 2014 fertig studiert, Geografie, und wollte danach so schnell wie möglich irgendetwas machen. Mit diesem Studium ist es ja relativ schwer, einen Job zu finden, und da bin ich auf den Europäischen Freiwilligendienst gestoßen." Dass sie schließlich in Serbien gelandet ist, war eher Zufall, Nicole hatte sich für verschiedene Länder beworben. Als die Zusage von der Serbischen Organisation kam, fand sie den Gedanken, in einen Balkanstaat zu gehen, aber sofort interessant. Entsendet wurde sie von der Organisation Roter Baum e.V., Dresden.

Vorteile des Europäischen Freiwilligendienstes: in Serbien noch verkannt

"Ich habe meinen Freunden und Bekannten, die ich dann in Serbien hatte, immer erzählt, wie nützlich und sinnvoll ein Europäischer Freiwilligendienst ist. Meiner Meinung nach schärft er das persönliche Profil, wenn man noch nicht so genau weiß, wohin man im Leben will, er bringt Orientierung".

Nicole Hoyer spricht dabei nicht nur aus eigener Erfahrung als Europäische Freiwillige, sondern auch aus den Inhalten ihrer Arbeit in Vranje. Sie war in einer Jugendorganisation für die Koordinierung von Erasmus+ Projekten sowie für die Durchführung von Freiwilligen-Workshops und Deutschkursen zuständig. Sie hat viele der serbischen Jugendlichen in ihrem persönlichen Umfeld unter den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in Serbien leiden gesehen.

"Einige hatten richtige Depressionen. Dennoch konnte ich sie nicht davon überzeugen, das Land mal zu verlassen, um andere Eindrücke, neue Perspektiven zu gewinnen. Ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber viele junge Serben wollen nicht ins Ausland, hatte ich das Gefühl". Die Teilnehmendenzahlen ihrer Workshops seien nicht besonders hoch gewesen, erzählt Nicole, das Interesse an den Themen rund um die EU sind gering.

Das nicht kompromisslose Bekenntnis zur EU, obwohl Serbien seit 2012 offiziell den Status eines Beitrittskandidaten trägt, ließe sich womöglich noch immer durch ein Zugehörigkeitsgefühl zu Russland erklären. "Es gibt eine starke Spaltung in der Bevölkerung Serbiens zwischen EU-Befürwortern und Russland-Befürwortern", erzählt Nicole. Seine Unterstützung bei den Sanktionen der EU-Mitgliedsländer gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine hat Serbien verweigert. Diese ideologische Spaltung scheint tief in der Gesellschaft verwurzelt zu sein.

"Keiner der Flüchtlinge will in Serbien bleiben"

Hinzu kommt der Flüchtlingsstrom, der über die Grenze zu Mazedonien in die Stadt Presevo in Süd-Serbien führt. Hier versuchen die Flüchtlinge, so schnell wie möglich eine temporäre Registrierung zu bekommen, die ihnen erlaubt, binnen 72 Stunden das Land zu durchqueren und über die Grenze zu Kroatien in Richtung Mitteleuropa wieder zu verlassen. In der Realität gestaltet es sich dann aber doch nicht so einfach. "Wenn man bedenkt, dass die Grenze zu Ungarn nun ein Zaun bildet und an der Grenze zu Kroatien starke Grenzkontrollen stattfinden, so sind 72 Stunden nicht besonders viel", so Nicole.

"Tatsächlich will keiner der Flüchtlinge, die in Serbien ankommen, auch in Serbien bleiben. Ihre Situation ist prekär: Es gibt nur Zeltunterkünfte, die meisten Flüchtlinge leben auf der Straße, die medizinische Versorgung ist rudimentär und es gibt nicht genug sanitäre Einrichtungen", berichtet Nicole von ihren eigenen Eindrücken vor Ort. In Presevo existiert zwar eine starke Zivilgesellschaft, die die Flüchtlinge unterstützt – eine örtliche Jugendorganisation etwa, die Wasser und Decken für die Menschen organisiert – das ändert aber nichts daran, dass Serbien mit dem Flüchtlingstransit eigentlich nicht fertig wird."

Qualifikationen aus dem Freiwilligendienst eventuell hilfreich bei der Jobsuche

Wenn sie die Menschen in Vranje auch nicht vom Nutzen eines Europäischen Freiwilligendienstes überzeugen konnte, so hat Nicole Hoyer doch selbst um so mehr davon profitiert. "Mein Freiwilligendienst in Serbien hat mich in meiner ehrenamtlichen Arbeit bestärkt. Ich war bereits davor in einem Verein aktiv. Jetzt, nach meinem Freiwilligendienst, werde ich das auf jeden Fall weiter machen und mich zusätzlich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Vielleicht bringen mir die Qualifikationen und Erfahrungen aus dem Europäischen Freiwilligendienst auch was bei der Jobsuche. Auf jeden Fall bewerbe ich mich gerade auf Stellen in der internationalen Jugendarbeit und bei der Koordinierung von Freiwilligen-Projekten", so Nicole.

Babette Pohle für JUGEND für Europa
Bild: Davis Ausserhofer, Berlin

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