28.09.2012

Jugenddemokratieprojekt: A nous l’Europe! – It’s our Europe! - Europa nur mit uns!

Am 9. September 1962 hielt Charles de Gaulle in Ludwigsburg seine Rede an die deutsche Jugend. Sie war ein emotionales Plädoyer für die deutsch-französische Aussöhnung, die vier Monate später im Elysée-Vertrag mündete. 50 Jahre später trafen sich am Ort der Rede über 100 Jugendliche aus mehreren Ländern, um über die großen Herausforderungen zu diskutieren, vor denen Europa steht. Und stellten klar: Das geht nur gemeinsam.

“Of course we can change something in Europe!", sagt der 14-jährige Bartholomy aus dem ostfranzösischen Montbéliard und lacht. "Wir sind doch jung. Et les jeunes sont l’avenir!", die Jugend ist die Zukunft. Das scheinbar problemlose Hin- und Herwechseln von einer Sprache in die andere ist ein Merkmal, das viele der jugendlichen Teilnehmer des Forums "Europa nur mit uns" eint. Der Optimismus und die Lust, sich mit Europa zu beschäftigen, sind ein weiteres.

Europa nur mit uns

Vom 19. bis 21. September haben sie sich versammelt: Rund 100 Jugendliche aus Frankreich, Tschechien, Großbritannien, Polen und Deutschland, um darüber zu diskutieren, wie die großen Herausforderungen in Europa angegangen werden müssen. Diese drei Tage des Austausches bilden den Höhepunkt eines sich seit Monaten vollziehenden Jugenddemokratieprojektes.

Bereits im März begannen die Schüler und Studenten in einem Online-Forum länderübergreifend in Gruppen zusammenzuarbeiten, um Lösungsansätze zu Themen wie Migration, Klimawandel oder demografische Entwicklung zu finden. Die Fragen, die sich dabei alle gleichermaßen stellten: Wie können sich junge Menschen engagieren? Und wie können europäische Lösungen gefunden werden, die demokratisch legitimiert sind?    

350 junge Menschen hatten sich im Vorfeld online an dem Jugenddemokratieprojekt beteiligt; 94 von ihnen kamen als Sprecherinnen und Sprecher ihrer Gruppe nun nach Ludwigsburg. Der Ort der Begegnung war sehr bewusst ausgewählt. Charles de Gaulles Rede an die deutsche Jugend, die er im Schlosshof von Ludwigsburg auf Deutsch hielt, war ein bedeutender Schritt hin zum Elysée-Vertrag, der die Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der französischen Regierung intensivierte und den Ausgangspunkt grenzüberschreitender Kooperationen der beiden Länder darstellte.

Gewünscht: Mehr Macht für Europa 

Lösungsvorschlag: mehr Macht für EuropaDie Jugendlichen finden bemerkenswert konkrete Lösungsansätze und formulieren Forderungen an die Politik, zusammengefasst in der Ludwigsburger Initiative: Vom verstärkten Aufbau von Mehrgenerationenhäusern über die Einführung eines "Feiertags der Integration" zur Würdigung der gesellschaftlichen Beiträge von Migranten bis hin zum europaweitem Wahlrecht mit 16 und transnationalen Listen bei Europawahlen sind viele Vorschläge aus unterschiedlichen Lebensbereichen und Politikfeldern dabei.

Eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern sitzt zusammen und die Ideen, die ihnen während der vergangenen Monate und Tage gekommen sind, sprudeln nur so aus ihnen heraus. "Man könnte auf den großen Infoscreens an Bahnhöfen Informationen über Europa zeigen und Werbung für Europa machen", schlägt die 16-jährige Sarah vor.

"Ja und wir brauchen mehr Plakate bei Europawahlen", ergänzt Hannes, "damit die Leute mehr davon mitkriegen". Marisa meint, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger schlecht informiert seien, und  bringt auch gleich ein Beispiel: "Wir hatten die Ideen, so etwas wie das Freiwillige Soziale Jahr europaweit einzuführen – und dann erfuhren wir erst, dass es das mit dem Europäischen Freiwilligendienstes ja schon gibt. Davon wussten wir überhaupt nichts!"

Könnten sie etwas in Europa ändern, so stünde an erster Stelle, die Menschen besser zu informieren. Und dann sagen die 15- bis 17-jährigen: Europa braucht mehr Macht. Zentrale Regelungen von Brüssel sind ausdrücklich gewünscht. "Wir wollen eine europäische Regierung", bestätigt Leonie und die anderen nicken. Auch wenn Deutschland dann Kompetenzen abgeben müsste? "Ja", antwortet Marisa, "das wäre ok", und wieder stimmen alle zu.

Hey, wir sind da, hört uns zu, nehmt uns ernst! 

Parallel zu dem Forum der Jugendlichen findet ein Fachkongress zum Thema "Zukunft der Demokratie in Europa" statt. Am letzten Tag diskutieren die Wissenschaftler und Experten aus Frankreich, Deutschland und den USA mit den jungen kreativen Köpfen und hören sich deren Ideen an.

Ein Großteil der Jugendlichen zieht ein positives Fazit von dem Gespräch: Sie fühlen sich von den Experten erst genommen und haben das Gefühl, dass ihnen interessiert zugehört wurde. Nur Hannes ist ein wenig enttäuscht. "Ich habe meine Idee vorgestellt und habe nur zur Antwort bekommen, das würde nicht gehen, ganz ohne Begründung. Das fand ich doof."

Francois-Xavier und Aurélien aus Paris wiegen auf die Frage, ob sie sich ernst genommen fühlen, dann doch auch den Kopf. "Wir sind zu jung und haben zu wenig Erfahrung, als dass sie unsere Ergebnisse wirklich überdenken würden", meint der 25-jährige Francois, "aber immerhin hören sie mal, was wir denken. Sie sehen: Wir sind da. Und sie sehen auch, dass es junge und begeisterte Europäer durchaus gibt."

Francois-Xavier und Aurélien wissen, dass sie nichts von heute auf morgen ändern können. "Aber spätestens in 20 Jahren haben wir eine europäische Verfassung", ist sich Francois sicher.        

Der festliche Abschlussabend am 21. September bietet in einem vollbesetzten Saal den passenden Rahmen für den Ausklang einer gelungenen Veranstaltung. Viel ist hier von Solidarität die Rede. Aber was bedeutet das eigentlich? Ben, Julie und Mathilde aus Frankreich meinen: Sich gegenseitig zu helfen, wenn Hilfe nötig ist. "Être unie", vereinigt und einig zu sein. Und: Für seine Nachbarn da sein.

Für die Jugendlichen ist Europa gelebte Wirklichkeit. Dass einige Schüler,  andere schon Masterstudenten sind, stört die Zusammenarbeit und die gemeinsamen Visionen nicht. Auch die Jüngeren fühlen sich und ihre Sichtweisen angenommen. Und in drei Punkten sind sich alle einig, egal ob sie aus Tschechien, Frankreich oder Deutschland kommen, egal ob sie sich mit Klimawandel beschäftigen, der Schuldenkrise oder Integration.

  • Erstens: Europa muss mehr Werbung für sich machen, eine neue PR-Strategie muss her, und auch die Medien sollten anders berichten, denn die Bürger sind nur unzureichend informiert.
  • Zweitens: Bildung fängt schon früh an und deshalb sollten bereits Kinder für europäische Themen wie Umweltbewusstsein sensibilisiert werden. Zusätzlich sollte die Sprachförderung ausgebaut werden.
  • Und drittens: Es geht nur gemeinsam. Solidarität ist wichtig, Engagement vonseiten der Bürger auch.

Wir sind jung. Wir sind optimistisch!

Francois-Xavier und Aurélien aus ParisUnd die Zukunft Europas? Sehen sie diese nun eher pessimistisch oder optimistisch? Aurélien, 19 Jahre alt, zögert keine Sekunde: "Wir sind jung, klar sind wir optimistisch!" Dann fügt er noch hinzu: "Und wir wissen, wo wir hinwollen. Die Ansätze sind zwar unterschiedlich, aber die Idee war in allen Gruppen die gleiche: Wir brauchen eine europäische Regierung und müssen noch mehr Kompetenzen nach Europa abgeben". Von Politikverdrossenheit und Europamüdigkeit keine Spur.

Charles de Gaulle sagte in seiner Rede vor 50 Jahren: "Ich beglückwünsche Sie [...], jung zu sein. Man braucht ja nur die Flamme in Ihren Augen zu beobachten [...] und bei einem jeden von Ihnen die persönliche Leidenschaftlichkeit, um überzeugt zu sein, dass diese Begeisterung Sie zu den Meistern des Lebens und der Zukunft auserkoren hat."

Daran hat sich bei Bartholomy und Marisa, Francois, Katka, Aurélien und den vielen anderen 50 Jahre später nichts geändert.   

(Text und Fotos: Elisa Rheinheimer. Die auf den Fotos zu sehenden visualisierten Abbildungen der Workshopinhalte stammen von Kirsten Reinhold; www.kommunikationslotsen.de)

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Zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Rede Charles de Gaulles hat die Stadt Ludwigsburg gemeinsam mit dem Deutsch-Französischen Institut das Projekt "Europa nur mit uns" ins Leben gerufen. Es wurde unter anderem gefördert über die "Aktion 1.3 – Projekte der partizipativen Demokratie" des EU-Programms JUGEND IN AKTION.

Mehr zu den Förderbedingungen der Aktion 1.3 erfahren Sie auf der Seite www.jugend-in-aktion.de

Mehr zum Projekt sowie zur "Ludwigsburger Initiative" erfahren Sie auf der Seite www.europa-nur-mit-uns.eu.

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