12.12.2006

Fachforum Europa 2006: Europa darf kein elitäres Projekt werden

Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte, Leiter der Europäischen Akademie Berlin, war Gastredner auf der von JUGEND für Europa mitorganisierten Fachtagung „Europa vermitteln“.

Marco Heuer sprach mit ihm über die Zukunft der europapolitischen Bildung, Geldnot und seine Hoffnung an die deutsche Ratspräsidentschaft.

JfE: Herr Stratenschulte, für eine Studie der Europäischen Kommission werten Sie derzeit die schulischen Lehrpläne der deutschen Bundesländer aus. Wie fit sind Deutschlands Jugendliche, was Europa anbelangt?

Prof. Stratenschulte: Ohne den Ergebnissen der Studie vorweg zu greifen – die Beobachtungen sind alarmierend. In den meisten Schulen wird das Thema Europa nur am Rande gestreift. Viele Lehrer sind überfordert, wissen nicht, wo sie ansetzen sollen. Nehmen wir zum Beispiel die Europäische Verfassung. Wenn die Jugendlichen schon jetzt nicht wissen, wie die Europäische Union funktioniert, wie sollen sie dann die institutionellen Veränderungen durch den Verfassungsentwurf verstehen? Sie wissen gar nicht, ob der neue Vertrag eine Verbesserung oder Verschlechterung darstellt. Eine eigene Bewertung wird unmöglich. Dabei leben die Jugendlichen in diesem Europa. Das Wissen um die Zusammenhänge hat für sie ummittelbare Bedeutung.

JfE: Bildungspolitik ist Ländersache. Was können die Bundesländer tun, um der Bildungsdebatte in Sachen Europapolitik neuen Schwung zu verleihen?

Prof. Stratenschulte: Die Kultusministerkonferenz (KMK) muss endlich handeln. Seit 1990 wartet ein KMK-Beschluss nun schon auf seine konkrete Umsetzung, Damals einigten sich die Minister darauf, das Thema Europa in allen Schulformen und allen Schulfächern angemessen zu vertreten. Konkret heißt das: Nicht nur in Fächern wie Politik oder Sozialkunde, sondern auch in Deutsch-, Englisch- oder Sportstunden sollten europäische Bezüge hergestellt werden. Die Botschaft lautete: Europa ist wichtig. 16 Jahre später scheint das nicht mehr der Fall zu sein. Dabei würde unsere Gesellschaft einen großen Schritt nach vorn machen, wenn die Kinder und Jugendlichen schon von Anfang an im „europäischen Denken“ geschult würden.

JfE: In der außerschulischen Bildungslandschaft haben sich zahlreiche Häuser auf Europa fokussiert. Sie alle stöhnen jedoch über zu wenig Geld und mangelnde Unterstützung aus der Politik. Ist die außerschulische Jugendbildung vom Aussterben bedroht?

Prof. Stratenschulte: Das kann man so sagen, wenngleich ihr Wert in politischen Sonntagsreden hin und wieder beschworen wird. Jedenfalls dann, wenn die NPD gerade den Einzug in ein Rathaus geschafft oder ein rassistischer Überfall die Bevölkerung schockiert hat. Ansonsten gibt es nach wie vor die weit verbreitete Ansicht, dass Engagement für Europa mit ehrenamtlicher Tätigkeit gleichzusetzen sei. Dabei braucht die politische Bildung professionelle Strukturen wie das Gesundheitswesen oder der Journalismus – und damit auch institutionelle Förderung. Schulen und Universitäten können auch nicht ausschließlich von Projektmitteln leben. Warum verlangt man es dann von uns in der politischen Bildung? Die Folgen sind dramatisch: Immer mehr Bildungseinrichtungen stellen ihren Betrieb ein. Andere organisieren aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen nur noch Programme für Gruppen, die pflegeleicht sind und gut zahlen können. Die eigentliche Zielgruppe spielt keine Rolle mehr. Es gibt europäische Bildungseinrichtungen, die ihr Geld mittlerweile nicht zuletzt mit Studienreisen nach Thailand verdienen.

JfE: Sind europapolitische Themen denn schon per se schwerer vermittelbar?

Prof. Stratenschulte: Politische Bildung leidet darunter, dass ihr Erfolg nicht sofort messbar ist. Wer Sprachen lernt, verfügt nach einer gewissen Zeit über eine bestimmte Anzahl von Vokabeln. Doch wann können wir in unserer Arbeit von einem solchen Zugewinn sprechen? Hinzu kommt, dass der Kern der politischen Bildung für die Maßstäbe mancher Politiker oft nicht spektakulär genug ist. Lieber finanzieren sie ein Großevent am Brandenburger Tor. Wer mit einem gigantischen Feuerwerk die zwölf Sterne an den Berliner Nacht-Himmel zaubert, darf auf eine Würdigung in der Tagesschau hoffen. Da klopfen sich Politiker dann gerne auf die Schulter und sagen: Schaut her, das haben wir bezahlt.

JfE: Aber die Basisarbeit ...

Prof. Stratenschulte: … kann das nicht sein, da haben sie Recht. Das wenige Geld, was zur Verfügung steht, sollte jedenfalls nicht ausschließlich in teure Werbekampagnen gesteckt werden. Das ist bürokratischer Irrsinn. Wer den Bürgern Europa näher bringen will, muss bei Informationsveranstaltungen nicht immer nur auf hoch bezahlte Schauspieler oder Musiker zurückgreifen. Kontinuierliche Unterstützung für die Basis hätte hier einen größeren Nutzwert.

JfE: Die Europäische Kommission möchte mit ihrem ab 2007 laufenden Programm JUGEND IN AKTION vor allem so genannte zugangsbenachteiligte Jugendliche fördern. Sendet Brüssel da das richtige Signal aus?

Prof. Stratenschulte: Ich bin überzeugt, dass der europäische Integrationsprozess nur dann Fortschritte macht, wenn wir alle Menschen persönlich abholen. Es kann nicht sein, dass sich die Elite für die Europäische Union ausspricht, breite Teile der Bevölkerung aber mit ihren Ängsten allein gelassen werden. Es ist deshalb wichtig, zum Beispiel auch Schulabbrecher, Hauptschüler und Facharbeiter ohne Abschluss über die Chancen und Risiken eines größer werdenden Europas aufzuklären und nicht nur Weiterbildungen für Akademiker anzubieten oder solche, die es werden wollen. Mit den Vor- und Nachteilen eines vollendeten Binnenmarktes müssen wir am Ende schließlich alle umgehen.

JfE: Am 1. Januar 2007 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Glauben Sie, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Deutschen für Europa begeistern werden?

Prof. Stratenschulte: Ein verstärktes Interesse in der Bevölkerung wird es sicherlich geben. Zumindest werden die Menschen mehr Notiz von Europa nehmen. Das ist allerdings auch bitter nötig. Nach einer aktuellen Umfrage wissen 85 Prozent der Deutschen nämlich noch gar nicht, dass Berlin in wenigen Wochen die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Wie es mit dem geplanten Schwung nach dem 30. Juni 2007 weitergeht, wird sich zeigen. Entweder gelingt es, die Menschen nachhaltig für die Brüsseler Politik zu interessieren oder sie sagen: Jetzt ist es vorbei, jetzt ist es aber auch gut so. Wenn Sie mich persönlich fragen, arbeite ich für das erste Szenario. Befürchten tue ich allerdings das zweite.

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