16.08.2006

Angefixt. Internationale Jugendarbeit als Lebenselixier

Das Europahaus Aurich war es Leid, nach dem Nutzen internationaler Jugendbegegnungen gefragt zu werden. Friesisch stur haben sie sich dahinter geklemmt und ihn einfach - nachgewiesen.

"Was bringt das denn?“ – ist eine gern gestellte Frage, wenn man Menschen aus der Jugendhilfe, die noch keine internationalen Austauschprogramme erlebt haben, von deren Charme überzeugen will. Man sieht den Aufwand und man ist verstimmt: Sooo dicke Anträge sind zu schreiben, soooo viel ist zu organisieren und was kommt am Ende dabei heraus? Oder Geldgeber, ach, ein noch schwierigerer Fall. Die fragen ohnehin gern, wann „so viel Geld“ gut angelegt ist.

Was man mit der Förderung der Europäische Union und dem Programm JUGEND erreichen kann, zeigt nun eine Untersuchung, die das Europahaus Aurich gemeinsam mit seinen Partnern aus acht weiteren europäischen Ländern durchgeführt hat. Seit zehn Jahren arbeiten sie als Netzwerk "Youth for the Future“ zusammen und führen Jugendbegegnungen mit inzwischen mehr als 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch. Das Netzwerk bezieht immer auch Jugendliche ein, die inzwischen in "Assistant Leader Trainings" qualifiziert werden. "Nun war es Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen“, erklärt Mitautor Flan Spaight, Sozial- und Jugendarbeiter aus Irland. "Wir wollten sehen, was aus den Jugendlichen geworden ist, und der EU beweisen, dass das Fördergeld gut angelegt ist.“

Die Untersuchung wurde nach wissenschaftlichen Regeln in internationaler Teamarbeit von jungen Gruppenleitern und erfahrenen Jugendarbeitern durchgeführt. Unter dem Motto: "How did international youth work affect your life?“ wurden dafür Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jahre 1995-2005 per Fragebogen, in persönlichen Interviews und Fallstudien ein Jahr lang nach ihren Erfahrungen und den Auswirkungen der internationalen Begegnungen auf ihren persönlichen Lebensweg befragt. Gefördert wurde das Ganze durch die Unterstützenden Maßnahmen (Aktion 5) im Programm JUGEND.

Das lernt uns was

Wir haben es geahnt: Bei europäischen Jugendbegegnungen kann man eine Menge lernen, das bestätigen die Antworten. Auf Fragen wie "Wie hat die Begegnung deinen Alltag verändert?“ oder nach dem Einfluss auf die Studien- oder Berufswahl kamen erstaunliche Ergebnisse zutage. 98 % der Befragten bewerten ihre Teilnahme als grundsätzlich positive Erfahrung. Jugendliche lernen bei internationalen Jugendbegegnungen Gleichaltrige aus anderen Ländern und Kulturen kennen. Sie verbessern ihre Fremdsprachenkenntnisse und erlangen Fähigkeiten, die sie für Ausbildung und Beruf benötigen. Ob am Computer oder bei der Arbeit am mehrsprachigen Wörterbuch: Die Jugendlichen üben handfeste Fertigkeiten wie Präsentationstechniken und so genannte "soft skills“ wie Teamfähigkeit und zielorientiertes Arbeiten. Sie setzen sich mit Umwelt-, politischen und sozialen Themen auseinander und nutzen ihr Wissen, um sich gesellschaftlich zu engagieren.

Erstaunlich dabei auch, dass es sich bei den TeilnehmerInnen der Begegnungen überwiegend um benachteiligte Jugendliche handelt - Jugendliche, die soziale Ausgrenzung erfahren oder in Gefahr sind, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden, die frühzeitig das Schul- oder Ausbildungssystem ohne Abschluss verlassen haben, arbeitslos sind, und denen aus unterschiedlichen Gründen die Möglichkeit verwehrt ist, zu reisen oder Menschen aus anderen Kulturen zu treffen.

Nur drauf gewartet

Wer sagt´s denn: "Internationale Jugendarbeit ist mehr als ein Multi-Kulti-Feriencamp“, sagt Europahaus-Studienleiter Kalle Puls-Janssen dann auch zu Recht. "Wir wollen Jugendlichen und Eltern zeigen: Es lohnt sich, dabei zu sein! Wir wollen Firmenchefs und Personalchefs darauf aufmerksam machen, dass Jugendliche in den internationalen Projekten Schlüsselqualifikationen erwerben! Wir wollen Politik motivieren und überzeugen, dass dieses Geld gut angelegt ist und weiter angelegt werden muss!“ Ganz zu schweigen von den vielen Anhaltspunkten, die die Untersuchung gibt, die eigene Arbeit zu reflektieren und zu verbessern. Vor allem in puncto Nachsorge will sich das Netzwerk noch mehr kümmern. Auch Empfehlungen für die künftige Förderung in JUGEND in Aktion leitet sie ab.

Und als hätten alle nur drauf gewartet, wurde das Europahaus denn auch für seine Arbeit heftig gelobt. Mattias Groote, Mitglied des Europäischen Parlaments (SPD / SPE) und selbst noch ziemlich jugendlich (Jahrgang 1973), zeigte sich bei der Präsentation der Studie beglückt, dass 76 % der Befragten angaben, ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zur EU entwickelt zu haben. Dies zeige, wie wichtig es sei, europäischen Austauschprogramme weiter zu fördern. Auch Rita Bergstein, deutsche Agentur JUGEND für Europa, lobte das Europahaus für diese Initiative. Die Studie komme genau zum richtigen Zeitpunkt. Die europaweite Anerkennung außerschulischen, informellen Lernens und die europäische Jugendpolitik würden zurzeit intensiv vorangetrieben.

Ist ja krank

Für jeden, der sich für internationale Jugendbegegnungen engagiert, ist der beste Indikator aber nach wie vor die Abstimmung mit den Füßen. 62 % der Befragten haben denn auch mehr als eine Begegnung im eigenen Land, 50 % mehr als eine in einem anderen Land mitgemacht. Die Chancen stehen also gut, dass diejenigen, die einmal mitgemacht haben, länger dabei bleiben. Angefixt. Affected. Infected? Oder wie es Kalle Puls-Janssen ausdrückt: „Wir sind alle vom Virus internationale Jugendbegegnung befallen.“ So oder so: Ein bisschen Europa-krank. (Helle Becker)

Texte (Download):

"How did international youth work affect your life?" A report on the effectiveness of int. youth work  (engl.)

“How did international youth work affect your life?” Summary (dt.)

 

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