17.04.2009

Das Zauberwort - "Investing in Youth"

Jugendliche aus "bildungsfernen Schichten" haben ihre eigenen Themen und Bedürfnisse. Wie spricht man diese Jugendlichen an – vor allem, wenn es um Angebote für Europa geht? Darüber sprach Marco Heuer auf dem "Fachforum Europa" mit Hans-Eckart Steimle, Grundsatzreferent bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugendsozialarbeit (BAG EJSA).

Herr Steimle, wird 2009 ein gutes Jahr für bildungsferne Jugendliche?

Das hängt stark davon ab, ob jeder einzelne Jugendliche auch tatsächlich einmal erfährt, was individuelle Anerkennung bedeutet, ob er gefördert wird und teilhaben kann an der Gestaltung von positiven Zukunftsperspektiven. Ob das im Krisenjahr 2009 besser gelingen wird, da bin ich eher skeptisch. Erfahrungsgemäß trifft der wirtschaftliche Abschwung diejenigen, die auch schon zuvor eher zu den „Modernisierungsverlierern“ gehört haben, früher und direkter.

Dennoch: In den letzten Jahren hat es einige positive Veränderungen in der Bildungslandschaft gegeben. Ich hoffe daher, dass wir mit dem Abbau von Selektion und Segmentierung weiter vorankommen. Auch in punkto Bildungs- und Chancengerechtigkeit sollten wir besser werden.

Was muss passieren, damit diese Zielgruppe insgesamt stärker gefördert wird?

Das Zauberwort heißt „Investing in Youth“ – so hatte es die Europäische Kommission bereits 2005 in ihrer so genannten BEPA-Studie formuliert – eine differenzierte Untersuchung des Beratergremiums für Europäische Politik, eine Art unabhängiger Think Tank an der Seite von EU-Kommissionspräsident Barroso.

Die Studie zeigt: Es geht um einen umfassenden Förderansatz für ALLE jungen Menschen in der EU. Dazu bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, um auch benachteiligte bzw. bildungsferne Jugendliche zu fördern. Hierzu zählen unter anderem der Umbau und der finanzielle Ausbau des Bildungssystems sowie präventive Maßnahmen zur Förderung von Familien. Auch über neue Konzepte der (sozialen) Stadtentwicklung muss nachgedacht werden.

Für Deutschland heißt das: Wir brauchen endlich Strukturen, um die Teilhabe und Integration von jungen Mensche mit erhöhtem Förderbedarf zu ermöglichen. Das verlangt schließlich auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Und: Wir brauchen präventive und integrative Konzepte an der Schnittstelle zwischen formaler und non-formaler Bildung.

Gibt es (europabezogene) Erfolgsprojekte für bildungsferne Jugendliche, von denen man lernen kann?

Es gibt in der Tat bereits eine Vielzahl von erfolgreichen Projekten, vor allem EU-Projekte, die Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf unterstützen, sie gleichzeitig aber auch teilhaben lassen. Ich denke da an das EU-Jugendprogramm „JUGEND IN AKTION“. Auch EU-Förderprogramme wie „Leonardo“ oder „Progress“ zielen in die richtige Richtung.

Wichtig ist sicherlich auch das „Youth-Empowerment-Solution“-Projekt, eine Initiative zur Förderung von Partizipation und Mobilität bei  benachteiligten jungen Menschen. In dem Projekt konnten Jugendliche aus sechs EU-Ländern aktive Beteiligung erproben. Ihre Ergebnisse haben sie dann selbst auf internationalen Konferenzen vorgestellt und vor der EU-Kommission erläutert.

Was für Projekte wären in Zukunft wünschenswert?

Auf alle Fälle Projekte, in denen benachteiligte Jugendliche selbst aktiv werden können. Mobilität entwickeln, die Zukunft selbst mitgestalten können – das wären wichtige Stichworte. Jugendliche müssen zudem erfahren, was Anerkennung wirklich bedeutet.

In jedem Fall sind solche Projekte keine Phantasiegebilde, sie können finanziert und damit auch durchgeführt werden. Die Schwachstellen liegen woanders: Es fehlt oft an Kapazitäten, an Know-How. Immer wieder ist zu hören, der Aufwand sei zu groß. Dabei brauchen wir einen langen Atem. Und viele Einrichtungen – sei es nun in der offenen oder in der verbandsbezogenen Jugendarbeit – brauchen endlich eine vernünftige Infrastruktur.

Solange die Projektverantwortlichen immer wieder um ihre eigene Förderung und Anerkennung ringen müssen, brauchen wir uns über partizipative, lebenslange und prozessorientierte Projekte für benachteiligte Jugendliche nicht zu unterhalten.

Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Benedikt Sturzenhecker hat ein sechsstufiges Modell zur Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen entwickelt. Er nennt es „Demokratiebildung assistieren“. Was ist darunter zu verstehen?

 Sturzenhecker benennt in seinem Modell sechs verschiedene Stufen.

1. Sehen

Das heißt genau Hinsehen. Die Themen der Jugendlichen sind relevant, nicht die der Pädagogen. Benachteiligt heißt zudem nicht, dass Jugendliche aus (mittelschichts-)bildungsfernen Milieus unpolitisch, uninteressiert bzw. unmotiviert sind. 

2. Hypothetisches Verstehen

Das heißt genau Erkennen. Welche Bedürfnisse liegen hinter den Themen der Jugendlichen versteckt? Welche Interessen und Konflikte könnten verborgen sein?

3. Beziehungen eingehen, subjektive Anerkennung ermöglichen

Das heißt auch, Projektarbeit mit bildungsfernen Jugendlichen kann nicht mit fertigen Konzepten, Vorstellungen und Settings entwickelt werden.

4. Jugendlichen eine Stimme geben, sie öffentlich hör- und sichtbar machen

Das heißt, es reicht nicht, Ergebnisse eines Projekts nur auf eine Webseite zu stellen. Besser ist es, selbst die Geschichte der Jugendlichen zu hören, sich von ihnen die Welt zeigen lassen.

5. Selbst Position beziehen UND Konflikt und Diskurs ermöglichen

Das heißt, Projektarbeit mit bildungsfernen Jugendlichen braucht Bereitschaft zum Zuhören und zum Diskurs. Sie braucht Zeit und sie benötigt die Bereitschaft, individuelle und gemeinsame Interessen auszuhandeln.

6. Demokratische Rechte und Entscheidungsstrukturen schaffen

Das heißt, Klarheit haben, wer Entscheidungen trifft. Projektarbeit mit bildungsfernen Jugendlichen braucht Rahmenbedingungen, die diese Arbeit zulassen und ermöglichen.

Welche Ziele hat sich die BAG EJSA konkret für 2009 vorgenommen, um bildungsferne Jugendliche (noch stärker) zu fördern?

Wir haben uns für dieses Jahr eine hohe Messlatte gesetzt. Allein im Bereich der Arbeit von jungen Menschen mit Migrationshintergrund werden über 140 Jugendmigrationsdienste gefördert. Auch in der Jugendberufshilfe, der schulbezogenen Jugendsozialarbeit, im Jugendwohnen und in der europäischen Bildungsarbeit – allesamt weitere Tätigkeitsfelder der Evangelischen Jugendsozialarbeit – werden zahlreiche Projekte angeboten.

Zusätzlicher Schwerpunkt 2009 ist das Thema „Armut von Kindern und Jugendlichen“. Er dient auch als Vorbereitung auf das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung 2010. Zentrales Thema für die BAG EJSA ist aber unsere mehrfach gestellte Forderung nach einer neuen Kultur und Infrastruktur der Jugendsozialarbeit. Dazu wollen wir §13 des Achten Sozialgesetzbuches (KJHG) durch unser Jahresmotto 2009 „Jetzt schlägt´s 13 – JUGENDsozialarbeit STÄRKEN“ in den Blickpunkt rücken.

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Nähere Informationen zur Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugendsozialarbeit (BAG EJSA) gibt es unter www.bagejsa.de.
Informationen zum Y.E.S. Forum finden sich unter www.yes-forum.eu.

Wer §13 des Achten Sozialgesetzbuches zur „Jugendsozialarbeit“ nachlesen möchte, hat unter http://bundesrecht.juris.de/sgb_8/__13.html dazu Gelegenheit.

 

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