28.07.2022

Unterschiedliche Startbedingungen wirken sich kaum auf Lernergebnisse aus

SonderauswertungExploring Inclusion in Erasmus+ YOUTH IN ACTION: Effects of social inequalities on learning outcomes“ - Um die Wirkung der Projektteilnahme junger Menschen mit geringeren Chancen genauer zu beleuchten, wurden im Rahmen einer Sonderauswertung der RAY-MON Daten aus dem Befragungszeitraum 2017/2018 die Effekte sozialer Ungleichheit auf die Lernergebnisse von Teilnehmenden an Projekten in Erasmus+ JUGEND IN AKTION untersucht.

Wie die RAY-MON Studie zu Wirkungen und Ergebnissen des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION (2014-2020) zeigt, herrscht unter Fachkräften und Projektleitenden, die an Erasmus+-Projekten beteiligt sind, ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung von Inklusion und Vielfalt in der Programmumsetzung. Die Bereitschaft, jungen Menschen, die sich Hürden gegenübersehen, Zugänge zu europäischen Projekten zu verschaffen, scheint groß zu sein.

Die Teilnahme an Projekten der europäischen Jugendarbeit soll gerade auch für diese jungen Menschen mit geringeren Chancen einen Mehrwert bieten und ihnen neue (Lern-)Chancen und Perspektiven eröffnen. Laut der Strategie für Inklusion und Vielfalt für Erasmus+ und Europäisches Solidaritätskorps für die neue Programmgeneration 2021-2027 soll sie gar positive Veränderungen für Menschen mit geringeren Chancen und für die Gesellschaft herbeiführen.

Junge Menschen mit geringeren Chancen profitieren mindestens genauso sehr

Um die Wirkung der Projektteilnahme junger Menschen mit geringeren Chancen genauer zu beleuchten, wurden auf Grundlage der vorliegenden Daten der Sonderauswertung der RAY-MON Studie die Effekte sozialer Ungleichheit anhand von Merkmalen, wie Bildung, Zugang zu Arbeit und zu gesellschaftlicher und politischer Teilhabe, Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder einer migrierten Familie sowie vorherige Auslandserfahrung, auf die Lernergebnisse in den Blick genommen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Festlegung von Indikatoren für Ungleichheit bzw. Benachteiligung aus zwei Gründen schwierig war.

Zum einen war (und ist) das Konzept der „geringeren Chancen“ im Rahmen der EU-Jugendprogramme sehr weit und damit schwer in Indikatoren zu übersetzen. Das ist in der Praxis der Programmumsetzung sinnvoll, weil dadurch die individuellen Situationen und Hintergründe berücksichtigt werden können, insbesondere für die quantitative Forschung jedoch verständlicherweise eine Herausforderung. Des Weiteren fehlten für eine tiefergehende Einschätzung der sozio-ökonomischen Situation und weiterer Ungleichheitsdimensionen entsprechende Fragestellungen in der RAY-MON Studie.

Die Einschätzung der Lernerfolge erfolgte wiederum durch die Teilnehmenden selbst, und zwar in den Dimensionen aktive Teilhabe, Lernen und persönliche Entwicklung sowie interkulturelle Interaktion. Es handelte sich somit nicht um eine objektive Bewertung von Lernerfolgen.

Grundsätzlich deuten die Studienergebnisse stark darauf hin, dass junge Menschen, die aufgrund bestimmter Faktoren größeren Hürden gegenüberstehen als Gleichaltrige, mindestens genauso sehr von Projekten in Erasmus+ JUGEND IN AKTION profitierten wie andere Teilnehmende: Die Ungleichheitsmerkmale zeigten insgesamt kaum Einfluss auf die Lernergebnisse. Geringe Unterschiede waren zwar vorhanden, fielen allerdings kaum ins Gewicht.

Während die Selbsteinschätzung junger Menschen, die im Jahr vor der Projektteilnahme mindestens drei Monate lang arbeitslos waren, schlechtere Lernergebnisse im Vergleich zu den übrigen Teilnehmenden erkennen lassen, weisen die Ergebnisse für andere Ungleichheitsmerkmale sogar auf leicht bessere Lernerfolge junger Menschen mit schwierigeren Startbedingungen hin.

Dies gilt zum Beispiel für Teilnehmende, deren Eltern ein geringes Bildungsniveau aufwiesen, junge Menschen, die sich selbst Hürden beim Zugang zu Bildung oder bei der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe gegenübersahen, sowie für Teilnehmende ohne vorherige Auslandserfahrung. Letztere schätzen insbesondere ihre Erfolge in den Bereichen Lernen und persönliche Entwicklung höher als der Durchschnitt ein. Auch junge Menschen, die der zweiten Generation migrierter Familien angehören, scheinen bessere Lernergebnisse erzielt zu haben, während die Zugehörigkeit zu einer Minderheit keinen Einfluss auf die Lernergebnisse hatte.

Die Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, als sie dem im Bereich der formalen Bildung sowie anderen Gesellschaftsbereichen zu beobachtenden Matthäus-Effekt zuwiderlaufen, demzufolge Menschen mit besseren Startbedingungen auch stärker von Bildungsmaßnahmen profitieren. Insofern scheinen die non-formalen Bildungsformate der EU-Jugendprogramme tatsächlich besonders gut geeignet, um zum einen mit heterogenen Gruppen junger Menschen zu arbeiten und zum anderen junge Menschen mit schwierigeren Startbedingungen besonders zu fördern.

Fragestellungen für die Zukunft

Dass die Lernerfolge insgesamt stark vom Projektformat, dem pädagogischen Ansatz, den gewählten Methoden, der Projektgestaltung usw. abhängen, überrascht wiederum nicht. Die Autor*innen empfehlen weitere Untersuchungen dazu, welche dieser Gestaltungselemente sich im Rahmen der europäischen Jugendarbeit besonders positiv auf die Arbeit mit heterogenen Gruppen bzw. die Lernerfolge von jungen Menschen mit geringeren Chancen auswirken.

So könnten den Autor*innen zufolge die geringeren Lernerfolge der von Arbeitslosigkeit betroffenen jungen Menschen darauf hindeuten, dass die Projekte in der Regel nicht optimal auf diese Zielgruppe und ihre Bedürfnisse ausgerichtet seien. Dies unterstreicht noch einmal die Bedeutung, die der Einbeziehung von Fachkräften und Organisationen, z. B. aus der Jugendsozialarbeit, in die Programmumsetzung zukommt.

Grundsätzlich gibt es aus Praxis und Forschung bereits wertvolle Erfahrungen dazu, wie Lernumgebungen und -prozesse sowie Projekte inklusiv gestaltet werden können, nicht zuletzt aus einer Vielzahl einschlägiger Projekte der Erasmus+ Leitaktion 2. Darauf sollte bei entsprechenden Forschungsprojekten zurückgegriffen werden.

Die Autor*innen weisen außerdem darauf hin, dass bestimmte Faktoren nicht berücksichtigt werden konnten, die interessant für weitere Untersuchungen wären: So konnten keine Aussagen darüber getroffen werden, wie sich die Heterogenität von Projektgruppen auf die Lernergebnisse der Teilnehmenden auswirkt.

Um die Wirkung der EU-Jugendprogramme im Hinblick auf Ungleichheiten noch besser untersuchen zu können, empfehlen die Autor*innen weitere quantitative, aber auch qualitative Untersuchungen mit angepassten Indikatoren und Fragestellungen. Hierfür sollten nicht zuletzt die Befragungsmethoden selbst angepasst werden, da die recht umfangreiche Online-Befragung schon an sich eine Hürde darstellen kann. Entsprechende weiterführende Studien, welche die Teilnehmenden an Erasmus+-Projekten in ihrer Vielfalt mit ihren Erfahrungen und Lernerfolgen abbilden und die noch mehr Aufschluss über Gelingensfaktoren für eine inklusive Programmumsetzung geben, wären zu begrüßen.

Zur vollständigen Sonderauswertung auf der RAY-Seite

Mehr zum Thema Erasmus+ 2014-2020: großes Bewusstsein und Engagement für Inklusion und Vielfalt

Zum vollständigen RAY-MON Comparative Research Report 2014-2020 auf der RAY-Seite

Mehr zum RAY-MON Comparative Data Report 2014-2020

(JUGEND für Europa)