26.05.2010

"Nicht immer durch die negative Brille schauen!" - Interview mit Marina Gautier, Großbritannien

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York haben die Arbeit von SALTO Großbritannien verändert. Aus dem Londoner Projektmanagement-Büro von einst wurde das SALTO Centre für Antirassismus-Arbeit und mehr Toleranz. Später entschied man sich erneut zu einem Namenswechsel. Das SALTO Cultural Diversity Resource Centre, ein Büro zur Stärkung kultureller Vielfalt im Programm JUGEND IN AKTION, nahm seine Arbeit auf.

Marco Heuer sprach mit Projektmanagerin Marina Gautier.

Frau Gautier, das britische SALTO-Büro hat seit seinem zehnjährigen Bestehen mehrfach den Namen gewechselt, heißt heute "SALTO-Büro für kulturelle Vielfalt". Was sagt diese Entwicklung über Ihre Arbeit aus?

Wir haben immer wieder zur Kenntnis genommen, dass sich die politischen Rahmenbedingungen und Prioritäten verändern. Die Terroranschläge von 2001 waren eine deutliche Zäsur. Die Forderung lautete damals: Wir müssen uns mehr mit Anti-Rassismus und Toleranz beschäftigen. Deshalb auch die Namensänderung.

Wir waren von dem Namen aber langfristig nicht wirklich überzeugt. Wir wollten mit unserer Arbeit ja eher zu etwas ermutigen oder etwas wertschätzen, statt nur zu bekämpfen – wie beispielsweise Rassismus. Es ging uns darum, positive Begriffsarbeit zu leisten. So entstand der Name SALTO Centre für kulturelle Vielfalt.

Bleiben wir doch mal bei dem Begriff. Kulturelle Vielfalt ist in aller Munde. Jeder versteht aber etwas anderes darunter. Wie gehen Sie mit dem Problem um?

Zunächst einmal: Ja, das ist ein Problem. Wir merken immer wieder, dass die verschiedenen Akteure mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen an uns herantreten. Wir versuchen, alle Wünsche zu erfüllen, gleichzeitig aber auch, unsere Linie beizubehalten.

Und die wäre?

Wenn wir vom Programm JUGEND IN AKTION sprechen und von SALTO, dann meint kulturelle Vielfalt vor allem zentrale Themen wie: Stärkung der Selbstwahrnehmung, Rolle der Identität, interkulturelles Lernen, der Umgang und Austausch mit dem Fremden sowie die Einbeziehung von Minderheiten.

Oftmals haben die Menschen den Eindruck, wir würden uns nur mit Minderheiten beschäftigen. Ich sage dann. Ja, das ist ein zentrales Thema, es geht aber auch um andere Inhalte. Kulturelle Vielfalt ist ein Thema, das jeden angeht und jeden angehen muss.

Trotzdem ist der Begriff oft negativ konnotiert. Warum eigentlich?

Viele schauen bei kultureller Vielfalt ausschließlich durch die negative Brille. Sie denken an Diskriminierung oder Rassismus. Oder manchmal sogar an ganz heiße Themen wie Immigration und Terrorismus.

Wir verfolgen bei SALTO einen anderen Ansatz. Obwohl all die genannten Themen sicherlich eine Herausforderung darstellen, sehen wir kulturelle Vielfalt als gewinnbringend für jedermann an. Es geht darum, sich anderen zu öffnen, mehr über uns selbst und unser Zusammenleben in Europa zu erfahren. Oder anders ausgedrückt: Aktiv gestalten statt bloß reflexartig etwas zu verteidigen.

Das klingt nach großen Zielen. Können Sie Ihre Arbeit trotzdem in wenigen Sätzen beschreiben?

Unsere Hauptaufgabe ist es, Trainings und Seminare für Jugendarbeiter zum Thema kulturelle Vielfalt zu organisieren. Wir wollen ihnen helfen, ihre internationalen Projekte noch professioneller zu gestalten. Dafür entwickeln wir eine Reihe von Informationsmaterialien und Publikationen.

Wir bringen die verschiedenen Akteure auch zusammen und vermitteln Partnerschaften. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt natürlich in Europa. Aber mit unserer Internet-Seite erreichen wir Menschen auf der ganzen Welt.

Und die Nationalagenturen…?

… unterstützen wir ebenfalls, wenn es darum geht, Strategien zur kulturellen Vielfalt in dem jeweiligen Land zu entwickeln.

Was haben Sie sich für dieses Jahr alles vorgenommen?

2010 haben wir vier Großprojekte auf unserer Agenda. Bei "Cultural Coach" dreht sich alles um das Thema Chancengleichheit bei kulturellen Minderheiten. Hier trainieren und unterstützen wir Vertreter von Minderheiten ebenso wie Jugendarbeiter.

"Intercultural Competence" ist ein Reflexionsprojekt, bei dem die Frage im Vordergrund steht, was interkulturelle Kompetenzen heutzutage denn tatsächlich für Jugendarbeiter bedeuten.

"Value the Difference" ist ein Trainingsmodul für Jugendarbeiter im Bereich interkulturelles Lernen.

Schließlich planen wir noch eine Publikation über die Bedeutung von Identität in der internationalen Jugendarbeit.

Wo sehen Sie in Ihrer Arbeit als SALTO-Büro, das einen inhaltlichen Themenschwerpunkt des Programms bedient, noch Optimierungsbedarf?

Da gibt es einiges zu tun. Wir würden das Programm JUGEND IN AKTION gerne stärker mit anderen Fachöffentlichkeiten "verlinken" – beispielsweise mit anderen EU-Programmen, dem Europarat, der Wirtschaft oder Forschung. Wir nehmen uns vor, mit unseren Trainings und unseren Publikationen eine größere Öffentlichkeit zu erreichen.

Und wir wollen die einzelnen Schwerpunkte unserer Arbeit künftig stärker in ein Gesamtkonzept einfließen lassen. Hier schwebt uns eine langfristig angelegte Strategie vor.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den anderen SALTOs?

Wir sind ein Netzwerk mit acht eigenständig arbeitenden Büros. Aber die Öffentlichkeit nimmt uns als ein SALTO wahr. Wir müssen in der Regel viel diskutieren, bevor wir Entscheidungen treffen und jeden einbeziehen. Ich persönlich mag diese partizipative Herangehensweise. Das verlangt aber auch, dass wir die Prioritäten unserer Arbeit untereinander gut ausbalancieren müssen.

Diese Woche wird in Paris gefeiert. SALTO feiert sein zehnjähriges Bestehen. Wann darf das nächste Mal gefeiert werden?

Ich hoffe, wir müssen nicht allzu lange warten. Fakt ist: Mit dem Pariser Fachforum haben alle SALTOs das erste Mal ein gemeinsames Event geplant. Ich würde mir wünschen, dass wir auch in Zukunft noch stärker als Netzwerk zusammenarbeiten.

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Mehr Informationen zum SALTO Cultural Diversity Resource Center gibt es unter www.salto-youth.net/rc/diversity/.

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