08.06.2010

Strukturierter Dialog - Meine Stadt, meine Meinung

Beim Projekt "Face 2 Face" des Paritätischen Bildungswerks in Frankfurt sagen Jugendliche den Politikmachern ihrer Stadt die Meinung und treffen sich in Arbeitsgruppen, um ihre Ideen voranzubringen.

Etwas zögerlich steht einer der Jungs in der Gruppe auf, nimmt das Mikro in die Hand und schaut dem Stadtverordneten in die Augen. Dann legt er los: "Ich finde, dass man oft indirekt diskriminiert wird wegen seines Aussehens. Viele Jugendliche geraten deshalb auf einen schlechten Weg und sehen Waffen als letzte Lösung. Die Politiker führen ein ganz anderes Leben als wir, die sollten sich mal als Lehrer tarnen und in die Schule gehen."

Der Stadtverordnete im Frankfurter Rathaus, dem Römer, hört sich geduldig an, was der Schüler ihm zu sagen hat. Er erklärt, dass die Kommunalpolitiker durchaus mitten im Leben stehen und alle noch einen Hauptjob haben – was viele Schüler gar nicht wussten.

Eine Lösung kann er dennoch nicht gleich anbieten, dafür ist das Problem auch zu vielschichtig: Über Waffengewalt in Schulen und Jugendeinrichtungen hat die Gruppe zuvor diskutiert, ist dabei auf mangelnde Unterstützung für Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien gekommen. Auch braucht es nötige Fortbildungen für Lehrer in Konfliktprävention.

Einmischen und mitgestalten

Das Projekt "Face 2 Face" des Paritätischen Bildungswerk Bundesverbands gibt Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Chance, sich einzumischen in die Frankfurter Stadtpolitik. Und sich damit einzusetzen für die eigenen Belange.

Die Themen, die zur Sprache kommen, bewegen viele. Es geht um die Qualität der Bildung, um Ausbildungsplätze und berufliche Perspektiven nach der Schule, um Machtmissbrauch von Polizei, Lehrern und Türstehern, um kulturelle Angebote für junge Menschen.

70 Jugendliche aus verschiedenen Stadtteilen und Schulformen kamen beim ersten "Face 2 Face"-Treffen zusammen. Die Teilnehmer erzählten den Politikern dabei nicht nur, dass sie leer stehende Gebäude wie die Naxos-Halle gern für Kunstprojekte nutzen würden. Dass sie sich über den verstärkten Einsatz der neuen Medien im Unterricht freuen würden, sich nachts bei Polizeikontrollen häufig schikaniert fühlen und manche Hauptschülerin mit dem Abschluss in der Tasche nach ein paar gescheiterten Bewerbungen als Arzthelferin nie wieder etwas von ihrer Arbeitsvermittlerin gehört hat.

Über die inhaltlichen Debatten hinaus stellten sich die Jungen und Mädchen auch der Herausforderung, gegenüber den Erwachsenen ihre Argumente zu vertreten, Gruppen zu moderieren und vor dem Plenum Ergebnisse zu präsentieren.

Zwar beteiligten sich auch Schulsprecher und andere bereits organisierte Jugendliche an der Veranstaltung, doch längst nicht alle Teilnehmer waren geübt darin, in großer Runde frei über ihre Belange zu sprechen – und hatten dennoch Lust, sich einzubringen.

Jugendlichen „echte Macht“ geben!?

Gleichzeitig saßen die Vertreter jugendpolitischer Institutionen, Stadtverwaltung und Kommunalpolitik zusammen und berieten, wie Jugendliche stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen werden können. Dabei ging es auch um die Frage, ob Kinder- und Jugendbeteiligung rechtlich stärker verankert werden soll, wie es in anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Finnland, bereits geschehen ist.

Ein Stadtverordneter stellte zur Diskussion, ob die Stadt bereit ist, von den "Spielereien" wegzukommen und den Jugendlichen "echte Macht" zu geben: Sie etwa im Jugendhilfeausschuss mitentscheiden zu lassen über die Vergabe dreistelliger Millionenbeträge oder ihnen in den Schulen Stimmrecht bei Personalentscheidungen zuzugestehen. Spannende Themen, die mittel- und langfristig immer wieder aufkommen werden.

Denn das Treffen im Römer war erst der Auftakt des Projekts Face 2 Face. Die Arbeit geht jetzt erst richtig los: Bis September treffen sich die Jugendlichen in den einzelnen Schwerpunktgruppen im Zwei-Wochen-Rhythmus, um Anforderungen an die Jugendpolitik zu entwickeln und praktische Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.

Im Herbst wollen alle Beteiligten wieder im Plenum zusammen kommen und Wege zur weiteren Verfestigung des dauerhaften Dialogs beschließen. Die Jugendlichen, soviel ist klar, wollen möglichst schnell konkrete Ergebnisse ihres Einsatzes sehen. Diese sollen dann als Anregung auch in die jugendpolitische Diskussion in der Europäischen Union weitergetragen werden.

(Nina Voigt)

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Hintergrund

Viele der Themen, die Jugendliche vor Ort bewegen, besitzen eine europäische Dimension. Die Fragen beispielsweise nach der Qualität von Bildung, nach Ausbildungsplätzen und nach beruflichen Perspektiven haben europaweit Gültigkeit.

Die Europäische Kommission will junge Menschen in die Gestaltung von (europäischer) Jugendpolitik einbinden. Mit der "Aktion 5.1 – Begegnungen junger Menschen mit Verantwortlichen für Jugendpolitik" des EU-Programms JUGEND IN AKTION hat sie ein Instrument geschaffen, um dieses Ziel zu erreichen.

Dieser so genannte Strukturierte Dialog zwischen Jugendlichen und Verantwortlichen für Jugendpolitik, der durch die Aktion 5.1 initiiert wird, beteiligt Jugendliche "von unten nach oben" (von lokalen / regionalen Treffen über die nationale Ebene) an europäischer Politik. Sie sollen so die Möglichkeit erhalten, wirksam politische Prozesse mitgestalten zu können.

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Face 2 Face ist ein Projekt des Paritätischen Bildungswerk Bundesverbands. Es wird gefördert im Rahmen des Strukturierten Dialoges. Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite www.face2face-ffm.de/.

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