13.02.2008

Fachforum Europa 2008: Welches Europa vermitteln wir?

Auf dem „Fachforum Europa“ diskutieren Jugendarbeiter und Lehrer mit Europa-Experten über die Zukunft der EU und die europabezogene Bildung.

Als die Konferenz in Weimar beginnt, ist der Umzug des Bochumer Nokia-Werks nach Rumänien noch in aller Munde. Mal wieder haben die Medien die EU unter Beschuss genommen, und manche der angereisten Teilnehmer wirken unsicher darüber, was sie den Jugendlichen, mit denen sie täglich arbeiten, über das politische Gebilde „EU“ erzählen sollen.

„Welches Europa vermitteln wir eigentlich?“, fragt Helga Schubert aus München, und spricht den anderen aus dem Herzen.

Aus ganz Deutschland sind 70 Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Jugendbildung nach Weimar zum dreitägigen „Fachforum Europa“ gekommen. Sie wollen in Workshops besprechen, welche aktuellen europapolitischen Themen ihre Arbeit betreffen – und wie sie diese in der politischen Bildungsarbeit verständlich vermitteln können. Außerdem möchten sie sich Meinungen und Informationen einholen von Experten, die in der Europapolitik zu Hause sind.

„In unserer täglichen Arbeit verlieren wir schnell den Kontakt zu den wichtigen politischen Fragen, die Europa bewegen“, sagt Veranstalter Ulrich Ballhausen, Leiter der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte in Weimar.

„Das Fachforum Europa möchte Wissen vermitteln und dazu motivieren, sich aktiv ins europäische Geschehen einzumischen.“ Nach einer Auftaktveranstaltung im Jahr 2006 soll die Veranstaltung nun jährlich im Januar stattfinden, und jedes Mal sollen hochkarätige Gäste eingeladen werden.

„Unsere Kulturkreisläufe sind noch nicht europäisch“

Diesmal ist unter anderem Adam Krzeminski gekommen, Redakteur des polnischen Nachrichtenmagazins Polityka, um über das Verhältnis von Nation und Europäischer Integration zu sprechen.

„Wie viel Nation braucht Europa?“ heißt sein Vortrag, und schon zu Beginn gibt der Journalist zu erkennen, dass er keine einfache Antwort auf diese Frage geben kann. „Die Menschen möchten mehr Nation und mehr Europa zugleich. Mit dieser Quadratur des Kreises müssen wir leben.“

Auf jede Runde der Erweiterung und der Vertiefung der EU folge eine Phase des Rückzugs, in dem nationale Identität und nationale Interessen stärker betont würden, beobachtet Krzeminski. „Insgesamt sind unsere Kulturkreisläufe noch nicht besonders europäisch, sie verzahnen sich nicht.

Die Bestsellerlisten der nationalen Buchmärkte zeigen es: Die Titel unterscheiden sich deutlich, und die gleichen Bücher werden zeitverschoben gelesen. Wir brauchen eine Überwölbung der engen nationalen Perspektive und eine kritische Befragung der eigenen nationalen Überlieferung.“

„Eine starke Stimme statt 27 Piepsstimmen“, wünscht sich Ulrike Guérot, wenn es um die Außenpolitik der EU geht. „Der Erfolg der EU wird sich an der auswärtigen Politik entscheiden, nicht mehr an der Inneren“, prophezeit die Leiterin des Berliner Büros des „European Council on Foreign Relations“, einem renommierten internationalen Think Tank.

Im 21. Jahrhundert gehe es darum, das internationale politische System neu auszuloten. Statt Nabelschau zu betreiben, solle sich die EU den Themen in der Welt zuwenden.

Die Regeln des 21. Jahrhunderts setzen

Dafür bleibe der EU nur noch ein kleines Zeitfenster, in dem sie internationale Regeln setzen könne, bis andere aufstrebende Weltregionen ihre wachsende Macht ausspielten. „Noch sind wir ein starker Attraktivitätspol, doch bald haben wir diese Macht nicht mehr.“

Im Jahr 2050 werde der Anteil der Europäer und Amerikaner an der Weltbevölkerung nur noch sieben Prozent betragen. Darum sei jetzt der Moment, international geschlossen für die eigenen Werte einzustehen.

Dazu sei es förderlich, nicht heute schon über die endgültige Gestalt der EU nachzudenken, sondern sie als offenen politischen Prozess zu akzeptieren. „Wir dürfen nicht etwas Festes bauen, die Tür zu machen und uns darin langweilen.“

Was bedeute das alles für die Jugend, fragt ein Teilnehmer, vor allem für Jugendliche, die nichts abbekämen vom begehrten Wachstumskuchen? „Bei allen Modernisierungsprozessen gibt es Gewinner und Verlierer“, sagt Guérot. „Wer sich bildet und flexibel ist, gehört zu den Gewinnern.“

„Wir reden immer nur über die Eliten“, kritisiert Regina Rugenberg, die an einem Erfurter Gymnasium arbeitet. „Wie sehr europäisch Jugendliche denken und handeln, hängt meist am finanziellen Hintergrund der Eltern. Eigentlich müsste Europa vielen jungen Leuten entgegen kommen, aber dafür reicht das Geld nicht.“

Ein anderer Teilnehmer aus der Jugendarbeit berichtet, Europa werde von vielen Schülern, die keine Fremdsprachen beherrschten, eher als Leistungsdruck denn als Chance wahrgenommen.

Ein neues Handbuch zur europabezogenen Jugendbildung

Hans-Georg Wicke, Leiter von JUGEND für Europa, fordert in seinem Vortrag mehr Aufmerksamkeit für benachteiligte Jugendliche in Europa. „Da fährt im Moment ein Zug ab, und der wird in Zukunft noch viel schneller fahren.

Wenn es uns nicht gelingt, auch benachteiligte Jugendliche mitzunehmen, drängen wir sie noch mehr an den Rand, als sie es jetzt schon sind.“ Alle Jugendlichen müssten in die Lage versetzt werden, mit den Folgen des gesellschaftlichen Wandels in Europa umzugehen und die Chancen der europäischen Einigung zu nutzen.

Darum fordert Wicke eine gemeinsame europäische Jugendpolitik. „In einem zusammenwachsenden Europa ist es nicht hinzunehmen, dass junge Menschen in verschiedenen Ländern unter komplett verschiedenen Rahmenbedingungen aufwachsen.“ Europabezogene Bildungsarbeit könne viel dazu beitragen, jungen Menschen in Europa ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Wie eine solche Bildungsarbeit aussehen kann, das veranschaulicht ein neues Handbuch von JUGEND für Europa mit dem Titel „Europa vermitteln“. Lehrer, Jugendarbeiter und Fachkräfte in der politischen Bildung können darin nachlesen, wie Europathemen in internationalen Jugendbegegnungen, im schulischen Kontext und anderen Lernumfeldern vermittelt werden können.

An die Fachbeiträge schließen sich Berichte über gelungene Projekte an, die Tätigkeitsprofile von vielen Organisationen in der europabezogenen Bildung, sowie eine CD mit Methoden zur Vermittlung des Themas Europa. Voraussichtlich ab Anfang März kann das Handbuch kostenlos bei JUGEND für Europa bestellt werden.

(Andreas Menn)

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