Jahrestagung "Fachkräfte im Blick": Mit Zuversicht herausfordernde Zeiten meistern

Am 4. und 5. Februar 2025 kamen Fach- und Führungskräfte aus der Europäischen und Internationalen Jugendarbeit zur Jahrestagung "Fachkräfte im Blick“ in Bonn zusammen. Die Veranstaltung bot den Teilnehmenden Raum für Austausch, Reflexion und Vernetzung und einen guten Auftakt, um Kraft zu tanken und Inspirationen zu sammeln für ein neues, herausforderndes Jahr in Zeiten demokratiefeindlicher Tendenzen.
An der gemeinsamen Jahrestagung von IJAB und JUGEND für Europa nahmen insgesamt 90 Teilnehmende teil, die sich austauschen und ihre Perspektiven einbringen konnten. Neben Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, Vertreter*innen aus Forschung und Verwaltung machten auch Fach- und Führungskräfte aus dem deutschsprachigen Ausland (Belgien, Luxemburg, Österreich, Niederlande) von dem Angebot Gebrauch.
Die gegenwärtige gesellschaftspolitische Lage stellt Fachkräfte der Internationalen und europäischen Jugendarbeit weiterhin vor große Belastungsproben: Demokratische Werte stehen unter Druck, geopolitische Kriege erschweren die Arbeit, an Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe wird gespart – zahlreiche Themen, die 2024 im Fokus standen, sind auch in diesem Jahr noch von Bedeutung. Wie gehen Akteure im Arbeitsfeld damit um? Sind sie für die bevorstehenden Entwicklungen gewappnet?
Why youth work matters
IJAB-Direktor Daniel Poli griff in seinem Impulsvortrag "Democracy at a Crossroads: warum Internationale Jugendarbeit wichtig ist" die aktuellen Herausforderungen der Internationalen Jugendarbeit auf. "Rechtspopulistische Tendenzen bei jungen Menschen haben auch den Grund, dass weniger Demokratiestärkung passiert ist und dass diese Jugendlichen durch andere Angebote angesprochen werden", so Poli.
Es bestehe hier ein Gesamtzusammenhang mit dem Rückgang von Demokratien und dem Vormarsch von Autokratien weltweit. Auch vor Jugendstrukturen mache diese Entwicklung nicht Halt: Selbst dort, wo man es am wenigsten erwarte, ständen Jugendringe und andere Jugendstrukturen unter finanziellem oder politischem Druck.
Und nun? Laut Poli gäbe es vier Dinge, die uns zeigen, "why youth work matters". Folgende Schritte können Fachkräfte der Internationalen Jugendarbeit ergreifen:
- Die Internationale Jugendarbeit könne ein solidarisches Bewusstsein schaffen und die aufgezeigten Zusammenhänge herstellen. Ganz konkret habe IJAB das mit zwei Projekten – der neuen Ausgabe des beyond-Magazins und einer internationalen Fachveranstaltung zum Thema Demokratie am Ende des Jahres – geplant.
- Zweitens: Demokratiefeindlichen Tendenzen könne durch werteorientiertes Handeln von haupt- und ehrenamtlich Engagierten etwas entgegengesetzt werden.
- Auch unter schwierigen Bedingungen solle Internationale Jugendarbeit partnerschaftlich gelebt werden, der Austausch fortgesetzt und die eigenen Werte vertreten werden.
- Die Internationale Jugendarbeit solle die Partizipationskultur stärken und junge Menschen befähigen, sich über globale Herausforderungen Gedanken zu machen. Mit der Youth4Peace-Konferenz habe IJAB gemeinsam mit den Fach- und Förderstellen genau das vor.
Poli endete mit einer guten Portion Optimismus: "Mit Zuversicht können wir auch herausforderungsvolle Zeiten meistern. Auch wenn es anstrengend und schwierig wird, können wir mit der Internationalen Jugendarbeit einen Beitrag zum Erhalt von Demokratien leisten."
Ein Feuerwerk an diskutierten Themen
Das Konzept der Jahrestagung sieht mehrere Formate der Mitwirkung von Fachkräften vor:
In sogenannten Peer Cafés konnten die Teilnehmenden im Sinne des kollegialen Austauschs ihre eigenen Ideen einbringen und weiterentwickeln. Viele Themen wurden im Vorfeld eingereicht und schließlich in Themeninseln geclustert:
- Räume für schwierige Themen und Umgang mit Emotionen
- Psychische Gesundheit in der Internationalen Jugendarbeit
- Partizipation und Einbindung von jungen Menschen
- Neue Zielgruppen ansprechen und erreichen
- Vernetzung & (internationale) Partnerschaften
- Storytelling: Inspirierende und herausfordernde Praxiserfahrungen
- Wirksam?! – Wirkungsevaluation in der Internationalen Jugendarbeit
- Absicherung und Anerkennung der Internationalen Jugendarbeit durch Lobbyarbeit?
- Praxiserfahrungen mit Digitalisierung und KI
- Fehlerkultur und Wissenstransfer
- Politische Verantwortung der Internationalen Jugendarbeit
- Ansätze politischer Bildung zur Demokratieförderung und Prävention von Radikalisierung
Die Unwägbarkeiten demokratiefeindlicher Tendenzen beschäftigten die Fachkräfte in der Themeninsel "Politische Verantwortung der Internationalen Jugendarbeit", auch im Hinblick auf die Frage, wie das Potenzial politisch bildend zu wirken genutzt werden kann, wenn Fördermittel gestrichen werden und Strukturen schrumpfen.
Betont wurde, das politische Bildung kein Selbstläufer sei. "Fachkräfte müssen befähigt werden, mit komplexen Situationen umzugehen und partizipative Prozesse zu gestalten", so eine Stimme aus den Peer-Cafés. Auch die Langzeitwirkung solle stärker in den Fokus rücken. Gleichzeitig böten Begegnungen von Natur aus bilaterale Perspektiven, die genutzt werden könnten, um politische Bildung innovativ weiterzuentwickeln.
Bei den Spotlights – einem marktähnlichen Setting – gab es viel Raum, um die Themen zu vertiefen oder über andere Aspekte miteinander ins Gespräch zu kommen, sich gezielt über Programme und Projekte zu informieren und zu vernetzen. Ob zu Qualifizierung von Fachkräften, Inklusion in der Internationalen Jugendarbeit oder Finanzierungsmöglichkeiten – das breite Angebot wurde gut genutzt.
Eine bereichernde Gelegenheit zum Austausch boten auch die informellen Gespräche zwischen den Programmpunkten. Das Fazit einer Teilnehmerin fasst die Ausrichtung des Tages gut zusammen: "Heute war richtig viel Demokratie!"
Vertiefung mit Substanz in den Thematischen Workshops
Am zweiten Tag der Veranstaltung konnten die Teilnehmenden aus fünf Workshop-Themen wählen.
- Workshop 1: Inklusive Projektgestaltung in der Internationalen Jugendarbeit:
Referentinnen: Ulrike Werner (IJAB) und Hanna Schüßler (JUGEND für Europa)
In intensiven Gesprächen wurde erarbeitet, wie inklusive Projekte gestaltet werden können. Inklusion bleibt – auch bei Überlagerung durch andere aktuelle Herausforderungen – ein Dauerthema und sollte grundlegend in Austauschformaten und -förderungen verankert sein, anstatt sich bei der Teilnehmenden-Akquise auf Personen mit Förderbedarf auszurichten.
- Workshop 2: Künstliche Intelligenz in der Internationalen Jugendarbeit verantwortungsvoll und kreativ nutzen
Referentin: Brigitte Binder (freiberufliche Trainerin KI for Good)
Der Fokus des Workshops lag vor allem darauf, die Chancen und Risiken von KI zu verstehen und einen verantwortungsvollen Umgang damit zu finden. Die Teilnehmenden konnten sich spielerisch mit dem Thema auseinandersetzen, indem sie ein KI-Tier erschufen. Da die Technologie serviceorientiert, aber nicht wahrheitsorientiert sei, solle ihr Einsatz kritisch hinterfragt und beispielsweise der Datenschutz beachtet werden.
- Workshop 3: Sichtbar handeln! Gegen Antisemitismus
Referentin: Ilira Aliai (ConAct – Deutsch-Israelischer Jugendaustausch)
Der Workshop zielte darauf ab, für das Thema Antisemitismus im Alltag zu sensibilisieren und motivierte die Teilnehmenden, aktiv dagegen vorzugehen. Die Referentin zeigte anhand von konkreten Fallbeispielen aus der Praxis auf, wie wichtig es ist, eine bewusste Haltung einzunehmen und sich mit Betroffenen zu solidarisieren. Sie gab zentrale Tipps zur Sichtbarmachung und regte an, die eigene Rolle in der Gesellschaft zu reflektieren. Dabei verwies sie auf die Handreichung, die für Alltagssituationen tauglich ist. Wer sich mehr mit dem Thema auseinandersetzen will, ist herzlich eingeladen zum Diskursprojekt von ConAct und IJAB. Die Anmeldung ist noch bis zum 16. März 2025 möglich.
- Workshop 4: Wie begegnen wir den aktuellen „politischen“ Herausforderungen in der Internationalen Jugendarbeit?
Referent*innen: Aurélien Durbec (IKAB) und Maria Acs (freiberufliche Prozessbegleiterin)
Der Workshop widmete sich der Formulierung und Aushandlung von Kontroversen – mit dem Ziel Auseinandersetzungen auszuhalten und Dynamik in der eigenen Meinungsbildung zuzulassen. Nach einiger Aushandlung legten die Teilnehmenden sich auf folgende Kontroverse fest: "Die Internationale Jugendarbeit trägt nicht zu Demokratiebildung, Vorurteileabbau und Frieden bei."
Mit der Methode "Bewegte Diskussion" kam buchstäblich Veränderung in die Meinungsbildung der Teilnehmenden: Je nach vorgetragenem Argument bewegten diese sich auf einem Kontinuum Schritt für Schritt von Pro nach Contra oder umgekehrt. Trotz lebhafter Diskussionen wurde auch anerkannt, dass die Internationale Jugendarbeit einen Beitrag zur Demokratiebildung leisten kann.
- Workshop 5: Kompetente Fachkräfte durch gute (internationale) Netzwerke
Referent*innen: Rita Bergstein (JUGEND für Europa) und Maximilian Deinlein (FAU Nürnberg-Erlangen)
Die Teilnehmenden analysierten bestehende Netzwerke und diskutierten, wie diese effektiver genutzt werden können. Begriffe und Strukturen wurden reflektiert, wobei der Fokus auf Kompetenzgewinn und die Definition von Netzwerkgrenzen lag.
Blick nach vorn mit Inspiration und Motivation
IJAB und JUGEND für Europa haben 2025 viel vor: Mit einem Ausblick zeigten JUGEND für Europa-Senior Referentin Rita Bergstein und IJAB-Geschäftsbereichsleiterin Mareike Ketelaar, wie die von den Teilnehmenden angesprochenen Herausforderungen in beiden Organisationen angegangen werden.
In Bezug auf die Sorge um eine sichere Finanzierung stehen bei JUGEND für Europa Verhandlungen bei der neuen Programmgeneration an, die Anerkennung der Internationalen Jugendarbeit auf politischer Ebene wird mithilfe des Aktionsmonats #internationalheart im September in den Blick genommen, junge Zielgruppen werden beim Jugendbeirat von JUGEND für Europa einbezogen und ein vielfältiges Angebot an Qualifizierungsmöglichkeiten steht beispielsweise bei IJAB zu Inklusion zur Verfügung.
Eine selbstbewusstere Interessensvertretung des Arbeitsfeldes, wie im Rahmen der Kinder- und Jugendplan Initiative 2024 sichtbar geschehen, sollten sich alle Kolleg*innen aus dem Arbeitsfeld zutrauen.
"Mit der Internationalen Jugendarbeit und der internationalen Perspektive sind wir genau die Richtigen, um uns mit Zuversicht für die Demokratie einzusetzen. Meine Zuversicht ist da!", betonte Ketelaar in ihren Abschiedsworten – ein Gedanke, der mit viel Applaus aufgenommen wurde. Einigkeit herrschte auch bei den teilnehmenden Fachkräften am Ende der Tagung darüber, dass trotz aller Herausforderungen Optimismus und Motivation gefragt sind und sie genau das sowie viel Inspiration von der Jahrestagung mitnehmen.
Die Veranstalter danken allen Beteiligten für ihre vielfältige Mitwirkung und freuen sich auf ein Wiedersehen spätestens im Jahr 2026.
Die Dokumentation der Veranstaltungen finden Sie auf Padlet: Jahrestagung 2025: "Fachkräfte im Blick"
(Quelle: IJAB e.V. / Bild: Fotostudio Heupel)