05.02.2014

"Jedem Jugendlichen zum richtigen Zeitpunkt ein adäquates Angebot machen"

Am 1. Januar 2014 ist Erasmus+ gestartet. Was erwarten Bildungsträger und Projektverantwortliche aus dem Jugendbereich vom neuen Programm? Marco Heuer hat mit Torsten Rutinowski gesprochen. Er ist Leiter der Fachstelle für internationale Jugendarbeit des Jugendamtes Bochum.

Herr Rutinowski, Erasmus+ JUGEND IN AKTION steht auch für mehr Europa in die Kinder- und Jugendhilfe. Ist das der richtige Ansatz?

Ja, warum denn nicht? Zu beachten ist allerdings, dass jedem Jugendlichen auch zum richtigen Zeitpunkt ein adäquates Angebot gemacht werden sollte. Quantität ist nicht stets Ausweis von Qualität. Ich denke, es muss verhindert werden, dass es zu einem "Erasmus+-Rush" kommt.

Gerade angesichts der nicht unerheblich erhöhten Mittel sowie des Fokus auf spezielle Zielgruppen (NEETs) und auf die Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit – darf nicht aus dem Blick geraten, dass Qualität, Netzwerkarbeit, die Entwicklung von Organisationen und Individuen, sowie die Arbeit an den Ursprungsgedanken Europas und dessen Weiterentwicklung wichtige Aspekte der täglichen Arbeit sind.

Sind Sie denn zufrieden mit dem neuen Programm?

Das Paket ist geschnürt und bunt geschmückt mit einer Schleife in Höhe von 67 Prozent mehr Mitteln für Deutschland für den Bereich Jugend. Das ist ordentlich und zeigt, dass die Wichtigkeit internationaler Jugendarbeit in der Politik angekommen ist.

Bedauerlich ist sicherlich, dass nationale Jugendinitiativen im neuen Programm nicht mehr gefördert werden. Andererseits kann dies auch als Hinweis an die Programmländer verstanden werden, auf diesem Feld Eigeninitiative zu zeigen und selbst aktiv zu werden.

Kann die nicht formale Bildung helfen, Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen?

Ich denke, wir sollten die nicht formalen Bildungsformate nicht überstrapazieren. Sie sind nicht der Heilsbringer, der arbeitsmarktpolitische und sozialpolitische Probleme per se löst. Sie sollen auch nicht dafür herhalten, um einer proklamativen und operationalisierenden 2020-Strategie unreflektiert aufs diskursive Pferd zu verhelfen.

Was schlagen Sie also vor?

Europa braucht dringend eine Diskussion um einen Bildungsbegriff, der über bloße Performativität hinausgeht. Diese Diskussion sollte aus meiner Sicht sowohl europäisch als auch länderspezifisch geführt werden. Es wäre eine Auseinandersetzung, deren Einheit sich – um Habermas zu bemühen – in der Vielfalt ihrer Stimmen herstellt. Diese Stimmen zu hören braucht Zeit. Und genau diese Zeit sollten wir uns nehmen.

Was hat die nicht formale Bildung bereits gebracht?

Ich denke, dass Deutschland mit seinem dualen Ausbildungssystem und seinem dualen Studium auf einem guten Weg ist. Dazu hat maßgeblich auch die nicht formale Bildung beigetragen. Seit Jahren schon werden viele Formate und Aspekte des nicht formalen Lernens in der Berufsvorbereitung und Qualifizierung erfolgreich angewendet.

Denken Sie etwa an die Assessment-Methoden zur Evaluierung individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten. Teamfähigkeit, Flexibilität oder die Moderation von Arbeitsergebnissen sind in vielen Unternehmen bereits Standards. Leider werden die Formate und Methoden der nicht formalen Bildung aber oft nicht explizit als solche wahrgenommen. Darüberhinaus fehlt es teilweise auch noch an Anerkennung.

Durch Erasmus+ soll auch die Zusammenarbeit mit dem formalen Sektor gestärkt werden. Welche Planungen gibt es für das Jugendamt Bochum?

Wir befinden uns in der erfreulichen Lage, dass wir in diesem Januar 40 Schulsozialarbeiter fest einstellen konnten. Damit sind die Brücken hin zu einer engen Kooperation mit Schulen quasi schon gebaut. Konkret sind wir gerade damit beschäftigt, die verschiedenen Wege, Strukturen und Ziele der Zusammenarbeit gemeinsam mit Sozialarbeitern, Lehrern und Schulleitern zu erörtern.

Welche Rolle spielt die grenzüberschreitende Lernmobilität in Ihrer Arbeit?

Sie ist in der Fachstelle für internationale Jugendarbeit natürlich integraler Bestandteil der Arbeit. Neben der Vernetzung von lokalen und internationalen Akteuren bieten wir selbst, oft in Kooperation mit lokalen Trägern vor Ort, diverse Formate der internationalen Jugendarbeit an. Beispielhaft ist hier vielleicht die langjährige Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendfreizeithaus "Juma" – einer städtischen Einrichtung, für die die internationale Jugendarbeit mittlerweile ganz selbstverständlich dazugehört.

Aber auch international können sich die Ergebnisse sehen lassen – etwa nach unserem 14-tägigen Umweltprojekt RE-Cycle in Donji Vakuf (Bosnien-Herzegowina). Unterm Strich können wir sagen: Internationale Jugendarbeit wirkt nicht nur national und bezogen auf den einzelnen Jugendlichen, sondern auch international – mit Blick auf alle beteiligten Organisationen.

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Wie kann man das Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION für die eigene internationale und europäische Arbeit nutzen? JUGEND für Europa und die Bundesländer laden hierzu zu einer Launching-Tour ein. Alle Informationen und Termine finden Sie hier...

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