07.11.2016

Geflüchtete integrieren, einheimische Jugendliche vor Rechtspopulismus schützen: Strategische Partnerschaft "Integrationx2"

Logo von Integration mal 2Der verstärkte Zuzug von Geflüchteten nach Europa stellt die Jugendarbeit vor zwei Integrationserfordernisse: die Integration der neu ankommenden Jugendlichen in die Gesellschaften und die Integration der hier lebenden Jugendlichen, die drohen, in rassistische und nationalistische Ideologien abzurutschen.

Das Projekt "Integrationx2" – eine über die Leitaktion 2 geförderte Strategische Partnerschaft zwischen Trägern der Jugendhilfe aus Deutschland, Bulgarien, Italien und Spanien – widmet sich bis Juni 2018 genau dieser doppelten Integrationsaufgabe. Bewährte Methoden der Rassismusprävention, der Freiwilligenarbeit und der Erlebnispädagogik werden ausgetauscht und übertragbar gemacht.

Verteilungsängste begünstigen die Ausprägung von Rassismus

Das Problem ist nicht neu: Die Schere zwischen sehr gut ausgebildeten und privilegierten Jugendlichen und denen, die in mehrerlei Hinsicht benachteiligt werden, wird immer größer – auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Für die betroffenen Jugendlichen äußert sich diese Schere zum Beispiel in erschwerten Zugängen zu Bildung, Ausbildung und guten Jobs. Sie äußert sich aber auch in dem Gefühl, "von denen da oben" nicht gehört zu werden, in einer Art Machtlosigkeit.

Mit diesen Faktoren der Benachteiligung gehen häufig Verteilungsängste einher, die die Ausprägung von Rassismus begünstigen können. Neid und Hass führen dazu, dass krude Theorien von der angeblichen sozialen und finanziellen Übervorteilung der geflüchteten Menschen einen Nährboden finden.

"Rassistische Einstellungen spielen beim persönlichen Aufeinandertreffen plötzlich keine Rolle mehr"

Antragstellende Organisation für "Integrationx2" ist der Verein "Selbsthilfe Wohnprojekt Further Straße e.V." aus Chemnitz mit dem ihm angegliederten Jugendmedienzentrum "Bumerang". Seit fünf Jahren arbeitet die Diplom-Sozialgeografin und Projektkoordinatorin von "Integrationx2" Susanne Heydenreich bereits mit dem Jugendmedienzentrum im Rahmen verschiedener erlebnis- und medienpädagogischer Projekte zusammen.

Das Jugendmedienzentrum Bumerang liegt im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg, in dem vor allem Jugendliche aufwachsen, die in mehrerlei Hinsicht benachteiligt werden. Susanne Heydenreich beobachtet bei den Jugendlichen zumeist einen latent vorhandenen Rassismus. "Doch sobald, zum Beispiel auf Austauschfahrten, ein direkter Kontakt mit anderen Nationalitäten entsteht, haben wir interessanterweise festgestellt, dass die vermeintlichen Unterschiede zwischen unterschiedlichen Gruppen beim persönlichen Austausch keine Rolle mehr spielen", erzählt sie.

Dieses Potential wird vom Jugendmedienzentrum Bumerang genutzt. Mithilfe von interaktiven Stadtteilplänen, die die hier lebenden Jugendlichen und die neu angekommenen Jugendlichen gegenseitig füreinander entwickeln, soll die jeweils andere Sicht auf den Stadtteil dargelegt werden. "Die Jugendlichen, die hier aufgewachsen sind, werden in ihrer unterstützenden Rolle gestärkt, die neu angekommenen Jugendlichen zeigen, wie sie den Stadtteil wahrnehmen. Auf dieser Grundlage kommt es schließlich zum Austausch", so Heydenreich.

Sportangebote, Freiwilligenarbeit und Rassismusprävention – bewährte Methoden der Partnerorganisationen

Diese Erfahrungen in der Rassismusprävention, welche sich erlebnis- und medienpädagogischer Angebote bedient, will das Jugendmedienzentrum weitergeben. Eine Strategische Partnerschaft zum Austausch guter Praxis im Rahmen der Leitaktion 2 des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION bot sich an.

"Wir haben uns die internationalen Partnerorganisationen auf Grundlage dieser Projektidee gesucht, mit Hilfe des Partnersuch-Tools OTLAS von SALTO. Natürlich gab es viele unpassende Antworten auf unser Gesuch, doch die drei Partner, die nun beteiligt sind, sind auch wirklich an der Zusammenarbeit und dem fachlichen Austausch interessiert und bringen die notwendige Expertise  mit", erklärt Susanne Heydenreich.

In Haskovo, Bulgarien – Standort von "Hope Foundation/Europe Direct", einer der Partnerorganisationen  – ist das Stadtbild traditionell geprägt durch Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionen. Die Integration von hier ankommenden Geflüchteten steht vor einem anderen Problem: Bulgarien verfügt über keinen Integrationsplan für sie, das Land wird zudem von den Geflüchteten vor allem als Transitland gesehen, kaum jemand möchte seinen Asylantrag hier stellen. Vor diesem Hintergrund finden Geflüchtete wenig Zugang zur lokalen Gesellschaft. Die Hope Foundation/Europe Direct in Haskovo versucht, dem mit integrativen Sportangeboten zu begegnen.

Die italienische Stadt Tortona beherbergte, ähnlich wie Chemnitz, bisher kaum Menschen mit Migrationshintergrund. Erst in den vergangenen Monaten kamen hier einige hundert unbegleitete minderjährige Geflüchtete an, so dass unter den ortsansässigen Jugendlichen die Verteilungssorgen wuchsen. Die Stadt selbst hält derweil nicht ausreichend Integrationskurse vor, so dass die Integrationsarbeit vor allem von Freiwilligenorganisationen übernommen wird. "La Fenice", der dritte Projektpartner im Projekt "Integrationx2", ist eine dieser Organisationen – ein Verein für kulturelle Bildung und Partizipation. Er setzt auf Integration durch Freiwilligenarbeit.

Lorca, die spanische Partnerstadt, ist multikulturell geprägt, jedoch begegnet man hier einem Rassismus der verschiedenen Kulturen untereinander. Die Geflüchteten, die hier ankommen, sind lediglich eine weitere Gruppe, die mit diesem Rassismus konfrontiert wird. Die Partnerorganisation "Cazalla Intercultural", ein Verein für kulturelle Bildung und Demokratiepädagogik aus Lorca, hat eine Methode entwickelt, diesem "invisible racism", also dem Alltagsrassismus entgegenzuwirken.

Ähnliche Sachlage, unterschiedliche Traditionen – der Ansatz "Methodentausch"

Die Sachlage ist in den verschiedenen Partnerkommunen ähnlich: Neu ankommende, geflüchtete Jugendliche müssen in die Gesellschaften integriert, hier aufgewachsene Jugendliche davor bewahrt werden, Rassismus und Nationalismus auszubilden. Aber der Umgang mit dieser Sachlage ist in den beteiligten Kommunen der einzelnen Länder sehr unterschiedlich. Die Gesellschaftsstrukturen unterscheiden sich, ebenso die bewährten Methoden der betroffenen Akteure und Träger der Jugendhilfe. Dabei haben sich in der Praxis einzelner Kommunen und Träger bereits Methoden und Ansätze für den Umgang mit dieser doppelten Integrationsaufgabe entwickelt und bewährt. Diese in Austausch zu bringen und voneinander zu lernen, ist Ziel der Strategischen Partnerschaft "Integrationx2".

Die vier Partnerorganisationen aus Deutschland, Bulgarien, Italien und Spanien kommen unter anderem in Short-Term Staff-Trainings zusammen und tauschen in Zweiergruppen jeweils eine Methode. Der "Methodengeber" sollte seine Methode soweit abstrahieren, dass sie für den "Methodennehmer" auch im eigenen Kontext anwendbar ist. Der "Methodennehmer" bringt sie in den eigenen Arbeitsalltag ein und modifiziert sie entsprechend der Erfordernisse. Am Ende sollen die Methoden und die Erfahrungen mit deren Anwendung weiteren interessierten Trägern und Kommunen europaweit zur Verfügung gestellt werden – in Form einer Online-Toolbox auf Englisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch und Bulgarisch.

Zunächst: Praktikeraustausch. Perspektivisch: Übertragbarkeit und strukturelle Verankerung

Das Projekt "Integrationx2" ist im Juli 2016 gestartet. "Dementsprechend stehen wir auch noch komplett am Anfang unserer Arbeit", so Susanne Heydenreich. Die Partnerorganisationen kannten sich vor dem ersten Treffen im August in Haskovo noch nicht. Dort wurden zunächst die Projektidee, die gemeinsamen Ziele sowie die Aufgabenverteilung besprochen und vertieft. "Obwohl wir uns vorher noch nie gesehen hatten, waren wir doch gleich alle auf einem gemeinsamen Nenner", freut sich Susanne Heydenreich. Die Zusammenarbeit verspricht, sehr fruchtbar zu werden.

Im November findet das erste Short-Term Staff-Training in Lorca statt, wo der Methodentausch in Zweiergruppen durchgeführt wird. Jede Partnerorganisation stellt fünf Personen, die an diesem internen Training teilnehmen. Am letzten Tag des zweiten Trainings in Chemnitz im Frühjahr 2018 wird es eine öffentliche Ergebnispräsentation geben.

"Natürlich wäre es toll, wenn durch die öffentlichen Präsentationen, die Online-Toolbox, die am Ende des Projekts veröffentlicht werden soll, und weitere Peer-Learning-Prozesse auf kommunaler und persönlicher Ebene unsere Ergebnisse eine noch weitere Verbreitung fänden, wenn wir damit auf lange Sicht übertragbare Ansätze für die doppelte Integrationsaufgabe etablieren könnten", so Susanne Heydenreich. Doch ist sie bei allem Enthusiasmus auch Realistin: Beim Projekt gehe es zunächst vornehmlich um einen Austausch von Praktikern der integrativen Jugendarbeit, darum, im Hinblick auf bewährte Methoden über den eigenen Tellerrand zu schauen; zu verstehen, wie andere Kommunen und Träger in anderen Ländern mit einem ähnlichen Problem umgehen; voneinander zu lernen.

"Um noch mehr Reichweite zu erzeugen und auch Herangehensweisen in der Integrationsarbeit strukturell zu verbessern, braucht es zumindest eine zweite Projektphase nach Juni 2018 – eventuell in Form einer weiteren Strategischen Partnerschaft zur Förderung von Innovation", erklärt die Projektkoordinatorin. Dieser Projekttyp fokussiert auf die Entwicklung innovativer Ideen, Konzepte und /oder Strukturen, die einen oder mehrere Bildungsbereiche weiter entwickeln und deren Ergebnisse zielgerichtet verbreitet und genutzt werden sollen.  

Dazu habe man auch schon einen ersten Kontakt zu einer Dresdner Fachhochschule aufgenommen, die die Entwicklung von innovativen Ideen wissenschaftlich begleiten könnte, erläutert Susanne Heydenreich. Die aktuelle, erste Projektförderphase beinhaltet vornehmlich den Auf- und Ausbau eines funktionierenden Partner-Netzwerkes und den Austausch von Best Practice.

(Babette Pohle für JUGEND für Europa)

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Link: Alle Informationen, wie Strategische Partnerschaften im EU-Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION gefördert werden können, erhalten Sie auf unserer Internetseite www.jugend-in-aktion.de.

Link: Mehr über "Integrationx2" erfahren Sie hier...

Link: Ergebnisse des Projekts können Sie hier nachlesen...

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