18.11.2008

Auf den Spuren der Europäischen Jugendwoche

Ein Streifzug durch Hessen, Sachsen und Berlin

Dass Politik so lebendig sein kann, hätte sie nicht gedacht. „Die haben uns ja wirklich zugehört“, sagt Valmire Vokshi. Die 16-jährige Realschülerin kosovarischer Abstammung ist begeistert. Die Verfechterin einer stärkeren Gleichstellung von Mann und Frau wartet im Foyer des Heppenheimer Haus am Maiberg, will sich nach stundenlanger intensiver Diskussion unbedingt noch einmal bedanken. Frank Mentrup und Thomas Mann stehen um sie herum. Hier, mitten in der hessischen Provinz. Der eine ist Landtagsabgeordneter der SPD in Baden-Württemberg, der andere Europa-Parlamentarier der CDU für Hessen. Für die 19 Jugendlichen aus der Metropolregion Rhein-Neckar hatten die beiden Politiker an diesem Abend vor allem eine Botschaft parat: „Beteiligung lohnt sich. Ihr müsst Euch nur selbst fragen: Wollt Ihr dabei sein oder nicht?“

Beteiligung mit Leidenschaft

Thomas Schneider will in jedem Fall selbst mitmischen. „Wir brauchen von der Politik aber mehr Raum für Meinungsäußerung“, kritisiert der 18-Jährige und sieht noch viel Förderbedarf: „Den meisten an unserer Schule fehlt schlicht das Bewusstsein, dass auch ihre Ideen für die Gesellschaft wichtig sein könnten.“ Larissa Müller (16) fordert mehr Engagement für schüchterne Schüler. „Auch die haben gute Gedanken. Die kann man nicht einfach hinten rüber fallen lassen.“

Mentrup und Mann sehen das ein. Allheilmittel für politisch Unzufriedene verkünden sie nicht, wohl aber, dass Beteiligung mit Leidenschaft durchaus Spaß macht. Eine Atmosphäre von „Alles-ist-möglich“ liegt in der Luft, wenn der EU-Parlamentarier und Sozialpolitiker Mann davon erzählt, wie er mit seinen polnischen Kollegen den Apfelwein in Hessen gerettet hat. Sein Bildungskonzept: durchaus sympathieverdächtig. „Ich bin für einen Unterricht, der kreative Pausen ermöglicht. Lehrpläne sollten nicht einfach nur voll gestopft werden.“

Kein abstraktes Wissen vermitteln

Mentrup spricht mehr über Werte und Normen. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion sieht die EU in der Pflicht: „Uns fehlt es an Vorbildern. Von der europäischen Politik erwarte ich mehr Orientierung an gesellschaftlichen Fragestellungen.“ Die 15- bis 19-jährigen Schüler sehen das genauso. Auch wenn die meisten von ihnen Gymnasiasten sind und zudem noch zu der engagierten Schüler-Spezies zählen – von einer Europäischen Jugendpolitik haben sie noch nie gehört.

„Wer weiß schon, wie der Europäische Jugendpakt konkret aussieht?“, sagt auch Stephan Schwieren, Bildungsreferent am Haus am Maiberg und Projektinitiator. „Für unsere Veranstaltung haben wir uns jedenfalls entschieden, kein abstraktes Wissen zu vermitteln, sondern Politik erfahrbar zu machen.“

Denkanstöße für die Europäische Kommission

In Sachsen hat das Europa-Haus Leipzig während der Europäischen Jugendwoche vier Schulworkshops veranstaltet. Unter dem Motto „Wir sind Europa“ wurden mehr als 90 Schüler der Klassen 9 und 10 in Gymnasien und Mittelschulen zu ihren Europa-Wünschen und -Ansichten befragt. „Am meisten hat mich begeistert, dass sich die Schüler auf Europa eingelassen haben. Sie hatten Lust, selbst etwas zu gestalten“, erzählt Projekt-Koordinatorin Hana Hlásková. „Merkwürdig war nur, dass das Thema Umweltschutz so gut wie gar nicht vorkam.“

Stattdessen bekam die Europäische Kommission ein paar andere Denkanstöße mit auf den Weg. So soll – zur besseren Verständigung der Jugendlichen untereinander – Englisch als erste Fremdsprache einheitlich in Europa festgeschrieben werden. Lehrpläne in Portugal sollten sich nicht länger von denen in Finnland oder Polen unterscheiden. Und Kinder armer Familien müssten vom Staat mit Nahrungs- und Bekleidungsmittelcoupons unterstützt werden, so der Wunsch der Schüler. „Wenn die Jugendlichen sehen, dass sie ernst genommen werden, gibt ihnen das einen ungeheuren Auftrieb“, so Hlásková, „hier müssen wir weiter ansetzen.“ Kreativ ist die Bildungsreferentin allemal. Mit dem Projekt „Ein Tag ohne Europa“ sollen Jugendliche jetzt auf Defizit-Tuchfühlung gebracht werden. Letztlich geht es um die Frage, welche Auswirkungen es hätte, wenn positive und inzwischen selbstverständliche Errungenschaften –  wie grenzenloses Reisen innerhalb der EU – einfach wieder verschwinden würden.

Zu wenig Geld für Bildung

Dass die EU-Kommission die Arbeitsergebnisse der Jugendlichen aus der Europäischen Jugendwoche gleich wieder in den Papierkorb wirft, daran glaubt Gisela Kallenbach nicht. „Ich habe keinen Zweifel, dass die Kollegen in Brüssel gut zuhören. Zumindest gibt es dort eine grundsätzliche Bereitschaft. Aber in Fragen der Jugendpolitik haben immer noch die Mitgliedstaaten das Sagen. Die Kommission kann sich nur Zugeständnisse erkämpfen“, sagt die grüne Europa-Abgeordnete, die für Sachsen im Parlament sitzt. Auf einer Podiumsveranstaltung des Bildungswerk Sachsen in Leipzig nennt sie aber auch noch ein anderes wichtiges Thema – das fehlende Geld für Bildung. „Für diese so genannten weichen Politikfelder gibt es im Parlament noch keine Mehrheit. Noch immer fließt das meiste Geld in Struktur- und Agrarfonds.“

Franziska Latta kennt die Misere. Die 24-Jährige ist Sprecherin der Grünen Jugend in Sachsen-Anhalt. Der Abend in Leipzig hat sich für sie dennoch gelohnt. „Ich wusste nicht, dass es auch EU-Programme für Auszubildende gibt. Ich dachte, die gibt’s nur für Gymnasiasten.“ Einziger Wermutstropfen der Veranstaltung: das mangelnde Interesse beim Publikum. Das Podium diskutierte vor einer Geisterkulisse.

Charmante Moderation

Erfreulich viel Beteiligung dagegen in Berlins Europäischem Haus „Unter den Linden“. Rund 50 Jugendliche wurden Zeuge, wie ihnen acht weibliche Berliner EuroPeers einen amüsanten und kurzweiligen Ausflug in die Welt der Jugendinitiativen, Jugendbegegnungen und Besonderheiten rund um den Europäischen Freiwilligendienst boten. Dass die Veranstaltung am Ende von allen Teilnehmenden als gelungen bezeichnet wurde, lag nicht zuletzt an der charmanten Moderation von EuroPeer Shakeela Parekh (21). Denn die freute sich „immer ganz außerordentlich“, wenn eine ihrer Mitstreiterinnen „Zeit gefunden“ hatte, sich mit ihr auf die Bühne zu setzen. Wer hätte gedacht, dass Europa so lebendig sein kann.

(Marco Heuer)      

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Nähere Informationen zu den Veranstaltern gibt es im Internet auf folgenden Seiten:

Mehr Hintergründe zu Veranstaltungen, die die EuroPeers durchführen, gibt es unter www.europeers.de.

Hintergründe zur Europäischen Jugendwoche finden Sie unter www.youthweek.eu.

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