17.07.2010

Strukturierter Dialog - Politik in der Straßenbahn

Richtig in Fahrt gekommen sind die Jugendlichen, die beim Projekt "Steig ein – Du bist am Zug" Politikern ihre Meinung gesagt haben – in der Straßenbahn zwischen Mannheim und Heidelberg.

Anschließend vertieften sie die Diskussion in einer Projektwoche und wollen sich jetzt in einer Jugendvertretung für ihren Stadtteil engagieren.

In der Straßenbahn eine gute Figur abzugeben, ist gar nicht so leicht. Besonders wenn man stehen muss – wie die Politiker im Sonderzug der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft. Auf dem Weg von Mannheim nach Heidelberg und zurück stellten sie sich an zwei Vormittagen in ungewöhnlicher Atmosphäre den kritischen Fragen von Schülerinnen und Schülern. Es ruckte und schaukelte, und beim Wechsel von einer Gruppe zur nächsten mussten sich die Landtagsabgeordneten und Stadträte häufig festhalten, um nicht auf jemanden drauf zu fallen.

"Dadurch wirkten sie wie normale Menschen", lächelt Christan Röser vom Mannheimer Verein Starkmacher, der die Idee hatte, Jugendliche in der Straßenbahn auf Politiker treffen zu lassen. Seine Strategie ist aufgegangen: "Die Jugendliche haben sich in der Bahn sehr wohl gefühlt und hatten überhaupt keine Hemmungen, mit den Politikern zu sprechen."

"Steig ein! – Du bist am Zug!" heißt das Projekt des Vereins, das junge Leute zwischen 15 und 25 Jahre zu politischem Engagement ermuntern sollte. Es wurde innerhalb des Strukturierten Dialogs in der Aktion 5.1 des EU-Programms JUGEND IN AKTION gefördert.

Rund 220 Jungen und Mädchen aus Haupt- und Realschulen, Gymnasien, einer Blindenschule und einer deutsch-türkischen Privatschule diskutierten in der Bahn zum Teil sehr emotional mit Vertretern verschiedener Parteien. Zum Beispiel über den Bau eines neuen Blocks für ein Mannheimer Kohlekraftwerk, den die Grünen ablehnen, während viele Väter der Jugendlichen in dem Kraftwerk arbeiten. Oder über Hartz IV und eine gerechte Entlohnung. Auch der persönliche Lebensweg der Politiker interessierte viele.

Speed-Dating mit der Politik

Der Großteil der Jugendlichen sah sich erstmals von Angesicht zu Angesicht mit einem Politiker konfrontiert. "Ich wusste vorher schon, was ein Politiker ist, aber ich dachte, mit denen könne man nicht ordentlich reden", verrät der sehbehinderte Ceyhun und war beeindruckt, dass viele ganz ungezwungen in Jeans und Pullover in die Bahn einstiegen. "Ich hatte mir vorgestellt, dass die mit Bodyguards kommen", sagt der 15-Jährige. Er stieß auf Verständnis, als er beklagte, dass viele Unternehmen lieber eine Ausgleichsabgabe zahlen, als bei ihren Mitarbeitern die Behindertenquote zu erfüllen.

Das kurze Kennenlernen in der Bahn war nicht mehr als ein Speed-Dating mit der Politik, ein Einstieg in verschiedene Themen, für deren tiefgreifende Betrachtung viel zu wenig Zeit blieb. Wer Lust auf mehr bekommen hatte, konnte sich deshalb kurz darauf in einer Projektwoche noch etwas eingehender mit Politik auseinander setzen: in HipHop-Workshops, Rhetorik-Seminaren und Filmprojekten, aber auch wieder im Dialog mit Politikvertretern aus der Region.

Hitzige Diskussionen

Rund 40 Jugendliche beteiligten sich, darunter erneut einige, die "mit Politik zuvor noch gar nichts am Hut hatten", wie Organisator Röser berichtet. In den Gesprächsrunden über mangelnde Graffiti-Flächen und Komasaufen auf den Neckarwiesen reagierten diese Jungen und Mädchen oftmals allergisch auf allzu routinierte Erklär- und Abwehrmuster der Parteipolitiker. Schnell wurde auch die Kommunikationskultur in der Politik und unter Jugendlichen thematisiert und hitzig debattiert.

Mancher Lokalpolitiker musste im Verlauf der Woche erkennen, dass in der Jugendpolitik die Jugendlichen die Experten sind – und angehört werden sollten. Das Projekt des Starkmacher-Vereins hat daher Röser zufolge in Mannheim durchaus für Wirbel gesorgt. Die Förderung durch das EU-Programm JUGEND IN AKTION hat für ihn in diesem Zusammenhang einen weiteren Aspekt: "Wenn wir abhängig gewesen wären von kommunalen Geldern", sagt Röser, "wäre manches vielleicht nicht möglich gewesen."

Dauerhaftes Engagement in Jugendvertretung

Den Jugendlichen wiederum hat es gefallen, sich für ihre Sache einzusetzen und den Erwachsenen ihre Meinung zu sagen. Stolz präsentierten sie die Ergebnisse der Workshops und Diskussionsrunden in einer Abschlussgala ihren Familien und Freunden und der Presse.

"Die haben gemerkt, dass man ernst genommen wird, wenn man sich einbringt und auch etwas investiert", stellt Röser fest. Eine Stadtteil-Clique trifft sich jetzt regelmäßig, will eine dauerhafte Jugendvertretung etablieren und ein Jugendzentrum aufbauen. "Die machen jetzt richtig Dampf", sagt Röser, "die Dynamik ist genial."

Im Starkmacher ist zudem die Idee entstanden, einen regelmäßigen Talk mit Politikern zu Jugendthemen zu etablieren und ein Nachfolgeprojekt zu "Steig ein! – Du bist am Zug!" mit dem Schwerpunkt auf Ausbildung und Beruf auf die Beine zu stellen.

(Nina Voigt)

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Im Stadtteil Mannheim-Seckenheim ist nach dem Jugend-Politik-Seminar auf Anregung von Musiker Ron Jerome Amponsem eine Jugendvertretung entstanden, die sich für die Belange ihrer Generation in der Stadt stark machen will. Treffpunkt des frisch gewählten Vorstands ist das Starkmacher-Büro in Seckenheim. Von der gesamten Aktion gibt es inzwischen eine professionelle Dokumentations-Broschüre - zu bestellen beim Starkmacher und zu sehen auf der Homepage des Vereins "Starkmacher e.V."

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Das Projekt "Steig ein! Du bist am Zug!" wurde gefördert über das EU-Programm JUGEND IN AKTION.

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Kommentare

  • Speed_Dating

    29.10.19 14:31

    Sprachbarrieren umgehen

    Beim konventionellen Speed Dating sind eventuelle Sprachbarrieren immer ein Hindernis.
    Daher gibt es nun schon no-verbales Speed Dating bei dem die Teilnehmenden sich nicht über Sprechen definieren bzw. disqualifizieren können und das viel innigere Beziehungen zwischen Menschen bildet. Es ist auch bekannt als Silent Speed Dating oder Soulmating.

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