21.02.2017

Europa für alle: Strategischer EFD als Chance, europäische Solidarität zu stärken

Christina Schulte von VIA e.V.

Der Verein für internationalen und interkulturellen Austausch (VIA) in Berlin ist seit den 1990er Jahren im EFD aktiv. JUGEND für Europa sprach auf der Projektwerkstatt mit Christina Schulte, die den Strategischen Europäischen Freiwilligendienst vor allem als Chance sieht, die Solidarität in Europa wiederzubeleben.

JfE: Frau Schulte, sie sind jetzt schon seit 20 Jahren bei VIA – da haben Sie sicher schon einiges mit dem Europäischen Freiwilligendienst erlebt.

Christina Schulte: Ja, VIA e.V. wurde 1992 gegründet und damals haben die Gründer als Studenten vom Küchentisch aus gearbeitet. Ich habe 1997 bei VIA e.V.  angefangen und die EFD-Einsatzstellen und Freiwilligen in Frankreich betreut. Da habe ich vor allem die Einsatzstellen mir angeschaut, die Freiwilligen vorbereitet und Seminare gemacht.

Andere Organisationen sprechen ja oft von dem Problem, neue Einsatzstellen zu finden. Wie ist das bei VIA e.V.?

Es ist mühsam, klar. Aber ich schreibe auch nicht hundert Briefe an alle Seniorenheime, sondern ich schaue ganz gezielt, wer als Einsatzstelle infrage kommt. Und dann arbeite ich ein paar Monate an der Partnerschaft und betone dabei, dass sie nicht mitmachen müssen. Wir haben etwas anzubieten, was gut finanziert ist. Wir müssen nicht Bittsteller sein, damit sie einen Freiwilligen aufnehmen.

Wenn der Funke dann nicht überspringt, ist es das falsche Projekt gewesen. Wenn sie aber erst einmal Freiwillige haben, dann bleiben sie auch dabei. Vor allem der Bereich der Pflege funktioniert richtig gut bei uns: Die Senioren haben Zeit und freuen sich, wenn jemand kommt. Und die Freiwilligen haben das Gefühl, dass sie gebraucht werden und etwas bewegen können.

Stichwort „Strategischer EFD“: Was hat da ihr Interesse geweckt?

Am Anfang wusste niemand, was sich dahinter verbirgt. Strategie, das klang für mich erst einmal etwas abschreckend. Aber ich habe mir das Konzept angeschaut und gemerkt, wo es bei mir andockt. Bei mir ist es das Thema: 'Mein Land zuerst. Ich zuerst. Teilen muss man nicht' a la Trump. Wir sehen gerade wieder, wie Italien und Griechenland mit der Flüchtlingsproblematik alleingelassen werden und sogar noch draufgehauen wird. Es gibt keine Solidarität mehr in Europa.

Ich finde, man kann zu Kanzlerin Merkel und ihren politischen Einstellungen stehen wie man möchte, aber für mich ist sie es, die versucht, die Kastanien aus dem Feuer zu holen und die den europäischen Gedanken am ehesten lebt. Und dann heißt es, Deutschland sei zu stark in Europa. Diese mangelnde Solidarität und der aufstrebende Nationalismus, das widerstrebt mir.

Das ist ja eigentlich genau das Gegenteil von dem, was ihr in den Anfängen des EFD gesagt habt: Europa von unten bauen und erlebbar machen.

Genau. Ich kenne die Mauer und Grenzen, die Schlangen und Kontrollen. Ost-Berlin war für mich als West-Berlinerin wie ein fremdes Land. In den Seminaren zu Beginn des EFDs ging es immer darum, ob man aus dem Osten oder Westen kommt – das war damals entscheidend.

Wenn die Freiwilligen dann zurückkamen, dann waren sie vor allem Europäer. Die die Schranken waren weg. Schengen war super, Europa war super – niemand hat das in Frage gestellt. Wir hatten Freiwillige aus Kroatien, die nur ein Deutschland-Visum hatten und total sauer deswegen waren. Denn alle anderen besaßen ein Schengen-Visu.

Und heute ist es einfach nicht mehr so. Für mich ist es ein absurder und erschreckender Gedanke, dass ein Land alleine durchs Leben gehen will, wie jetzt beim Brexit geschehen.

Europa ist Normalität geworden und die Bedeutung ist nicht mehr klar, weil man die Vorteile lange gelebt hat. Jetzt hofft man, dass man mit Nationalismus weiter kommt und da ist für mich der Strategische EFD ein Instrument, um zu zeigen, dass dem nicht so ist.

Haben Sie schon eine Projektidee?

Ich möchte über die Kombination verschiedener Aktionen für Teilnehmende erlebbar machen, was 'Europa' aktuell für das lokale Umfeld und die Gesellschaft bedeutet. Ich glaube, dass wir dazu alle Altersstufen einbeziehen müssen, da besonders in der älteren Generation die Vorteile des gemeinschaftlich verbundenen Europas nicht mehr überall präsent sind.

Gleichzeitig wollen wir mit den Bürgern Europas ins Gespräch kommen und sie zu ihren Ängsten, Wünschen und Visionen befragen. Eine strategische Idee wäre zum Beispiel einen gemeinsamen Blog aufzubauen, der von allen befüllt wird: Freiwilligen, Einsatzstellen, Organisationen und dass es kontinuierlich Trainings und Exkursionen gibt für die Pädagogen und die Freiwilligen.

Gibt es Länder, die Sie dabei gerne an Bord hätten?

Als erstes denke ich da natürlich an Großbritannien und Frankreich. Gerne auch Dänemark oder Ungarn – Länder, von denen wir wissen, dass wir da gute verlässliche Partnerstrukturen haben. Mit unbekannten Partnern würde ich so etwas nicht machen – man muss da ein ähnliches Verständnis von Arbeitsweisen und Verantwortung haben.

Ich hatte an ein Format mit vier oder fünf Ländern gedacht, die Freiwillige zu einem zwölfmonatigen EFD entsenden und empfangen. Vorbereitend gibt es Trainings zum Thema 'Solidarität und Europa'. Während der Dienste sollen dann flankierend verschiedene zusätzliche Aktionen auf lokaler Ebene, etwa an Schulen oder in Erwachsenen-Bildungszentren, stattfinden. In der Nachbereitung könnte es dann neben der Evaluation vor allem um die Zukunft und Verbreitung der Ergebnisse gehen.

Sie wollen mit ihrem strategischen Projekt ja auch Menschen erreichen, die diese Europa-Erfahrung noch nie gemacht haben.

Genau, wir müssen diejenigen ansprechen, die zum Beispiel für den Brexit gestimmt haben, sodass ein Lernprozess entsteht. Dass junge Menschen lernen, dass Politiker nicht 'die da oben' sind. Man kann auch ins Bürgerbüro gehen und dort wird sich für das interessiert , was man zu sagen hat. Nachhaltig zu bleiben, geht für mich vor allem über persönlichen Kontakt, Multiplikatoren, aber eben auch über Tools, wie den Blog, der ja immer weiter geschrieben werden kann.

Jetzt in der Projektwerkstatt kam die Kritik auf, dass es nicht genug Zeit zur Koordinierung der Partner gibt und nur einen Antragsteller, der die volle Verantwortung trägt. Wie sehen Sie das?

Ich würde die Partner natürlich auch lieber persönlich treffen als über Skype, aber es soll bei uns nicht daran scheitern. Wir haben schon mehrere große und langfristige Projekte gemacht, zum Beispiel mit Schauspielern mit Behinderung, die in Deutschland, Polen und Frankreich ein gemeinsames internationales Theaterstück gemacht haben. 2004 haben wir bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen eine Jugendbegegnung mit 100 Jugendlichen aus allen EU-Ländern gemacht, das war auch großartig.

Mit einem völlig neuen Partner allerdings würde ich den Strategischen EFD nicht machen.

Was würden Sie sich wünschen für den Strategischen EFD?

Der EFD und damit auch der Strategische EFD sind für mich Programme, bei denen man für sich selbst lernt: Sie sind nicht zweckgebunden und instrumentalisiert.

Wenn die Freiwilligen nach ihrem Dienst zurückkommen und wissen, was sie wollen, was sie können und was sie nicht wollen und nicht können, dann ist das doch das Beste, was man erreichen kann. Wir hatten einen jungen Mann mit Realschulabschluss und Schlosserausbildung, der seinen EFD in einer Einsatzstelle für Kinder mit Autismus absolviert hat. Er hat dort für sich herausgefunden, dass er eine Ausbildung zum Heilerzieher machen will.

Was mir nicht gefallen würde wäre, wenn Jugendliche im EFD Hilfe in einem Erdbebengebiet oder auf den Inseln leisten, die so stark von der Flüchtlingskrise betroffen sind. Da geht es nämlich in erster Linie um Arbeit und nicht um die Lernerfahrung.

(Das Interview führte Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa / Foto: Lisa Brüssler)

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