25.01.2017

What a feeling! Erasmus+ feierte Geburtstag

… und alle waren sich einig: Gerade in stürmischen Zeiten ist Erasmus+ unverzichtbar.

"Nichts stärkt die europäische Identität mehr als die Begegnung und das gelebte Miteinander über Ländergrenzen hinweg." Für diesen Satz aus der Einladung zur Geburtstagsfeier hätte sich die Veranstaltung schon gelohnt. Erasmus feierte das 30-Jährige mit "ganz großem Bahnhof" in Berlin. Mehr als 500 Teilnehmer aus allen Bildungsbereichen, zwei Ministerinnen, ein EU-Kommissar sowie eine Videobotschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigten überdeutlich, welchen Stellenwert die europäischen Bildungs- und Jugendprogramme in 30 Jahren gewonnen haben.

Die Präsenz der Prominenz machte auch deutlich, dass es nicht nur darum ging, das 30-jährige Jubiläum des Hochschulaustauschs zu feiern. Es ging ums Ganze, um alle Programmteile, auch JUGEND IN AKTION. Im Vordergrund der Würdigung standen aber zunächst die Grundwerte und Errungenschaften der Europäischen Union.

Erasmus+ - ein Friedensprogramm

Prof. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, beschwor ebenso wie Bundesjugendministerin Manuela Schwesig die Europäische Einheit als Bollwerk für Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität. Beide betonten mit Hinweis auf ihre DDR-Jugend die Freiheit und Freizügigkeit, die ein geeintes Europa garantiere.

Jugendministerin Schwesig stellte heraus, dass Erasmus+ ein Programm für alle Jugendlichen sei. Es sei eine Herausforderung dafür zu sorgen, dass alle jungen Menschen einen Zugang erhalten, insbesondere die, die keine entsprechende Unterstützung aus ihrem jeweiligen Umfeld haben. Ein "schickes Programm allein" und auch mehr Geld in der aktuellen Förderperiode reichten nicht aus, man müsse die Jugendlichen und die Multiplikatoren, "die so viel leisten" gezielt unterstützen.

Auch eine Fortsetzung des Programms sei kein Selbstläufer, es sei vielmehr mit Widerstand zu rechnen: "Wir haben Mitgliedstaaten, die wieder ganz stark national denken." Deswegen sei es wichtig deutlich zu machen, dass Erasmus+ ein Friedensprogramm sei, das Bildung, Gerechtigkeit, Wohlstand für alle brächte und nicht gegen andere Politikressorts ausgespielt werden dürfe. 

Gemeinsam mit der baden-württembergischen Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann (gegenwärtig Präsidentin der Kultusministerkonferenz) bezeichneten sie das Erasmus+-Programm als Erfolgsgeschichte, auch deswegen, weil es dazu beitrage, einen europäischen Wertekanon erlebbar zu machen: Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechte – Gemeinsamkeiten, auf die man stolz sein könne. "Europa lebt, es verbindet Menschen, es hat einen ganz konkreten Nutzen. Europa lohnt sich", sagte Schwesig.

Die Bundeskanzlerin wiederum dankte in ihrer Video-Grußbotschaft allen, die die europäische Zusammenarbeit im Jugend- und Bildungsbereich möglich machen, denn, so sagte sie, "dieses Glück braucht fortdauerndes Engagement, um es zu bewahren".

Erasmus+ - ein europäisches Gefühl

Noch deutlicher wurde Tibor Navracsics, EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport. Auch der Ungar erinnerte an seine Jugend hinter dem "Eisernen Vorhang", "in einem gespaltenen Europa, in dem Freizügigkeit ein Traum war". Millionen junge Menschen erlebten heute, "was es bedeutet, Europäer zu sein".

Erasmus+ habe das Bildungsniveau in Europa gehoben und trage damit zu Beschäftigung, Unabhängigkeit und sozialer Integration bei. Man habe erkannt, dass Menschen mit schwierigen Bedingungen besondere Unterstützung brauchen. Der Kampf gegen Exklusion und Jugendarbeitslosigkeit sei für das Programm daher zentral. "Erasmus+", so  Navracsics, "ist das beste Beispiel dafür, was die EU für ihre Bürger tun kann."

Er erinnerte an die schwierigen Anfänge des Programms und die heftigen Widerstände mancher Mitgliedstaaten gegen ein Bildungsprogramm. Und er wandte sich direkt an die jungen Leute: "Erasmus+ ist euer Programm", sagte er. "Frieden und Solidarität sind wertvoll, nehmt es nicht selbstverständlich". Europa sei das, was seine Jugend daraus mache. "Get a feeling for it!"

Erasmus+ - ein politischer Faktor

Das Pathos kam, wie es sich auf einer Geburtstagsfeier gehört, also nicht zu kurz. Nach einem Ausflug in die Erfolgsgeschichte aller Programmteile und nach Glückwünschen aus Nationalagenturen in Italien und Polen wurde es aber im zweiten Teil des Festes konkreter und - kritischer.

Adam, Europäischer Freiwilliger aus Großbritannien im Jugendbildungszentrum Blossin, berichtete von seiner Jugendarbeit in internationalen Maßnahmen dort. Felix, ehemaliger Europäischer Freiwilliger in Griechenland und nun EuroPeer, erzählte von seinen Plänen, in den bevorstehenden Semesterferien auf Lesbos Flüchtlingskindern zu helfen. 

Er habe selbst erfahren, was Solidarität in Europa heißt, sagte er. Er gehe gern zurück nach Griechenland um sich nützlich zu machen. Beide Freiwilligen stellten ihren Dienst in den Kontext der politischen Entwicklung in der Europäischen Union. Adam bedauerte den Brexit, Felix konnte sich als Deutscher in Griechenland ein Bild von der Lage des Landes jenseits von Klischees machen und dabei differenzrierte politische Diskussionen erleben.

Doris Klingenhagen, Referentin für Europäische Jugendpolitik und Integration/Migration bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und Mitglied des Beirats von Erasmus+ JUGEND IN AKTION, unterstrich den Unterschied nicht formaler Bildungserfahrungen im Vergleich zu Schule und Hochschule. Viele Jugendliche, so sagt sie, bräuchten eine Zeit, in der sie sich ausprobieren könnten, mit anderen gemeinsam für soziale, kulturelle oder politische Projekte engagierten und Orientierung für ihr Leben fänden. Auch deswegen sei das Programm in allen seinen Formaten wichtig, Kurz- wie Langzeitmaßnahmen, in der Gruppe oder allein, Jugendbegegnungen genauso wie der Fachkräfteaustausch.

Gefragt nach dem Europäischen Solidaritätskorps reagierte sie verhalten und verwies auf den Stand der Planungen, wo noch einiges im Unklaren sei. Solidarität sei schon jetzt eine wichtige Komponente im Jugendprogramm. Die Erfahrung lehre außerdem, dass die Jugendlichen in allen Maßnahmen eine gute Begleitung, Vor- und Nachbereitung benötigten.

Endgültig politisch wurde es, als Georg Pirker vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) das DARE-Netzwerk (Democracy and Human Rights Education in Europe) vorstellte. Er berichtete, wie das Programm zur Erwachsenenbildung (vormals Grundtvig) die Zivilgesellschaft in Europa gestärkt hat, wie über Workshops, Tagungen und  Austauschmaßnahmen Partnerschaften entstanden, die wiederum zur Entwicklung von verlässlichen Strukturen in den Mitgliedstaaten und in der EU führten – alles Errungenschaften, die mittlerweile wieder bedroht sind. Nationalismus, Europaskepsis, Demokratiefeindlichkeit und die damit einhergehende mangelnde Unterstützung im Heimatland könnten oft nur durch die Vernetzung auf europäischer Ebene bekämpft werden.

"Das Programm bietet einen gewissen Widerstand", sagte er. Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit seien europäische Werte, die über das Programm und über die bildungs- und jugendpolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene eingefordert werden könnten. Das gelte für die Erwachsenenbildung ebenso wie für die Jugendarbeit.

Erasmus+ - mit Reibungspunkten  

Wurde es bei diesen Schilderungen im Saal aufmerksam still, ging es im letzten Diskussionspanel hoch her. Daphne Büllesbach, Direktorin der "European Alternatives", einer europäischen zivilgesellschaftlichen Organisation, Carmen Stadelhofer, Wissenschaftlerin und Mitgründerin des Europäischen Netzwerks "Learning in Later Life (LiLL)", Willi Lemke, bis vor Kurzem Sonderberater für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden für den Generalsekretär der Vereinten Nationen und Prof. Dr. Matthias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik in Berlin, diskutierten anregend über den Zustand der EU im allgemeinen und Erasmus+ im Besonderen.

Geburtstag hin oder her - dass die Stimmung in Europa schlecht ist, wie Daphne Büllesbach bemerkte, war ihr Ausgangspunkt darüber nachzudenken, was zu tun sei mit einem "Europa am Scheideweg" und einem Programm mit Schönheitsfehlern. Sie kritisierte, dass auch ein Strukturierter Dialog wenig dazu beitrage, die Policy-Ebene zu erreichen. Dabei gebe es viele Ideen und erprobte Modelle der europäischen Zusammenarbeit, die nur aufgenommen werden müssten.

Auch Carmen Stadelhofer mahnte die Nachhaltigkeit des Programms an. Sie verlangte mehr Kontinuität und einen größeren Stellenwert der Erwachsenenbildung. Das Programm müsse für "die Allgemeinheit" offen stehen und stärker gesellschaftspolitische Fragen thematisieren. "Wenn wir über Europa sprechen, müssen wir auch mehr über Europa lernen", sagte sie. Berufliche Qualifikationen seien nicht alles.

Damit hatte sie zum Schluss eine programmimplizite Konfliktlinie benannt. Während Lemke und Jopp die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit lobten (Lemke mit Verweis auf Europa als "Gegenpol zur USA"), betonten Büllesbach und Stadelhofer die Notwendigkeit, zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken und das politische Bewusstsein der Programmteilnehmenden zu schärfen.

Erasmus+ - Happy Birthday  

Susanne Burger, Unterabteilungsleiterin "Europa" im BMBF, dankte abschließend den Beteiligten und forderte alle im Saal auf, "im europäischen Konkurrenzkampf der Themen" für eine Programmfortsetzung nach 2020 zu kämpfen. Mit den historisch nicht ganz korrekten, aber gern gehörten Worten "Bildungszusammenarbeit ist eine der tragenden Ideen der europäischen Einigkeit" entließ sie die Zuhörer in den Geburtstags-Abend mit Musik und freundschaftlichen Gesprächen.

(Dr. Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa)
Bild: Annegret Hultsch

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