06.11.2015

"Soziale Kompetenzen sind genauso wichtig wie Mathe und Chemie"

Beim 7. Parlamentarischen Abend diskutierten Abgeordnete mit Experten aus der internationalen Jugendarbeit. JUGEND für Europa und IJAB boten dazu ein Forum zur Frage, wie Internationale und Europäische Jugendarbeit mehr Anerkennung erhalten kann.

Welche Kompetenzen vermittelt europäische und internationale Jugendarbeit als Teil der non-formalen Bildung jungen Menschen? Wie können die internationalen Erfahrungen zur Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen und zur beruflichen Orientierung und Bildung beitragen? Diese und weitere Aspekte wurden am 5. November,  beim 7. Parlamentarischen Abend der Internationalen Jugendarbeit, thematisiert. Rund 170 Gäste aus Einrichtungen, Verbänden, Politik und Jugendforschung diskutierten in der Landesvertretung Saarland mit 16 Abgeordneten aus Bundestag und Europaparlament.

„Grenzen überschreiten ist eine Chance“

„Grenzen überschreiten: Was leistet internationale Jugendarbeit für junge Menschen in Übergangsphasen?“ lautete dieses Mal das Thema, zu dem ConAct – Koordinierungszentrum deutsch-israelischer Jugendaustausch, Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW), Deutsch-Polnisches Jugendwerk (DPJW), IJAB – Fachstelle für internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland, JUGEND für Europa – Nationale Agentur Erasmus+, Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (DRJA) und Tandem – Koordinierungszentrum deutsch-tschechischer Jugendaustausch in die Landesvertretung Saarland eingeladen hatten.

„Grenzen zu überschreiten, ist eine Chance“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Caren Marks, in ihrer Rede. „Internationale Jugendarbeit vermittelt Kompetenzen, stiftet Begegnungen und stärkt Persönlichkeiten“, unterstrich sie die Bedeutung der Fach- und Förderstellen für internationale Jugendarbeit. Von vielen Seiten werde gefordert, die sozialen Kompetenzen  neben der Fachkompetenz stärker zu fördern. „Das ist genauso wichtig wie Mathe, Bio und Chemie, denn beides zusammen macht den Menschen aus“, betonte Marks.

Diskussion in vier Foren

In vier Foren diskutierten Gastgeber und Gäste mit den Abgeordneten über Erfordernisse und Rahmenbedingungen für ein wirkungsvolles Arbeiten der Einrichtungen. Es ging darum, wie europäische und internationale Jugendarbeit mehr gesellschaftliche Anerkennung finden, wie internationale Austauscherfahrung auf die Persönlichkeitsbildung junger Menschen wirkt, welche Kompetenzen sie entwickeln und wie sich ihr Horizont erweitert. Auch die Frage, wie bislang unterrepräsentierte Zielgruppen für internationalen Austausch gewonnen werden können, war Thema. Weiterhin wurde debattiert, dass der Wert beruflicher Austauschprogramme und Auslandspraktika nicht auf die Arbeitsmarkttauglichkeit Jugendlicher reduziert werden darf.

Persönliches und Fachliches zum Thema "Anerkennung"

Nicht ganz einfach gestaltete sich die Diskussion im Forum 1 von JUGEND für Europa und IJAB "Persönlichkeit ist, wer ich bin und nicht nur, was ich arbeite – Internationale und Europäische Jugendarbeit bildet ganzheitlich!"

So konnten die anwesenden Abgeordneten Paul Lehrieder (CSU), Vorsitzender des Jugendausschusses im Bundestag, und Dr. Marianne Schieder (SPD), Mitglied im Bildungsausschuss, zwar einiges aus ihren jeweiligen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen aus anderen Ländern beitragen, die gesellschaftspolitische Dimension der Thematik brachte dagegen Azize Tank (DIE LINKE) ein, die in ihrem Statement den Blick auf wichtige Aspekt lenkte:

  • Internationale Jugendarbeit ist jetzt besonders wichtig als Lernraum und als Zeichen gegen den in Europa wachsenden Nationalismus;
  • es lohnt einen Blick auf den UN-Bildungsbegriff, der längst schon das Recht auf einen ganzheitlichen Zugang für alle Menschen festschreibt;
  • Bildung wird in diesem Sinne nicht angemessen gewürdigt, sie wird vor allem dann zum "großen" Thema, wenn es um ökonomische Herausforderungen geht;
  • im nicht formalen Lernen erworbene Kompetenzen lassen sich nicht in Schulnoten pressen;
  • Engagement im nicht formalen Rahmen wird heute noch niedriger bewertet als ein unbezahltes Praktikum in einem Unternehmen.

Zahlreiche und qualifizierte Hinweise auf Defizite aber auch konkrete Forderungen für mehr Anerkennung an die Abgeordneten kamen aus den Reihen der Teilnehmer. So wies Lisi Maier, Vorsitzende des DBJR, darauf hin, dass "Anerkennung" zunächst einmal "Ermöglichung" bedeute und forderte nicht nur bessere finanzielle Ausstattungen sondern auch eine dezidierte Verbesserung der Visafrage für die internationale Austauschmobilität Jugendlicher. Maier betonte auch die Forderung des DBJR, Zeiträume von ehrenamtlichem Engagement bei der BaföG-Zahlung zu berücksichtigen.

Ina Bielenberg, Geschäftsführerin im AdB, forderte mehr Anerkennung auch für Pädagogen und Pädagoginnen, die hochqualifiziert sind, Bildungsprozesse im Rahmen internationaler Maßnahmen mit jungen Menschen anzustoßen und zu begleiten.

Eine Teilnehmerin wies darauf hin, dass in der Bewerbung für bildungswissenschaftliche Studiengänge vorhandenes ehrenamtliches Engagement von den meisten Hochschulen in keiner Weise gewertet würde.

Rita Bergstein, JUGEND für Europa, lenkte den Blick auf einen Beschluss des Rates der EU, der die Mitgliedsländer bis 2018 auffordert, Regelungen für die Validierung des nicht formalen und informellen Lernens im Einklang mit nationale Gegebenheiten und Besonderheiten und nach eigenem Ermessen - bis spätestens 2018 einzuführen (Download des Beschlusses). Hier, so der Eindruck, passiere im Moment auf nationaler Ebene und gerade beim Gesetzgeber, eher zu wenig.

Paul Lehrieder wurde gebeten, sich als Vorsitzender des Jugendausschusses dafür stark zu machen, eine Forderung des Bundestages aus seinem Beschluss vom Juni 2015, die internationalen Jugend- und Schüleraustausch als Fundament in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu verankern, gegenüber der Bundesregierung konsequent umzusetzen. Im Beschluss heißt es:

"Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Willkommens- und Anerkennungskultur zu stärken, indem die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf die Bedeutung und den hohen Wert von kurz- und langfristigen Austauschprogrammen für junge Menschen, die nach Deutschland kommen, gelenkt wird;..." (Der Beschluss als Download).
 
Insgesamt prägten eher die Fachlichkeit der Teilnehmer und deren Verständnis für die Thematik das gemeinsame Forum von JUGEND für Europa und IJAB. Nicht alle anwesenden Abgeordneten konnten zur Debatte mehr als persönliche Erfahrungen beitragen. Die von den Teilnehmern benannten gesellschaftspolitischen womöglich normativen Herausforderungen kamen so zu kurz. Es gibt weiteren Erklärungsbedarf für die Internationale und Europäische Jugendarbeit.

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