05.06.2023

"Aussichten auf eine Förderung sind so gut wie lange nicht mehr!"

Ingrid Müller, Leiterin Erasmus+ Jugend und Sport

JUGEND für Europa passt seine Bewertungspraxis an. Die Zugänge zu europäischen Fördermitteln sollen so niedrigschwellig wie möglich gestaltet werden. Ein Interview mit Ingrid Müller, Leiterin Erasmus+ Jugend bei JUGEND für Europa, zu ihrem Zwischenfazit der Programmumsetzung in Deutschland und wie die Nationale Agentur auf die Nachwirkungen der Pandemie und auf unrunde IT-Tools reagiert.

Frau Müller, die zweite Programmgeneration von Erasmus+ Jugend begann 2021. Wie lautet nach gut zweieinhalb Jahren Programmdurchführung Ihr Zwischenfazit?

Leider ist es nicht so einfach mit einem Zwischenfazit. Erasmus+ Jugend hatte in vielerlei Hinsicht einen ausgesprochen schwierigen Start, der sich bis heute auswirkt. Das war so vorher nicht abzusehen. Entwickelt worden ist ein tolles Programm mit klaren Zielsetzungen, mit aktuellen, stimmigen und gut miteinander verbundenen Prioritäten, mit passenden, auch neuen und teils niedrigschwelligen Förderformaten. Das Programm profitiert ferner von einem stark gestiegenen Budget im Ganzen und verbesserter finanzieller Ausstattung der einzelnen Formate.

Lauter gute Voraussetzungen also für einen erfolgreichen Programmstart mit mehr Inklusion, einem ökologisch nachhaltigeren Programm; mit mehr neuen und kleinen Trägern durch Small-scale Partnerships, mehr zivilgesellschaftlicher und politischer Beteiligung durch Jugendpartizipationsprojekte und so weiter. Hier steckt – nach wie vor – viel Potential drin für individuelle europäische Lernerfahrungen und die Weiterentwicklung von Organisationen der Jugendhilfe.

Dass dies alles noch lange nicht in vollem Umfang eingelöst ist, hängt vor allem mit dem Programmstart mitten in der Pandemie zusammen. Egal ob in der formalen Bildung oder im Jugendbereich – Mobilitäten, Begegnung und Austausch, die den Kern von Erasmus+ und dem Europäischen Solidaritätskorps ausmachen, waren kaum oder gar nicht möglich.

Besonders schwierig war es Projekte in Erasmus+ Jugend durchzuführen, die weitestgehend ja mit größeren Gruppen stattfinden: Als individuelle Studienaufenthalte oder Freiwilligendienste im Ausland schon wieder möglich waren, gab es immer noch große Hürden für die Durchführung z.B. von Jugendbegegnungen.

Aber nicht nur die europäische bzw. transnationale Jugendarbeit war betroffen. Wie eine RAY-Studie aufgezeigt hat (siehe NEWS), hat die Pandemie europaweit gravierende Auswirkungen unter anderem auf die Strukturen und Angebote der Jugendarbeit gehabt und viele Träger in prekäre Lagen gebracht. Internationale Projekte waren und sind dann verständlicherweise nicht die erste Priorität vieler klassischer Anbieter von Jugendarbeit. Einige von denen, die noch internationale Projekte durchführen wollten, mussten mit destabilisierten oder zerstörten internationalen Partnerschaften umgehen und Kontakte neu aufbauen.

Und erschwerend kommt hinzu, dass die schlechte Performance der IT-Tools sowie recht aufwändige und komplizierte Antragsverfahren den Trägern im Jugendbereich die Beantragung von Projekten in weiten Teilen noch schwerer machen als zuvor.

Was ist die Folge?

Wir sind in Erasmus+ Jugend 2022 schon im zweiten Jahr in Folge weit davon entfernt geblieben, unsere Mittel in Erasmus+ Jugend zu verausgaben. Das ist inzwischen zu einem Problem für uns geworden, das wir angehen müssen und wollen.

Die Europäische Kommission hat in verschiedenen Kontexten sehr deutlich gemacht, dass die Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel höchste Priorität für sie hat. Das Gleiche gilt für uns als Nationale Agentur. Die Mittel sind für diese Programmgeneration – auch auf Forderungen aus dem Feld und von Nationalen Agenturen hin – deutlich angehoben worden. Der Grund dafür war, dass im Vorgängerprogramm sehr sichtbar geworden ist, dass der Bedarf an und die Nachfrage nach europäischen Bildungsangeboten für junge Menschen, Fachkräfte und Organisationen riesig ist und die Mittel dafür bei Weitem nicht reichen. Die Lücke klaffte immer weiter, und es gab Organisationen, die sich wegen der geringen Förderchancen aus dem Programm zurückgezogen haben.

Seit 2021 sind die Mittel sehr stark gestiegen, aber die Nachfrage eingebrochen - und die Zwischenevaluation steht an; da kann und soll nicht riskiert werden, dass der Aufwuchs als ungerechtfertigt erscheint und die Mittel entweder eingefroren oder zurückgefahren werden.

Gut, aber weder die Folgen der Pandemie noch die technischen Unzulänglichkeiten der Programmnutzung lassen sich einfach wegwischen…  Wo will JUGEND für Europa ansetzen?

Für die geringe Mittelausschöpfung gibt es tatsächlich eine Reihe von Ursachen, die nur teilweise von uns selbst angegangen werden können. Weder an den Folgen der Pandemie noch an vielen Hürden im Programm kann JUGEND für Europa etwas ändern.

Was aber gestaltbar ist, ist unsere Bewertungspraxis. Sie stammt aus einer Zeit starker Konkurrenz um viel zu begrenzte Fördermittel und war darauf ausgerichtet, die besten Projekte herauszuheben und den anderen nachvollziehbar aufzuzeigen, wo Weiterentwicklungen notwendig sind, um Förderchancen zu verbessern. Das passt nicht mehr in unsere veränderte Situation. Diese Sichtweise teilen wir mit dem Nationalen Beirat.

Darauf haben wir reagiert. Wir werden aktiv auf Träger zugehen und – soweit das in unserer Gestaltungsmacht liegt – die Zugänge zu europäischen Fördermitteln bewusst so niedrigschwellig wie möglich gestalten. Damit wollen wir als Nationale Agentur einer größeren Zahl und einem breiteren Spektrum von – auch antragsunerfahrenen – Trägern Möglichkeiten eröffnen, ihre europäische Arbeit wieder zu stärken oder neu zu entwickeln.

Was bietet JUGEND für Europa konkret?

Neben anderen Weichenstellungen wie der Gewinnung neuer Antragsteller*innen oder der Rückgewinnung derjenigen, die den europäischen Förderprogrammen den Rücken gekehrt haben, werden wir folgende Schritte gehen:

Wir verausgaben unser Förderbudget so weit wie irgend möglich für die Förderung unterschiedlichster Projekte der europäischen Jugendarbeit. Dabei achten wir darauf, eine Vielfalt von Trägern einzubeziehen; unerfahrene und kleine Organisationen sollen ebenso gute Chancen haben wie erfahrene und große Träger.

Wo nötig und so weit wie möglich nehmen wir Verschiebungen zwischen den Budgets für die einzelnen Aktionen vor, um vor allem dort zu fördern, wo die Nachfrage aus dem Jugendbereich groß ist.

Wir betrachten Anträge, und hier vor allem die für kleinere Projekte (also einzelne Anträge in Leitaktion 1 und Small-scale Partenerships), vorrangig unter dem Gesichtspunkt, welche Potentiale darin für die Teilnehmenden und die Entwicklung der Jugendarbeit vor Ort stecken. Wir wollen Organisationen und ihren Vorhaben eine Chance geben - nur dann können sie etwas ausprobieren, sich verbessern und weiterentwickeln. Sehen wir solche Potentiale, bekommen auch die eine Chance, deren Anträge bestimmte qualitative Schwächen aufweisen.

In solchen Fällen geben wir weiterhin ein klares Feedback zu den Schwächen, fordern die Träger auf diese anzugehen und machen entsprechende Angebote zur Qualitätsentwicklung. Aber eine Förderung wird damit immer noch möglich sein und das ist der Unterschied zu früher.

Wie lautet Ihr Appell an die Träger?

Lassen Sie sich und Ihren Zielgruppen wieder mehr europäischen Wind um die Nase wehen und trauen Sie sich ran an die Antragstellung in Erasmus+ Jugend! Mit dem stark gestiegenen Budget und reduzierten Hürden im Bewertungsverfahren sind die Aussichten auf eine Förderung so gut wie lange nicht mehr.

Wer Unterstützung benötigt, bekommt diese in unseren Antragssprechstunden oder jederzeit individuell durch die Kontaktpersonen bei JUGEND für Europa. Es lohnt sich!

Liebe Ingrid Müller, herzlichen Dank für dieses Interview!

(JUGEND für Europa)