19.02.2010

Nichts für den Hinterhof: Die Aktion 5.1. fördert Dialog und Struktur

Die Aktion 5.1 in JUGEND in Aktion ist eine Klasse für sich. „Begegnungen junger Menschen mit Verantwortlichen für Jugendpolitik“ heißt sie mit offiziellem Namen.  Die Aktion zum „Strukturierten Dialog“ nennen sie die Insider. Und wenn die das Ganze dann noch mit „SD“ abkürzen, wird es nicht besser. Was verbirgt sich dahinter?

Projekte der Aktion 5.1 sind jedenfalls putzmunter, ideenreich und sehr ehrgeizig. Das konnte man auf einer Tagung der Nationalagentur JUGEND für Europa vom 15.-16. Dezember 2009 erfahren, bei der es darum ging, politische Entwicklungen und Projekte zum Strukturierten Dialog auszuwerten und zu vernetzen.  

Was ist ein Strukturierter Dialog?

Seit 2005 taucht der Begriff „Strukturierter Dialog“ in den jugendpolitischen Dokumenten der Europäischen Union auf. Mit dem Strukturierten Dialog sollen Jugendliche „von unten nach oben“, also von der lokalen oder regionalen Ebene über die nationale Ebene an europäischer Politik beteiligt werden. Alle jungen Menschen sollen sich am Strukturierten Dialog beteiligen. Benachteiligte ebenso wie nicht-organisierte Jugendliche besitzen in den Förderkriterien einen besonderen Stellenwert.

Während die Nutzung der Aktion 5.1., die Jugendseminare, Konferenzen,Kampagnen, kommunale Runde Tische oder andere Formate fördert, in vielen anderen EU-Ländern schleppend anlief, setzte die deutsche Nationalagentur von Beginn an auf die Kooperation mit den Jugendverbänden. Eine fruchtbare Allianz, aus der ein gemeinsames Konzept hervorging, das für potenzielle Antragsteller Qualitätsstandards für einen „Strukturierten Dialog“ vorschlägt.

Aktuell nennt die neue Jugendstrategie der EU (siehe http://www.jugendpolitikineuropa.de/europzusammen/news-596.html) erstmals konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des „SD“, wie Jochen Rummenhöller, Internationaler Referent beim DBJR, zu Beginn des Treffens befriedigt feststellte. Für die Gesamtkoordinierung des Strukturierten Dialogs soll ein „europäischer Lenkungsausschuss“ zuständig sein, der aus Vertretern der für Jugendfragen zuständigen Ministerien der Länder des jeweiligen Dreiervorsitzes und aus Vertretern von deren nationalen Jugendräten und Nationalen Agenturen für das Programm JUGEND IN AKTION sowie aus Vertretern der Europäischen Kommission und des Europäischen Jugendforums Vor allem mit der Einrichtung einer zusammengesetzt ist. Die Mitgliedsländer sind aufgefordert, den Dialog mit der Jugend auf allen Ebenen zu den jeweiligen Dreijahres-Prioritäten zu führen und eine nationale Arbeitsgruppe zum Strukturierten Dialog zu gründen. Damit „könne man gut arbeiten“, meinte Rummenhöller. Immerhin bedeute dies ein stetes Monitoring sowie die Ermittlung und Verbreitung bewährter Verfahren. Die Schwerpunkte der kommenden Jahre bieten überdies geborene Anknüpfungspunkte: im 2. Halbjahr 2010 geht es um Jugendarbeit, im 1. Halbjahr 2011 um die Teilhabe Jugendlicher.

Projekte in Deutschland

Dass es dann doch Träger und Gruppen gibt, die sich unter einem Strukturierten Dialog etwas vorstellen können, beweist die hohe Antrags- und Bewilligungsquote in Deutschland. Hier konnten von 28 Anträgen 21 bewilligt werden – mit 75% eine gute Quote, wie Claudius Siebel, Programmreferent bei JUGEND für Europa, berichtete. Mit 290.000 Euro jährlich werden in Deutschland Modell- und Pilotprojekte insgesamt gefördert. Sie alle suchen Wege, Formate und Methoden, um die direkte Begegnung mit Politik und die politische Meinungsbildung Jugendlicher zu unterstützen sowie deren Einflussmöglichkeiten zu erhöhen. 

Die Projekte finden auf der Ebene von Bundesländern, in größeren Kommunen und Regierungsbezirken statt und werden in der Regel von einem breiten Bündnis von Partnern getragen. Die Einbindung von offiziellen Stellen und Politikern verschiedener Ebenen sowie die Beteiligung möglichst vieler Jugendlicher prägen ebenfalls das Profil dieser Aktivitäten. Antragsteller fungieren als Regionale Koordinierungsstellen, welche die Gesamtkoordination, die Unterstützung der beteiligten Partner, den Transfer der Ergebnisse an Land, Bund, EU übernehmen und sich an Maßnamen zur Auswertung, zur Vernetzung und Zusammenführung der Ergebnisse beteiligen.

„Europa geht weiter“

Ein typisches Beispiel für eine Regionale Koordinierungsstelle stellte Johannes Röhr mit der Arbeitsgruppe und dem Projektbüro „EXCHANgE“ der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V. vor. Die AG umfasst über 20 Vereine, die sich mit internationaler Jugendarbeit beschäftigen, sowie Vertreter der Staatskanzlei und des Jugendministeriums Sachsen-Anhalts. Unter dem Titel „Europa geht weiter – Dialog der Jugend!" nimmt Europabildung einen großen Teil der Aktivitäten ein. Rund um ein großes Jugendtreffen im Jahr 2008, auf dem in Workshops über EU-Politik gebrütet und Erwartungen und Forderungen an die neue EU Jugendstrategie gesammelt wurden, gab es auch eine Mini-Förderung für Jugendliche von 100 EUR, wenn sie ein Projekt innerhalb des nächsten Monats umsetzten. Für 2010 hat man sich eine „Spurensuche“ in Sachsen-Anhalt vorgenommen. Damit sollen Schülerinnen und Schüler aufgefordert werden zu suchen, worin überall Europa steckt und welche Bedeutung das für die Jugendlichen hat. Apropos Schüler: Das Projekt vereint bewusst formale und nicht-formale Bildung: Jugendarbeit und Schulen arbeiten zusammen, das Kultusministerium ist mit im Boot und „Europa geht weiter“ als Lehrerfortbildung anerkannt. (Mehr dazu auf der Webseite www.jugend-lsa.de/exchange/drupal/)

Coole Ideen

Gleich mehrere Überschriften bot  Christian Röser vom Verein „Die Starkmacher e.V. in Mannheim für den von ihm vorgestellten Projektansatz: „Jugendliche für Jugendliche“, „Partizipation ernst gemeint“ in einem „echten Dialog“ nannte er als Devisen für das Projekt „Steig ein, du bist am Zug“, ein „Speeddating mit der Politik“. 

Wie auch einige andere Projekte setzte der „Starkmacher e.V.“ darauf, Politik und Jugendliche auf einer individuellen, auch persönlichen Ebene zueinander zubringen. Dafür hatten sich die beteiligten Jugendlichen einen ungewöhnlichen Ort ausgedacht, der sowohl Aufmerksamkeit erregte als auch praktischen Nutzen hatte. „Wir packten die Politiker in eine Straßenbahn und ließen die im öffentlichen Raum im Kreis fahren“, berichtete Christian Röser. „Die Jugendlichen haben sich so verhalten, wie sie sind, die Politiker konnten nicht weg.“ Wiewohl logistisch nicht einfach – immerhin mussten die Rhein-Neckar-Verkehr-GmbH gewonnen und der Fahrplan zwischen Mannheim und Heidelberg umgestellt werden – war die Idee bestechend einfach und entsprechend erfolgreich. Die Jugendlichen bereiteten ihre Fragen in der Schule vor, die „reisenden“ Stadträte und jugendpolitischen Sprecher standen Rede und Antwort. Dabei ging es nicht nur um knallharte politische Probleme, es wurden unter anderem auch die verschiedenen Lebenswelten und die Distanz zwischen Politkern und Jugendlichen thematisiert.

Die Straßenbahn-Aktion, die die zuhörenden Kolleginnen und Kollegen durch die Bank begeisterte, war eingebettet in weitere europapolitische Projekte der Starkmacher und anderer engagierter Vereine in Mannheim. Für den kommenden März ist eine Jugendpolitikwoche geplant. Die, so erzählt Christian Röser, solle bisher erst einmal nur „Raum“ bieten. „Wir trauen uns, den Jugendlichen anzubieten, dass sie damit machen können, was sie wollen. Das kann überraschend sein!“ Auch die „Straßenbahn-Politiker“ werden eingeladen, sich an der Vorbereitung zu beteiligen. Langweilig wird das nicht werden, denn der Verein legt neben „echter“ Partizipation Wert auf „Visibilität“. Dafür gebe es die Aktion 5.1., lobt Röser lachend, „dass man damit so viele geniale Ideen umsetzen kann und nicht im Hinterhof versauern muss.“ (Mehr auf der Webseite www.starkmacher.eu)

Face to Face

Visibilität, öffentliche Anerkennung, vor allem aber nachhaltige, etablierte Formen der Beteiligung, eben die Struktur im Strukturierten Dialog, das blieb ein durchgehender Diskussionspunkt. Es sei ja auch gar nicht das Problem, dass Jugendliche keine Lust hätten, sich zu beteiligen, bestätigte Iris Bawidamann vom Paritätischen Bildungswerk Bundesverband e.V.: „Das Problem ist, dass die Formen dafür fehlen oder die Erwachsenen keine Macht abgeben wollen.“ Für einen „Strukturierten Dialog“ müsse man daher auch wirklich Strukturen schaffen. Der Bundesverband will das mit einem Pilotprojekt „Face to Face“ in Frankfurt versuchen. Bei einem Treffen im Frühjahr wollen etwa 100 Jugendliche Antworten auf die Fragen finden, wo und wie sie mitreden wollen. Eine Gruppe von 10-15 Jugendlichen bereitet dabei nicht nur das Event vor, sondern werden auch zu Multiplikatoren ausgebildet, um weitere Interessierte zu werben.

Die Einbindung etlicher Netzwerkpartner soll dafür sorgen, dass die Ideen der Jugendlichen Innerhalb von sechs Monaten mithilfe von Verantwortlichen umgesetzt werden. Dafür strickt man an einer Allianz politikrelevanter Stellen und Entscheidungsträger. Politik, Bildungsträger, Interessenvertretungen und Verwaltung – alle, die etwas mit Jugendpolitik zu tun haben, von der kommunalen bis zur europäischen Ebene, sollen gewonnen werden. Mit dem breiten Bündnis möchten die Organisatoren nicht nur Jugendlichen die Scheu zu nehmen, für ihre Belange einzutreten und mit der Bestandsaufnahme – was gibt es schon in Frankfurt, was brauchen wir – dafür sorgen, dass die politische Partizipantin Jugendlicher in Frankfurt nicht dem Zufall überlassen bleibt. Wenn das, so hofft Iris Bawidamann, für Frankfurt funktioniert, könnte am Ähnliches auch auf Bundesebene ausprobieren.

Think big

Die Vorstellung geförderter Projekte führte die Teilnehmenden des Auswertungs- und Vernetzungstreffens auch in den Workshops auf die Frage, wie Beteiligungsstrukturen geschaffen und langfristig etabliert werden können. Oftmals beißt sich die innovative Idee der Jugendlichen mit etablierten Politik- und Partizipationsformen und unter einem „Strukturierten“ Dialog versteht dann jeder etwas anderes. Und neben dem notwendigen politischen Willen, so war man sich einig, bedarf die Nachhaltigkeit von Partizipationsprojekten einer dauerhaften finanziellen Unterstützung. Die Etablierung politischer Strukturen sei ein zu langfristiger Prozess, als dass sich entsprechende Initiativen allein tragen könnten. Und während sich für kommunale Fragen überschaubare Strukturen schaffen lassen, fällt der Schritt zu europäischen Themen selbst Politikerinnen und Politikern schwer. Hier richtete sich die Aufmerksamkeit der Runde dann eher auf die Bundesebene, von der man sowohl Unterstützung und Koordinierung erwartet, als auch verlässliche Bindeglieder zur europäischen Politikebene.

Für das „Think big“ in Form europäischer Partizipationsplattformen wurden dann auch weitere Hürden genannt, allen voran die Identifizierung von „geeigneten öffentlichen Stellen“. Wer das sein könnte, wie man diese findet und wie möglichst breite Beteiligungsmöglichkeiten strukturell geschaffen werden können, bleibt aber auch nach der erneuerten Jugendstrategie und der Aussicht auf eine europäische und nationale Arbeitsgruppen unbeantwortet.

Dennoch war man sich einig, dass die im Anhang der Jugendstrategie beschriebenen Instrumente für die Förderung eines Strukturierten Dialogs „mehr Chancen, mehr Durchschlagskraft und mehr Qualität“ bringe, wie Jochen Rummenhöller vom Deutschen Bundesjugendring in seinem Resümee bekräftigte. Der DBJR sehe sich als Sammelstelle unter anderem für Informationen und Materialien zum Strukturierten Dialog. Das Programm JUGEND in Aktion wird diese Entwicklung nicht nur finanziell, sondern auch tatkräftig unterstützen. Sie bietet geeignete Mittel, um über Internet und bundesweite Veranstaltungen Praxisprojekte und Akteure öffentlich zu machen, zu vernetzen und damit auch zur Qualitätssicherung und -entwicklung beizutragen. In diesem Sinne kündigte Claudius Siebel auch eine Dokumentation mit den zentralen Ergebnissen des Treffens an. Er ist optimistisch: „Vor ein paar Jahren traf sich hier noch kleine Gruppe. Dieses Mal hat das Bundesjugendministerium deutliches Interesse an den Ergebnissen gezeigt.“

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Informationen zur Aktion 5.1. gibt es auf der Homepage von JUGEND für Europa.

(Dr. Helle Becker)

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