17.09.2019

"Natürlich hilft der Youthpass bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder einem Job..."

Karmen Murn / Foto: privat"... aber er ist noch wichtiger für die Selbstwahrnehmung." Karmen Murn koordiniert die internationale Jugendarbeit von Jugendkulturarbeit e.V. in Oldenburg. Vor allem als Tool zur Selbstreflektion nutzen sie den Youthpass dort schon lange. Damit in Zukunft noch mehr junge Menschen von ihm profitieren, haben Jugendliche im Rahmen einer Strategischen Partnerschaft sogar Video-Tutorials dazu entwickelt.

JUGEND für Europa: Frau Murn, welche Rolle spielt der Youthpass in Ihrer täglichen Arbeit?

Karmen Murn: Seit dem Bestehen von Jugendkulturarbeit e.V. im Jahr 1995 machen wir kulturelle Projekte mit Kindern und Jugendlichen aus den Bereichen Tanz, Theater, Kunst und Musik. Wir bieten die Möglichkeit, sich spielerisch, kreativ und aktiv mit der eigenen Lebenssituation und der anderer Menschen auseinanderzusetzen. In diesem Spektrum (von Jugendbegegnungen und Trainings aus Erasmus+ bis zu Freiwilligendiensten im Europäischen Solidaritätskorps) setzen wir den Youthpass ein, um die vor Ort erworbenen Kompetenzen zu dokumentieren.

Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht bisher?

Für uns ist der Youthpass ein Dokument, das die eigenen Lernerfolge festhält. Wir versuchen immer, die Jugendlichen zu motivieren, nach dem Austausch ihren Youthpass zu schreiben. Besonders stolz sind wir auf "Ignite Your Skills", eine Strategische Partnerschaft, die wir im Jahr 2017 mit Partnern aus Portugal, Kroatien, Slowenien und Ungarn durchgeführt haben. Dabei erstellten die Jugendlichen Video-Tutorials zu den acht Key-Kompetenzen (externer Link).

Wie hat das denn geklappt?

Es war für mich unglaublich, dass die Jugendlichen die Tutorials alle eigenständig erstellt haben. Für jede Schlüsselkompetenz mussten sie Beispiele finden und diese kreativ umsetzen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie geschickt sie sind, was die Mediennutzung angeht. Jetzt bewerben wir uns für ein follow-up, um die Tutorials anzupassen, weil sich die Schlüsselkompetenzen geändert haben.

Sehen Sie denn, dass sich etwas verändert hat durch die Videos? 

Nach einem Austausch sagte mir eine Teilnehmerin, dass sie glaubt, wir mögen den Youthpass nicht, weil es immer dann langweilig werde, wenn wir darüber sprechen. Das war ein Aha-Moment für mich. Wir müssen als Jugendarbeiter mehr erklären, warum der Youthpass überhaupt so wichtig ist. Dafür eignen sich die Videos sehr gut.

Trotzdem kann ich als Jugendarbeiterin natürlich nicht wissen, welche Prozesse in den Köpfen vor sich gehen. Aber ich habe das Gefühl, dass sich viele Jugendliche bewusster sind darüber, was sie machen können. Auch ich selbst musste verstehen, dass die Teilnehmenden meist nur das formale Schulsystem kennen. Also habe ich versucht, Parallelen dazu zu ziehen. Aber auch die Partnerorganisation ist entscheidend: Wenn dort Wert auf den Lernprozess gelegt wird, dann verinnerlichen die Jugendlichen das anders.

Gibt es da vielleicht auch Unterschiede zwischen den Ländern?

Ja, mir fällt da spontan eine Gruppe aus Marokko ein: Die Jugendlichen waren sehr viel eifriger und enthusiastischer den Youthpass zu schreiben, weil sie wissen, dass es eine Chance ist, ein Visum zu bekommen und nach Europa reisen zu können. Gleichzeitig ist es auch eine Art Erinnerung daran, dass sie mal in Europa waren. Ein Teilnehmer schrieb mir später, ob ich ihm seinen Youthpass nochmals schicken könne. Er hatte seinen verloren, hatte sich aber als Jugendarbeiter in Frankreich beworben. Manchmal sieht man also eine direkte, positive Auswirkung.

Wie läuft bei Ihnen denn der Prozess bei der Erstellung eines Youthpasses ab?

Wir haben bei einem kleinen Test festgestellt, dass es am meisten Sinn macht, den Youthpass und die acht Schlüsselkompetenzen am Anfang vorzustellen und die Teilnehmenden dann am letzten Tag nochmals daran zu erinnern, was sie in der Zeit persönlich gelernt haben. Manchmal nutzen wir auch ein Tagebuch-Format, aber das hängt davon ab, wie dynamisch das Projekt vom Thema und Programm angelegt ist. Wir zeigen den Teilnehmenden immer auch an einem Beispiel, wie es genau funktioniert und dann motivieren wir sie, den Youthpass zuhause zu erstellen.

Wo sehen sie noch Raum zur Verbesserung? 

Es wäre sehr gut, wenn es mobile Anwendungsmöglichkeiten gäbe! Wenn die Jugendlichen, den Youthpass einfach an den Geräten erstellen könnten, die sie sowieso immer dabei haben, also Smartphones oder Tablets, würde das unser Leben vereinfachen. Wir haben gar nicht genug Computer bei uns, als dass die Jugendlichen den Youthpass hier ausfüllen könnten.

Was sagen die Jugendlichen denn selbst darüber, wie sie den Youthpass nutzen? 

Natürlich hilft der Youthpass bei der Ausbildungsplatz- oder Jobsuche. Aber ich denke, er ist noch wichtiger für die Selbstwahrnehmung. Am Ende ist vielleicht gar nicht so wichtig was sie genau formuliert haben, sondern der Fakt, dass sie es getan haben. Denn das erinnert sie daran, wie es vorher war. Was mir viele Jugendlichen zurückmelden, wenn ich frage, an welchen Projekten sie gern in der Zukunft teilnehmen würden, ist, dass sie Projekte, die psychologische und soziale Themen ansprechen, besuchen möchten. Kommunikationsthemen, aber auch wie man ein Mädchen oder einen Jungen anspricht.

Hat sie das überrascht?

Ja, ich hatte gedacht, dass sie eher nicht über persönliche, individuelle Themen, sondern über Migration, Klimawandel usw. sprechen möchten. Aber sie haben diese Themen satt, weil sie jeden Tag damit konfrontiert sind. Sie leben in einer anderen Welt als die Jugendlichen vor 15 Jahren noch gelebt haben. Viele sind unheimlich tolerant und es geht für sie eher darum, wie sie die Vielfalt persönlich beeinflusst, auch um sich angemessen ausdrücken zu können. Ich habe oft das Gefühl, einige der Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, haben nicht genügend Möglichkeiten, sich in ihrem Alltag kreativ auszudrücken. Diese Möglichkeiten können wir dann hier bei uns bieten.

(Das Interview führte Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa / Foto:privat)

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Weiterführende Informationen

Link: Seit 2007 sind europaweit über eine Million Youthpass-Zertifikate ausgestellt worden. Mehr Informationen über Youthpass finden Sie unter: www.youthpass.eu

Link: Mehr Informationen zur Arbeit von der Jugendkulturarbeit e.V. in Oldenburg erfahren Sie hier: www.jugendkulturarbeit.eu/

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