03.03.2008

Fachforum Europa 2008: Europapolitische Bildung ist mehr als nur Europakunde!

Was kann und was soll europapolitische Bildung leisten? Das fragten wir auf dem Fachforum Europa, Professor Dirk Lange, Leiter des Lehrstuhls für politische Bildungsforschung an der Universität Oldenburg.

Herr Lange, wie wichtig ist Europa heute in der politischen Bildung?
Die europäische Integration betrifft uns alle Tag für Tag. Nationalstaatliches Handeln verliert an Bedeutung zugunsten der europäischen Ebene. Bürger, die die politischen und gesellschaftlichen Prozesse in ihrem Umfeld durchschauen möchten, müssen die Verflechtung nationaler und europäischer Politik verstehen lernen. Doch die Zivilgesellschaft hinkt der Politik hinterher. Viele Menschen denken noch zu sehr in nationalen Kategorien. Hier muss politische Bildungsarbeit ansetzen - allerdings müsste sie sich dafür selbst stärker europäisieren.

Wo liegen die Defizite?
Wir sollten Europa nicht ausschließlich als eigenen Unterrichtsgegenstand betrachten. Die europäische Dimension sollte in der politischen Bildung immer von vornherein mitgedacht werden. Leider wird europapolitische Bildung aber oft nur als Europakunde betrieben, bei der die europäischen Institutionen und die politischen Prozesse der EU erklärt werden. Oder sie wird dazu benutzt, eine Europa-Euphorie herbeizureden und den Menschen eine europäische Identität anzuerziehen. Doch solch eine normative Europavermittlung kann nicht die Aufgabe der politischen Bildung sein.

Was sollte denn das Ziel europapolitischer Bildung sein?
Politische Bildung soll mündige Bürger dazu befähigen, sich in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu orientieren und darin interessengeleitet handeln zu können. Dazu gehört auch, ein Verständnis vom Zusammenleben in der europäischen Gesellschaft zu entwickeln, von historischen Entwicklungen, von Werten, Kommunikation und sozialem Wandel.

Welche Entwicklungen in Europa sind denn derzeit von Belang?
Von Bedeutung für jeden einzelnen sind unter anderem sozialer Wandel, Globalisierung, Migration und neue Formen der Zugehörigkeit. Die Menschen in Europa werden mobiler, leben und arbeiten öfter im Ausland und halten mehrere Identitäten parallel aufrecht. Sozialwissenschaftler sprechen von einer „plurilokalen Zugehörigkeit". Europapolitische Bildung könnte sich der Frage zuwenden, was das für unser Zusammenleben in Europa bedeutet.

Gibt es darüber hinaus auch gemeinsame europäische Werte, die in der Bildungsarbeit vermittelt werden könnten?
Die europäischen Gesellschaften teilen Werte, die schon in der Zeit der französischen Revolution entstanden sind: Freiheit, Gleichheit, Solidarität und ein friedlicher Umgang miteinander. Viele Menschen verbinden diese Werte aber nur mit der eigenen Nation. Migranten dagegen, die nach Europa kommen, betrachten Friede, Wohlstand und Arbeit als Vorzüge des gesamten Kontinents. Für sie ist es gleich, ob sie in Frankreich oder England leben. Auf ihre Weise sind sie ideale Europäer, da sie die einzelstaatliche Identität überwunden haben.


Das Interview mit Prof. Dr. Dirk Lange führte Andreas Menn.

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