22.03.2022

Projekte, Menschen und Haltung: Zum Umgang mit Partnern und Freiwilligen aus der Russischen Föderation angesichts des Angriffs auf die Ukraine

Der Krieg, den Russland vom Zaun gebrochen hat, verändert Europa für immer. Welche aktuellen Auswirkungen sieht JUGEND für Europa für laufende und künftige Projekte in den EU-Jugendprogrammen mit Organisationen und Einrichtungen in der Russischen Föderation? Uns haben dazu auch viele Fragen von deutschen Trägern erreicht. #standwithukraine  

Die Russische Föderation hat die Ukraine mit Krieg überzogen, täglich bangen die Menschen dort um ihr Leben, sind Bomben- und Raketenangriffen ausgesetzt, leiden unter der immer schwieriger werdenden Versorgungslage. Mehr als 2,5 Millionen Ukrainer*innen, vor allem Frauen und Kinder, sind bereits geflüchtet. Unsere Haltung von JUGEND für Europa hatten wir bereits am 24.02.2022 veröffentlicht.

In den Programmen Erasmus+ Jugend und Europäisches Solidaritätskorps (ESK) gibt es zahlreiche laufende oder geplante Projekte mit Partnern aus der Russischen Föderation, teilweise sogar angelegt als multilaterale Projekte mit ukrainischen und belarussischen Partnern. Auch zur letzten Antragsfrist am 23.02.2022, haben uns noch Anträge für Kooperationsprojekte mit der Region erreicht. In Deutschland halten sich zurzeit 125 ESK-Freiwillige aus diesen Ländern auf.

Für die jungen Menschen aus der Ukraine ist die momentane Lage schier unerträglich. Unsere Solidarität gilt in erster Linie ihnen! Dafür stehen wir mit den Aufnahmeeinrichtungen und den ESK-Bildungsträgern im Kontakt.

Weitere Informationen zum Umgang mit laufenden oder beantragten Projekten in Kooperation mit ukrainischen Partnern finden Sie hier:
Erasmus+ Jugend

Europäisches Solidaritätskorps

Es gibt die schreckliche Realität von Zerstörung und Leid, die wir alle in den Medien sehen, es gibt daneben auch Bilder, die uns in dieser Situation verfolgen. Davon nur eines: Ein junger Mann aus der Russischen Föderation erreicht Berlin mit dem Zug, er will seinen ESK-Freiwilligendienst antreten, seine Meinung zu diesem Krieg werden wir kaum kennen und können sie auch nicht im Vorhinein überprüfen. Gleichzeitig treffen auf dem Bahnhof tausende Geflüchtete ein, vor allem Frauen und Kinder, die dem Bombenterror entkommen und traumatisiert sind. Im Gegensatz zu ihm selbst dürfen junge Männer in seinem Alter die Ukraine nicht verlassen, da sie durch diesen Angriffskrieg gezwungen werden, ihr Land zu verteidigen und dabei ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Denn die Russische Föderation hat - als Partnerland in den EU-Jugendprogrammen - die zugrunde liegenden Grundwerte in eklatantester Weise verletzt. Es ist daher nötig, unsere Haltung zur Kooperation mit Organisationen und Einrichtungen aus der Russischen Föderation zu überprüfen und für den Moment mindestens im Kontext der EU-Jugendprogramme zu definieren. 

Wir stehen in Deutschland und in Europa gemeinsam an einer Zeitenwende in der Ausgestaltung unserer künftigen Rahmen für die Kooperation mit Organisationen und Einrichtungen in der Russischen Föderation und Belarus. Viele Organisationen, Verbände und Einrichtungen blicken auf eine jahrelange erfolgreiche und von gemeinsamen Werten geprägte Zusammenarbeit mit Partnern aus der russischen und belarussischen Zivilgesellschaft. Diese Partner und deren Strukturen wurden in den vergangenen Jahren allerdings, zusammen mit den freien Medien, von den Regierungen hart sanktioniert und verfolgt, sind größtenteils nicht mehr vorhanden oder arbeiten im Untergrund. Derzeit ist nur sehr schwer einschätzbar, welche Organisationen noch unter welchen Umständen arbeiten können. Das macht es für alle Beteiligten schwierig noch zu definieren, was unabhängige russische Zivilgesellschaft ist und was nicht.

Alle Rahmenbedingungen zu Inhalten, Themen, Partnern, aber vor allem die aktive Haltung zu unseren Grundwerten, stehen auf dem Prüfstand und müssen neu ausgerichtet werden. Die deutsche Trägerlandschaft hat diese Diskussion bereits aufgenommen. JUGEND für Europa hat sich dem Aufbau eines sozialen Europas verpflichtet, Austausch und Verständigung sind Grundpfeiler dieser europäischen Idee. Es fällt uns daher nicht leicht, diesen Appell zu formulieren.

Unsere dringende Bitte an alle, die laufenden Projekten mit Einrichtungen aus der Russischen Föderation, aber auch aus Belarus, koordinieren oder die Projekte planen:

  • Unterlassen Sie jeglichen Versuch, finanzielle Mittel an Partner in der Russischen Föderation zu überweisen, egal in welchem Status sich ihr Projekt befindet. Beachten Sie hier außerdem mögliche Sanktionsmaßnahmen gegen Kreditinstitute aus Belarus.

  • Sprechen Sie mit ihren Partnern in der Russischen Föderation und auch in Belarus die Situation offen an, machen sie Ihre Haltung zum Krieg deutlich und betonen Sie dabei, dass jeglicher Einsatz von Gewalt zur vermeintlichenLösung von realen oder vor allem behaupteten Problemen vollkommen inakzeptabel ist, keiner Begründung standhält und den europäischen Werten diametral entgegensteht. JUGEND für Europa ist der Ansicht, dass nur auf dieser Grundlage eine zukünftige Teilnahme an den EU-Jugendprogrammen möglich ist. Überprüfen Sie genau, ob und auf welcher Grundlage Sie sich vorstellen könnten, die Kooperation in der Zukunft möglicherweise fortzusetzen.

  • Wenn Sie Freiwillige aus der Russischen Föderation, aber auch aus Belarus, betreuen, sprechen sie mit ihnen über die Situation. Vergewissern Sie sich, aus welchen Quellen sich diese jungen Menschen informieren. Vermeiden Sie jegliche Relativierung der Tatsachen, lehnen sie jegliche Argumentation ab, die darauf abzielt, den Angriff Russlands, das Vorgehen und die Gewalt zu legitimieren. Stehen Sie klar für Ihre Haltung ein, aber lassen Sie diese jungen Menschen nicht allein, bieten Sie Orientierung und suchen Sie, wo immer möglich, gemeinsam nach Anlässen, sich mit den Menschen aus der Ukraine solidarisch zu zeigen.

JUGEND für Europa hält die Durchführung von Projekten mit Russland unter den gegebenen Bedingungen des Krieges gegen die Ukraine für nicht geboten. Wir möchten Sie bitten, Ihre Planungen zu überprüfen und bitten Sie in diesem Zusammenhang:

  • Überprüfen Sie, ob ihre Projekte – aktuell oder zukünftig - den derzeitigen Voraussetzungen entsprechen. Überweisungen über russische Banken sind verboten und nicht mehr möglich.Aufgrund der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes kann auf absehbare Zeit nicht nach Russland gereist werden. Derzeit ist es für russische Teilnehmende nahezu unmöglich, mit dem Flugzeug nach Deutschland zu reisen, der einzige Weg ist der Zug. Bitte beachten Sie immer die Sicherheitslage der Teilnehmenden, diese steht in jeder Hinsicht an oberster Stelle. Und nicht zuletzt müssen Sie jederzeit und u.U. auch sehr kurzfristig damit rechnen, dass Russland von der Teilnahme an Erasmus+ und ESK suspendiert wird, Sie Ihre Projekte abbrechen müssen oder weitgehende Planungen nicht umsetzen können.

  • Führen Sie laufende Projekte mit Partnern aus der Russischen Föderation und Belarus mit der gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit für alle Beteiligten weiter oder brechen sie ggf. ab, wenn es mit den beteiligten Partnern / Freiwilligen keine gemeinsame Haltung zum Geschehen in der Ukraine gibt oder aber auch die Sicherheit der Teilnehmenden nicht gewährleistet ist.

  • Planen Sie um und verändern Sie bereits bewilligte Projekte, die noch nicht begonnen haben in Absprache mit JUGEND für Europa, involvieren sie andere Partner und passen Sie die Projektinhalte an.

  • Das Gleiche gilt für Projekte, die Sie in der letzten Deadline im Februar beantragt haben. Wir werden diese nicht im laufenden Prozess verändern können, nach Bewilligung können Sie hier aber in Absprache mit JUGEND für Europa entsprechende Anpassungen vornehmen.

  • Verzichten Sie darauf, neue Projekte mit Russland zu beantragen solange der Krieg Russlands gegen die Ukraine andauert und warten Sie eher den weiteren Lauf der Dinge ab, so schwer das auch im Einzelfall sein mag. Verändern Sie auch hier Ihre Planungen, bevor sie den nächsten Antrag stellen. Die Nationalen Agenturen für Erasmus+ und das Europäische Solidaritätskorps sind darüber hinaus im ständigen Austausch mit der EU-Kommission. Über weitere Entscheidungen und Richtlinienanpassungen werden wir Sie laufend informieren.

(JUGEND für Europa)