18.10.2007

„Mit 15 haben wir viele Jugendliche längst verloren“

Wer in Mecklenburg-Vorpommern Europäische Jugendarbeit macht, steht in Konkurrenz zur NPD. Pfarrer Peter Nieber von der Evangelischen Kirchengemeinde Bansin auf Usedom versucht, Jugendliche vor dem Extremismus zu bewahren.

Herr Nieber, es heißt, die Ausländerfeindlichkeit sei weit verbreitet in Mecklenburg-Vorpommern. Wie sieht es auf Usedom aus?

In unserer Gemeinde sitzen regionale Führungsköpfe der Leute von Rechtsaußen. Ihnen gelingt es, junge Leute intensiv an sich zu binden. Aber ich fürchte, die NPD-Aktiven sind nur die Spitze eines großen Eisberges. Vielen Menschen macht das Fremde Angst: Sogar politisch engagierte Leute weigern sich, eine Fremdsprache zu lernen. Manche empfinden es schon als ärgerlich, wenn in der Kirche englische Gospels gesungen werden. Wenn ich ausländische Gäste zu uns einlade, ist es immer eine Angsteinladung. Ich frage mich von vornherein, an welche Orte ich die Gruppe besser nicht hinführen sollte, weil es dort kritisch werden könnte.

Warum fühlen sich besonders junge Leute zu rechtsextremen Gruppen hingezogen?

Die Jugendarbeitslosenquote ist sehr hoch. Alle jungen Leute, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen möchten, wandern ab. Vor allem Mädchen machen diesen Schritt und suchen sich woanders eine Perspektive. Die Übriggebliebenen sind überwiegend Jungs, von denen viele die gleiche Biographie teilen: Kein Schulabschluss, keine Arbeit, kein Lebenspartner, die Frauen sind ja ohnehin weg. Sie bilden eine geschlossene, abgeschottete Gruppe ohne Zukunft. In diesen Kreisen finden extremistische Ideologien guten Nährboden.

Sie sagen, im Blickwinkel der Jugendförderung sei Mecklenburg-Vorpommern eine benachteiligte Region. Wie meinen Sie das?

Das Land ist in einer Randlage. Unsere Jugendlichen bekommen anders als in westdeutschen Großstädten kaum die Gelegenheit, Kontakt mit Fremden aufzunehmen. In unserem Gymnasium in Heringsdorf sind höchstens zwei Austauschschüler pro Jahr zu Gast, in der gesamten Schule gibt es nicht einmal eine Handvoll Schüler mit ausländischer Herkunft. Und das ist die Durchschnittssituation in Mecklenburg-Vorpommern. Auf Usedom sind wir sogar noch gut dran, es kommen immerhin auch einige ausländische Urlauber hierhin und verschaffen uns zumindest minimale Begegnungen mit Fremden. Aber im pommernschen Hinterland findet nicht einmal das statt. Wenn wir interkulturelle Begegnungen in Mecklenburg-Vorpommern fördern möchten, müssen wir sie erst künstlich schaffen. Ich behaupte also: Wir sind eine benachteiligte Region, besondere Fördermittel aus JUGEND IN AKTION für regionale benachteiligte Jugendliche bekommen wir aber nicht. Dabei haben wir hier, vor allem in den östlichen Gebieten des Bundeslandes, Probleme, die in anderen Teilen Deutschlands gar nicht wahrgenommen werden.

Strukturelle Fördermittel für bestimmte Regionen werden über JUGEND IN AKTION nicht verteilt, allerdings ist die Einbeziehung benachteiligter junger Menschen eine klare Priorität des Programms JUGEND IN AKTION und umfasst auch die Benachteiligung durch einen geographischen Hintergrund. Viele Projekte sind in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren durchgeführt worden. Wie ist ihre Erfahrung? Können Sie den Rechtsextremen mit solchen Jugendprojekten Paroli bieten?

Wir können Präventionsarbeit leisten, aber wir können Jugendliche kaum wieder zurückholen, wenn sie erst einmal ins rechte Lager gewandert sind. Das Entscheidende ist, dass Prävention sehr früh beginnen muss: Sobald Jugendliche hier in der Region erste Schritte aus ihrem Elternhaus hinaus wagen und nach neuen Orientierungen suchen, werden sie von rechtsextremen Gruppen umworben. Mit Jugendprojekten für 15-Jährige, für die das vorherige JUGEND-Programm ausgelegt war, sind wir da viel zu spät. Mit 15 haben wir viele junge Leute längst an die NPD verloren. Darum begrüßen wir es sehr, dass das Mindestalter im neuen Programm auf 13 herabgesenkt wurde. Das hilft uns, Jugendliche mit anderen Kulturen vertraut zu machen, bevor es zu spät ist.

Was bieten Sie jungen Leuten in Ihrer Gemeinde an?

Wir organisieren seit sieben Jahren Begegnungen mit Jugendlichen aus Ungarn und England. Meine Erfahrung ist, dass diese Reisen bei unseren Teilnehmern sehr viel bewegt haben. Viele unserer Jugendlichen hatten unreflektierte Vorstellungen, die zum Teil ausländerfeindlich waren. Als sie vor Ort in Ungarn waren und die Gastfreundschaft der Menschen dort erlebten, die mit weit weniger Geld auskommen müssen als sie, hat das manche Bilder um Kopf zum Positiven gewendet. Viele erkannten, welche Leistung das war, wie die Menschen mit wenig Mitteln ihr Leben aufgebaut haben. Und sie haben Neugierde darauf entwickelt zu erfahren, wie Menschen woanders leben.

Sie haben das Nachbarland gleich vor der Tür. Warum organisieren Sie nicht mit Polen Jugendprojekte?

Für uns als evangelischer Träger ist es nicht einfach, mit dem katholisch geprägten Polen zusammen zu arbeiten. Dabei wären mehr deutsch-polnische Projekte sicher nötig, denn in Mecklenburg-Vorpommern steht Polen nicht hoch im Kurs, es gibt viele negative Klischees. Die bevorstehende Grenzöffnung des Schengen-Raums weckt auf Usedom Ängste, die Menschen machen sich düstere Vorstellungen darüber, was die Grenzöffnung auslösen könnte.

Was treibt Sie bei all dem an, weiterzumachen?

Die Offenheit unserer jungen Leute aus den Jugendbegegnungen; ihre Bereitschaft, die Menschen zu nehmen, wie sie sind. Es ist ein tolles Ding, dass viele unserer jungen Leute das gelernt haben!

Das Interview führte Andreas Menn.

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