20.10.2020

Strategische Partnerschaft "Alles Wissen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit": Digitale Wissensplattform geschaffen

Eine neue virtuelle Wissensplattform bietet deutschsprachigen Fachkräften in der offenen Kinder- und Jugendarbeit Unterstützung bei ihrer täglichen Arbeit. Wie es den drei Fachverbänden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Rahmen einer Strategischen Partnerschaft gelang, ein anwenderfreundliches Recherche-Tool zu schaffen, berichtet Martin Bachhofer von der Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg e.V. in Stuttgart.

JUGEND für Europa: Die Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg e.V. (AGJF) unterstützt etwa 1.000 Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) bei ihrer Arbeit. Wie ist der Kontakt zu den Partnern der Strategischen Partnerschaft in Wien und Bern zustande gekommen?

Martin Bachhofer: Das kam über die Gründung des Kooperationsverbunds "Offene Kinder- und Jugendarbeit" in 2016 auf der Bundesebene. Dort haben wir mitgearbeitet und sind auf den österreichischen Partner, das Bundesweite Netzwerk offene Jugendarbeit in Wien und den Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz gestoßen. Wir hatten einen ersten gemeinsamen Fachtag und dort wurde relativ schnell deutlich, dass wir ein sehr ähnliches Verständnis von Offener Jugendarbeit haben in den drei Ländern. Gemeinsam haben wir überlegt, was wir zusammen machen könnten und dabei hat sich die Idee für die Wissensdatenbank entwickelt.

Thema ähnliches Verständnis: Wie hat sich das gezeigt? An konkreten Bedarfen oder eher aus historisch gewachsenen Ähnlichkeiten?

Tatsächlich beides! Die Diskurse, die wir in der Offenen Jugendarbeit mehr oder weniger strukturiert führen, sind relativ ähnlich in den Ländern. Schon 2016 ging es viel um Themen wie Digitalisierung, Fragen der Demokratiebildung und -entwicklung, Teilhabe an der Gesellschaft und politische Bildung. Auch das Thema employability wird in Österreich und der Schweiz ähnlich diskutiert. Dazu kommt, dass Begrifflichkeiten – die ja immer auch Konzepte sind – wie auch Zielgruppen und Methoden sehr ähnlich sind.

Wie kam es dann zu der virtuellen Wissensplattform, die vor drei Wochen online ging?

Die ursprüngliche Idee kam von den Kollegen aus der Schweiz, die schon ein erstes Quali-Tool online hatten und die Idee einbrachten, eine virtuelle Wissensplattform über die drei Länder hinweg aufzubauen. Sie hatten schon über eine wissenschaftlich fundierte Bedarfsanalyse positive Rückmeldungen aus der Fachwelt in der Schweiz bekommen.

Das haben wir, weil der Löwenanteil der Fachliteratur aus Deutschland kommt, dann noch einmal für Deutschland recherchiert und ein ähnliches Ergebnis erhalten: Wer Material und Literatur zur OKJA sucht, muss sehr viel Ausdauer an den Tag legen und es sich mühsam an verschiedenen Stellen im Netz zusammensuchen. Gutes Material findet sich so eher zufällig. Auf manchen Verlagsseiten gibt es vielleicht einen kurzen Abstract, aber auch die Verschlagwortung ist mangelhaft.

Der Punkt ist aber: Die Fachkräfte haben in der Praxis für eine aufwändige Recherche keine Zeitressourcen. Viele machen das privat, weil es ihnen wichtig ist und sind darauf angewiesen, rasch zu ihren Fragestellungen entsprechend aufbereitete Materialien zu finden.

Die Motivation war also, Wissen im deutschsprachigen Raum zu bündeln und Fachkräften vor Ort damit das Leben etwas leichter zu machen?

Genau, die Fachkräfte haben unglaublich viel Erfahrungen und Wissen – nur ist das ist nun mal nicht gesammelt verfügbar. Weil wir sehr intensiven Kontakt zu den Fachkräften haben, bilden wir uns ein, dass die Schlagworte, die wir auf der Plattform verwenden, auch praxisnah und verständlich sind: Man geht auf die Seite, gibt seinen Suchbegriff ein und kann durch die Trefferliste durchstöbern, weil alle Dokumente verschlagwortet sind.

Oft haben wir auch ein recht ausführliches Abstract geschrieben, damit klar ist, was die Leser in der Publikation genau erwartet. Dadurch ist der Suchende in der Lage zum Beispiel zum Thema "Flucht und Migration" gezielt Publikationen, Broschüren, Projektberichte, Studien oder auch Videos zusammen zu suchen. Dazu gehören auch Themen-Pakete, durch die wir den Diskursen etwas Struktur geben. Seit wir online sind, werden sie bereits sehr fleißig geklickt.

Wie hat man die Themen und Materialien aus der Flut des Vorhandenen denn ausgewählt? Wie lief der Prozess im Team ab?

Das war gar nicht so leicht! Am Anfang hatten wir überlegt Kategorien zu bilden mithilfe derer wir die Seite aufbauen. Das hat sich dann aber recht schnell als nicht sinnvoll erwiesen, da wir bei über 100 Kategorien waren, die sich auch teilweise überschnitten haben. Also haben wir sie nur als Leitlinien benutzt – sie kommen auf der Webseite selbst nicht zum Tragen, weil wir dort mit der Suchfunktion, den Schlagworten und den Abstracts arbeiten. Im Prozess selbst haben wir mit Arbeitstiteln gearbeitet, um Material zu sammeln, also zum Beispiel mit den Überschriften "Qualitätssicherung" oder "Employability".

Wir hatten ein Redaktionsteam bestehend aus Fachleuten aus allen drei Ländern, das nicht fest besetzt war, sondern sich je nach Thema verändert hat und die Auswahl getroffen hat. Das waren sowohl Leute aus der Praxis, als auch von den Hochschulen. Dieser Kreis hat sich sechs Mal getroffen. Manchmal ging die Auswahl ziemlich rasch, bei anderen haben wir richtig diskutiert, ob die  Publikation unseren Kriterien "Relevanz" für die Zielgruppe, "fachliche Qualität" und "theoretische Bezüge" auch genügt.

Und wahrscheinlich haben Sie dabei Einiges über die Strukturen in den Nachbarländern gelernt?

Ja, bis dato kannten wir die Partner kaum. Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es natürlich Unterschiede, etwa beim Sprachgebrauch und bei den Förderstrukturen. In Österreich gibt es zum Beispiel eine Art Staatsvertrag und dort heißt es nur "Offene Jugendarbeit" wohingegen in Deutschland der Standardbegriff  "Offene Kinder- und Jugendarbeit" ist. Arbeit mit Kindern wird dort konzeptionell getrennt verhandelt.

Die Plattform ist jetzt drei Wochen online – wie sind die ersten Rückmeldungen?

Sehr ermutigend! Viele sagen, dass sie viel mehr Materialien finden und auch von Hochschulen hören wir Positives, denn natürlich ist so ein Service auch für Studierende ein Gewinn. Auch zu den Videos gibt es erfreuliches Feedback, da diese einige Themen nochmals deutlich anschaulicher gestalten. Gerne würden wir die Plattform aktuell halten und weiterentwickeln, da sind wir aktuell auf der Suche nach Mitteln.

Im Herbst sind einige Infoworkshops zur Plattform geplant. Finden die coronabedingt nun rein digital statt?

Die Schweizer machen zwei analoge Veranstaltungen und eine digitale und auch in Österreich laufen sie sowohl digital als auch analog. In Deutschland haben wir uns dazu entschlossen, alle Workshops online anzubieten, aber regionale Schwerpunkte zu setzen.

In den Workshops wollen wir Multiplikatoren nahe bringen, wie man mit der Webseite arbeiten kann, damit sie dies in ihre Einrichtungen, an die Träger, Kommunen und Landkreise weitergeben können. Auch gibt es einen Teil zum Verhältnis von Theorie, Praxis und Forschung und eine Reflexion. Am 27. Oktober starten wir mit dem Termin für Nordrhein-Westfalen, am 5. November ist Baden-Württemberg an der Reihe und Anfang Dezember ist der Termin für Norddeutschland geplant. Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind am 2. Dezember dran. Dann sollen noch zwei weitere Termine für den Osten und die Mitte Deutschlands folgen.

(Das Interview führte Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa)

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Weiterführende Informationen

Die virtuelle Wissendatenbank erreichen Sie unter folgendem Link: https://dev.oja-wissen.info.

Das Projekt wurde gefördert über die Leitaktion 2 "Strategische Partnerschaften" des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION.

Über die AGJF: Der Fachverband vertritt freie und kommunale Träger der Kinder- und Jugendarbeit sowie Dachverbände auf Landkreisebene. Schwerpunktmäßig erreicht die AGJF  Jugendhäuser, -cafés oder -zentren, aber auch andere Formen der Offenen Jugendarbeit, wie Jugendfarmen, Aktivspielplätze oder Spielmobile. Alles zusammengezählt sind es etwa 1.000 Einrichtungen in Baden-Württemberg, die der Verband versucht, so konkret wie möglich zu unterstützen, etwa über Beratung, aber natürlich auch über das Mitwirken an Jugendpolitik auf der Landesebene. Mehr dazu unter: www.agjf.de