18.06.2010

Partizipationsseminar - Erfolgreich gepusht!

Stippvisite unter MöglichmacherInnen beim Partizipationsseminar von JUGEND für Europa - Methoden, Modelle und Projekte erfolgreicher Jugendpartizipation

Mittwoch, 9. Juni 2010: Einige Hundert Schüler ziehen durch die Bonner Innenstadt. Sie tröten und pfeifen, fordern "frei Bildung", "weg mit Studiengebühren" und mit den Kopfnoten. Sie sind laut gegen den G8-Zug und für mehr Bildungsgerechtigkeit.

Zeitgleich, etwa 2.000 Meter Luftlinie, im Norden der Stadt. Im Parterre des CJD-Tagungszentrums schwitzt eine Gruppe JugendforscherInnen, Studentinnen und InitiatorInnen über der Frage: "Wie sieht eigentlich erfolgreiche Jugendbeteiligung aus?"

Die Antwort sollen Methoden und Projekte liefern. Sie stellen sich vom 9. bis zum 11. Juni 2010 in Bonn vor. Denn, so Initiator Claudius Siebel, Programmreferent bei JUGEND für Europa, der Agentur für das EU-Programm JUGEND IN AKTION, „wir sind ein europäisches Förderprogramm. Und ein großes europäisches Leitthema ist die Partizipation junger Menschen. Partizipation beginnt aber vor Ort. Uns geht es also auch um beispielhafte Methoden und Modelle, die lokal verankert sind."

Rund 40 TeilnehmerInnen reisen an, von Freiburg bis Hamburg, von Bonn bis Leipzig. Sie bilden eine Gruppe von Menschen mit Ideen und solche, die nach einer zündenden suchen - AbiturientInnen und StudentInnen, FreiwilligendienstlerInnen und JugendarbeiterInnen, JugendforscherInnen von Verbänden, Initiativen und Projekten.

Was ist Jugendbeteiligung?

Der Fishbowl eröffnet. Martin Hoffmann, Europäisches Jugendparlament e.V., sitzt in der Runde und findet: "Die Frage ist doch, wie definieren wir Beteiligung? Es ist doch klar, dass wir nicht das Feigenblatt der Politik sein wollen."

Matthias Köpke von der Servicestelle Jugendbeteiligung Berlin stimmt zu, will aber zu bedenken geben, dass "Jugendliche eben dann erst aktiv werden, wenn sie etwas Konkretes ändern wollen, wenn sie sich für eine saubere Spree einsetzen etwa. Wenn es aber um grundsätzliche politische Partizipation geht, dann lässt das Engagement nach."

Das ist das Stichwort für Frank Schmitz vom Profondo e.V. Hannover: "Ich bin der Meinung, Jugendbeteiligung wird zunehmend entpolitisiert. Mir fehlt die Antwort auf die Frage: Wofür kämpft ihr eigentlich?" Matthias Köpke klärt auf: "Es geht uns darum, Jugendlichen dabei zu helfen, ihr persönliches Lebensumfeld aktiv zu gestalten."

Und Jan Ole Dieckmann von der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Hamburg ergänzt, "es geht um die Partizipation im Alltag, darum, ein Gefühl für eine eigene Meinung entwickeln zu können – nicht darum Kreuzchen zu machen."

Jugendbeteiligung: per Gesetz oder qua Kultur?

So stellt sich während der Diskussion heraus, dass sich die Gruppe in einem Punkt uneins bleiben muss: Soll Jugendbeteiligung über gesetzliche Grundlagen sichergestellt werden oder braucht es eine andere Wahrnehmungskultur?

Nun soll der Blick auf gelungene Projekte und modellhafte Methoden helfen, eine Antwort darauf zu finden.

Modell 1: Der Jugendgemeinderat

Anna Reiner geht in die elfte Klasse, seit drei Jahren ist sie im Jugendgemeinderat ihrer Heimatstadt Filderstadt aktiv. Und der darf sich über einen so engagierten wie wirkungsvollen Unterstützer freuen: den ehemaligen Bürgermeister.

"Unser OB hat einmal gesagt: Der Jugendgemeinderat ist mehr als die dekorative Petersilie auf der kommunalpolitischen Aufschnittsplatte", erzählt Anna. Ihre Zuhörer lachen und staunen zugleich über den Einsatz der Filderstädter Jugend.

Modell 2: Inyoucom

Daniela Thuring erklärt, wie sich die Stadt Dorsten auf den Weg zur besten Beteiligungsform gemacht hat. "Wir haben die Jugendlichen von Anfang an involviert. Sie selbst sollten entscheiden, welche Form sie wollen, um sich politisch zu beteiligen", erzählt die Mitarbeiterin des städtischen Jugendamts.

"Wir haben ergebnisoffen gearbeitet", sagt sie. "Gemeinsam mit unseren beiden Partnerstädten haben wir dann unsere Jugendliche zusammengebracht, über ihre Bedürfnisse und Beteiligungsformen diskutieren lassen und so das beste Modell herausgeschält."

Das Fazit der Dorstener Jugend: Von allem ein bisschen soll es sein! Die Stadt soll ein Jugendgremium bekommen, das durch regelmäßige Jugendhearings unterstützt wird.

Methode 1: Die PETO – eine Partei von Jugendlichen für Jugendliche

In Monheim haben Schüler direkt politische Karriere gemacht. "Unser Rezept? Wichtig ist, dass die Leute hochmotiviert sind. Keiner muss, jeder kann", fasst Brinja Noth zusammen, die stellvertretende Vorsitzende der PETO (siehe Interview).

1999 haben zehn Schüler die Partei gegründet, heute stellt sie den Bürgermeister der Stadt. "Anfangs wurden wir belächelt", erinnert sich die 20-Jährige. Heute hat die Partei über 300 Mitglieder und versucht nun auch für die "Älteren" attraktiv zu werden.

Die PETO hat eine "30Plus-AG" gegründet. "Die anderen haben eine Junge-Union oder die JuSos. Wir haben das Prinzip umgedreht", erklärt Mathematikstudentin Brinja.

Methode 2: Die Demokratiewerkstatt

"Wir sind der Abenteuerspielplatz der Politik“, erklärt Alexander Wicker vom Bündinger Kreis e.V. die Idee des Vereins. Unter anderem initiiert der die 'Demokratiewerkstatt', eine Art Politik-AG, die beispielsweise an Schulen installiert wird.

"Wir wollen Schüler befähigen, sich selbstständig mit Demokratie zu beschäftigen und erreichen, dass sie ihr Wissen mit anderen Schülern teilen", so Wicker.

Nicht der Unterricht steht im Mittelpunkt, vielmehr soll sich die Werkstatt als eine Modul verstehen. "Die Jugendlichen entscheiden selbst, wie sie sich wann mit welchen Themen beschäftigen", erklärt Wicker.

...und im Netz?

Die Zielgruppe Jugend geht heute komplett als "digital natives" durch. Sie surfen, chatten, twittern und sind in sozialen Netzwerken zuhause.

Die logische Konsequenz muss lauten: Holt die Jugend dort ab, wo sie sich aufhält. Also auch im Netz. Wie das passieren kann, erklärt Daniel Poli, Koordinator im Projekt 'Jugend online' bei IJAB und verantwortlich für das Jugendportal 'netzcheckers.de'.

Eines ist unumstritten, bekundet er: Das Web 2.0 wirkt sich durch seine neuartigen Strukturen auf unser Kommunikationsverhalten aus. Enorme Beschleunigung und grenzenlose Vernetzung sind sein Charakter. "Das Web 2.0 bietet heute Bausteine für die Identitätsarbeit junger Menschen", stellt Poli heraus, "von digital immigrants grenzen sie sich bewusst ab."

Wer Jugendliche im Netz erreichen will, muss folglich peer-to-peer-anschlussfähig sein, bestenfalls auf Jugendliche Community-Guides setzen. Als mögliche Tools nennt Poli Blogs, Communitys und Homepages.

"Wichtig ist, dass man On- und Offlineaktivitäten verknüpft", rät er, "Reales und Virtuelles müssen verschmelzen." Beispielhaft seien sogenannte partizipative Open-Source-Beteiligungsformen wie Politcamp oder netzpolitik.org, erklärt der Referent des IJAB.

Alles kann! Was muss?

Nach knapp drei Tagen des Kommunizierens, Diskutierens und Sondierens gehen die TeilnehmerInnen zwar ohne ein Erfolgsrezept, aber doch mit einem bestärkenden Gefühl nach Hause. Ihr 'Bildungsgipfel' war insofern erfolgreich, als dass es einen effektiven Austausch auf Augenhöhe gab.

Anders der dritte Bildungsgipfel unter Bundeskanzlerin Merkel. Der war am Tag zuvor zuende gegangen und hatte nur ein einziges, schmales Ergebnis gebracht: Der sogenannte Qualitätspakt für die Hochschullehre soll finanziell aufgestockt werden.

Für die BildungsaktivistInnen bedeutet das weiter Präsenz zu zeigen. Real und virtuell – mit allen möglichen Varianten politischer Beteiligung.

(Steffi Lachnit)

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