29.11.2023

Engagement gehört unbedingt wertgeschätzt

Teinehmende des Engagementtages

Sonntag, 26.11.2023. Es ist Engagementtag von JUGEND für Europa. In Frankfurt am Main diskutieren die Teilnehmenden über die Frage: "Freiwillig oder Pflicht – welches Engagement stärkt uns und Europa?" Letztlich wird klar, dass etwas anderes noch wichtiger ist: Gesellschaftliches Engagement muss angemessen gewürdigt und verlässlich finanziert werden.

Der Engagementtag von JUGEND für Europa schließt sich unmittelbar an das comeback 2023 an. Und damit sind beste Voraussetzungen für engagierte Diskussionen gegeben. Schließlich ist das comeback das Engagement-Event im Europäischen Solidaritätskorps. Eingeladen sind alle, die sich im vergangenen Jahr als Freiwillige im europäischen Ausland oder in einem Solidaritätsprojekt lokal vor Ort engagiert haben.

250 junge Menschen sind für dieses Event bereits zwei Tage zuvor nach Frankfurt am Main in die Jugendherberge gereist. Und die allermeisten sind geblieben. Für sie ist der Engagementtag der Abschluss eines intensiven, energiegeladenen Wochenendes voller Reflexion, Austausch und Inspiration.

Engagement ist unerlässlich für eine funktionierende Gesellschaft

Das Europäische Solidaritätskorps ist das EU-Jugendprogramm, um freiwilliges Engagement in und für Europa zu fördern. Rund 1.500 junge Menschen waren in den letzten zwölf Monaten von Deutschland aus im ESK aktiv. Dieses Engagement hat nicht nur ihre eigene persönliche Entwicklung geprägt; ihr Engagement prägt auch die Gesellschaft. Es zeigt, dass solidarisches Handeln möglich ist.

Doch reicht freiwilliges Engagement allein aus, um Europa gerechter und sozialer zu machen? Oder braucht es nicht mehr; braucht es eventuell einen verpflichtenden Dienst, um die Gesellschaft nachhaltig verändern zu können?

Frauke Muth, Leiterin von JUGEND für Europa, bedankt sich bei den Anwesenden, dass sie ihren Sonntag freiwillig unter anderem dieser Frage widmen. Sie stellt den Ablauf des Tages vor und leitet über zum ersten Programmpunkt – der Podiumsdiskussion: "Freiwillig oder Pflicht – welches Engagement stärkt uns und Europa?".

Gesellschaftliches Engagement nimmt stetig zu

Blick auf die Podiumsdiskussion

Moderiert von Julius Neumann sitzen neben ihm auf dem Podium Nina Gaedike von den Jusos Nordrhein-Westfalen, Emma Grabow aus dem Jugendbeirat von JUGEND für Europa und aktive EuroPeer sowie Eva Feldmann-Wojtachnia vom Centrum für angewandte Politikforschung (CAP). Die Diskussion soll aber nicht auf dem Podium allein stattfinden – alle im Plenum sind eingeladen, sich an ihr zu beteiligen. Schließlich sind alle im Saal ausgewiesene Expert*innen beim Thema Engagement.

Kurzfristig absagen musste Petra Maria Jung aus dem Bundespräsidialamt, doch bildet der Vorschlag des Bundespräsidialamtes aus dem Sommer 2022, einen verpflichtenden Freiwilligendienst einzuführen, den Ausgangspunkt für die Debatte. Eine Motivation hinter diesem Vorschlag sei, erläutert Julius Neumann, dass ein solcher Dienst dabei helfen solle, dass die Menschen generations- und gesellschaftsübergreifend wieder stärker miteinander in Kontakt kommen können.

Schnell wird klar, dass niemand die Idee eines Pflicht-Freiwilligendienstes pauschal gutheißen mag. Zumindest aber, so sagt Eva Feldmann-Wojtachnia, sorge die Diskussion über einen Pflichtdienst dafür, dass die Öffentlichkeit sich mit dem Thema beschäftige. Aus rein wissenschaftlicher Sicht müsse man aber der Auffassung widersprechen, dass sich immer weniger Menschen engagieren. Das Gegenteil sei der Fall. Gesellschaftliches Engagement habe deutlich zugenommen in allen Altersgruppen. In Zahlen: 30 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich, 42 % davon sind junge Menschen.

Emma Grabow hat 2020 selbst einen europäischen Freiwilligendienst in Tschechien gemacht. Dieses Engagement habe sie grundlegend verändert, sagt sie, und sie möchte, dass möglichst viele junge Menschen die Chance auf so eine Erfahrung bekommen. Doch einen verpflichtende Freiwilligendienst einzuführen, hält sie für den falschen Weg. "Die Diskussion geht am eigentlichen Thema vorbei", führt sie aus und will wissen, wie man eigentlich einen allgemeinen Pflichtdienst finanzieren wolle, wenn derzeit die Finanzierung von so vielen Einsatzstellen in Gefahr sei.

Alles stehe und falle mit der Finanzierung, pflichtet Nina Gaedike ihr bei. Und wenn es ums Geld geht, werde niemandem etwas geschenkt. Schließlich seien die vorgesehenen Kürzungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes auch nur durch das Engagement vor allem von jungen Menschen und von Jugendverbänden zurückgenommen worden.

Theorie und Praxis

Nun liegt es auf der Hand, dass ein verpflichtender Dienst theoretisch dafür sorgen würde, dass mehr Menschen die Chancen auf eine Erfahrung bekämen, wie sie Emma in Tschechien gemacht hat.

Doch in der Praxis ist eine andere Frage seit Jahren viel relevanter: Es gibt ein großes Angebot an Engagementmöglichkeiten gerade in Deutschland. Aber um breitere Gesellschaftsschichten zu erreichen, müssen die bestehenden Zugänge zu den Angeboten vereinfacht und neue Zugänge geschaffen werden. Dass es daran hakt, bestätigen viele der Teilnehmer*innen. Nairobi aus Mexiko bemängelt, dass in der Realität eben doch die privilegierten Menschen einen Freiwilligendienst machen können, während andere diese Freiheit schlichtweg nicht haben.

Es ist daher eine eher bittere Wahrheit. "Engagement muss man sich leisten können", sagt Emma Grabow. "Dabei wollen wir und brauchen wir alle", unterstreicht Eva Feldmann-Wojtachnia.

Wertschätzung, keine Ausnutzung

Deutlich wird in der Diskussion, dass selbst im ESK der hohe Qualitätsanspruch des Programms immer wieder in Widerspruch zur Praxis gerät: sei es, wenn Freiwillige auf einmal Spenderkreise aufbauen sollen oder wenn ihnen im Projekt ohne eine richtige Einarbeitung verantwortungsvolle Aufgaben übertragen werden.

"Freiwillige haben aber den berechtigten Anspruch, angemessen eingearbeitet, betreut und bezahlt zu werden", macht Nina Gaedike klar. Die Befürchtung unter den Teilnehmer*innen ist insgesamt jedoch groß, dass bei der Einführung eines Pflichtdienstes, Einsatzstellen schnell als Ersatz für fehlende Arbeitsplätze in Pflege und Bildung missbraucht werden könnten. Und wäre dies dann noch eine positive lebensverändernde Erfahrung?

Auf der anderen Seite, wenn wirklich gute Rahmenbedingungen gesichert seien, so eine Stimme aus dem Plenum, dann könnte ein Pflichtdienst sicherlich mehr Menschen zeigen, wie wertvoll Engagement sei.

Letztendlich geht es um Wertschätzung. Engagement muss geschützt und darf nicht ausgenutzt werden. Die eigentliche Debatte müsse daher lauten, so Emma Grabow: "Wie schaffen wir gute Bedingungen für freiwilliges Engagement?"

Eva Feldmann-Wojtachnia sieht dies auch so, nur müsse dies nicht mehr theoretisch analysiert werden, betont sie. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse seien da. "Wir müssen ins Tun kommen!", ist ihre Forderung.

Engagementbörse und Workshops

Zwei Teilnehmer beantworten die Frage: Will ich mich weiter engagieren?

Ins Tun kommen! Auf politischer Ebene kann das langwierig und kompliziert sein. Hier in Frankfurt auf dem Engagementtag ist es einfacher: Schließlich hat man hier die richtigen Leute um sich.

Und bekommt ausreichend Inspiration. 15 Organisationen stellen auf der Engagementbörse ihre Angebote für gesellschaftliches Engagement vor. Vor den Ständen drängen sich die Teilnehmenden. Auf der Börse zeigt sich die bunte Vielfalt des Engagements von lokalen Initiativen bis zu europäischen Angeboten.

Der Workshop "Unlock your Potential" informiert derweil die Teilnehmenden, welche Möglichkeiten die beiden EU-Jugendprogramme bieten, um eigene Beteiligungsprojekte zu verwirklichen. Julia aus Passau hat dies mit ihren Mitstreiter*innen bereits gemacht. Sie berichtet davon, wie sie im Solidaritätsprojekt "Solidarisch.Nachhaltig.Kochen" Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten, um damit Kochabende für die lokale Community zu organisieren.

Bei der Ideenschmiede werden genau solche Projekte geboren und im Abschlussplenum vorgestellt. Damit die gefassten Pläne nicht bereits während der Zugfahrt nach Hause verblassen, werden konkrete nächste Schritte aufgeschrieben. Wie zum Beispiel die Verabredung per Zoom-Meeting am nächsten Donnerstag oder am Abend in der eigenen WG vom ESK und dessen Möglichkeiten erzählen.

Dazu ermutigt Julius Neumann die Teilnehmenden, die sich alle weiter engagieren wollen. So kann die Energie des Wochenendes weitergetragen werden.

Share your experiences

Dieser Sonntag in Frankfurt am Main beweist vor allem eines: Engagement hat unglaublich viele Facetten und ist in jeder Form bereichernd. Es verändert das Leben und schafft neue Perspektiven.

"Geht am Ende der Veranstaltung gerne raus in die Welt und erzählt anderen davon!", bittet Frauke Muth die Anwesenden.

Und zu dieser Kunde gehört eben auch einzufordern, dass es für gesellschaftliches Engagement unbedingt sichere Rahmenbedingungen und verlässlich finanzierte Strukturen braucht.

(JUGEND für Europa)