17.07.2018

"Diversität? Toleranz allein reicht nicht – Fürsorge ist wichtig"

Cathy Manousaki und Jan AmmensdörferJeder Mensch fällt aus der Norm. Eine positive Besetzung des Vielfaltbegriffs erlaubt es einem, diese Einzigartigkeit auszuleben. Und erst wenn man sich seiner Stärken und Schwächen wirklich bewusst ist, kann man auch andere in ihrer Einzigartigkeit respektieren.

Die Griechin Cathy Manousaki und der Bamberger Jan Ammensdörfer haben an dem "Embracing Diversity"-Training in Bonn teilgenommen. Im Interview berichten sie, was Diversität aus ihrer Sicht bedeutet. Und wie Diversität in der Jugendarbeit gelebt werden kann.

JUGEND für Europa: Cathy, Jan – gebt uns zu Anfang doch mal einen kleinen Einblick zu eurem Hintergrund.

Jan: Ich wohne in Bamberg, habe dort Pädagogik studiert und bereits davor einige Erfahrung im Kulturbereich der offenen Jugendarbeit gesammelt. Da ich aus der Nähe von Stuttgart komme, war kulturelle Diversität schon immer vorhanden und immer absolut normal.

Beruflich bin ich Sozialarbeiter/Jugendarbeiter bei ja:ba (Jugendarbeit Bamberg) und betreue sowohl das Jugendzentrum, als auch einen kleineren Stadtteiltreff. Außerdem führe ich Workshops an Schulen und Kooperationen mit Partnern aus der Jugend- und Kulturarbeit durch.

Cathy: Ich lebe derzeit in drei Ländern. Aus Beziehungs-, familiären und beruflichen Gründen reise ich zwischen Griechenland, Lettland und den Niederlanden hin und her. Ich habe ein Studium als Sozialwissenschaftlerin absolviert und inzwischen sieben Jahre Erfahrung in non-formaler und informeller Bildung. Ich bin Jugendarbeiterin, Trainerin, Projektmanagerin, Mentorin und Menschenrechtsaktivistin. Ich bin quasi meine eigene professionelle Diversität (lacht).

In den Niederlanden arbeite ich mit der "Olde Vechte Foundation" zusammen, in Griechenland ist es eine Organisation mit dem Namen "Solidarity Mission". 2014 habe ich mit "Actice rainbow" eine community gegründet, die sich unter anderem um die Rechte der Menschen im LGBTQIA-Spektrum (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, inersexuell, asexuell) kümmert. In diesem Bereich organisiere ich auch Jugendprojekte.

Fangen wir mal mit einer Begriffsklärung an. Was bedeutet eigentlich Diversitätsbewusstsein für euch?

Jan: Zunächst mal eine Menge Arbeit. Diversitätsbewusstsein fängt zuallererst bei mir selbst an. Ich muss mir meiner selbst bewusst werden, mit allen Facetten. Das beinhaltet natürlich auch Dinge, die mir unangenehm sind oder die ich verdränge.

Erst wenn ich mir meiner Stärken und Schwächen, meiner Persönlichkeit bewusst bin, kann ich dieses Bewusstsein auch leben, das heißt, den anderen ebenso in seiner Einzigartigkeit respektieren, wie ich mich respektiere und entschieden für das Recht jeder einzelnen Person auf Einzigartigkeit eintreten.

Cathy: Diversität bedeutet Liebe. Es ist ein Wert, der hoch gehalten werden muss. Ich sehe das täglich in meiner Arbeit. Diversität ist sowohl in den kleinen als auch in den großen Dingen unseres Lebens.

Für den Einzelnen gesprochen bedeutet das: Du bist immer mehr als nur "eins!, aber nie weniger als "eins". Wir Menschen sind auf bestimmte Weise gleich und dennoch wieder verschieden und einzigartig – ob es nun um persönliche Erfahrungen oder unsere eigene Identität geht. Fest steht aber: Jeder Mensch ist ein unverzichtbarer Teil der Gesellschaft, deshalb ist aus meiner Sicht gegenseitige Fürsorge ein Schlüsselbegriff. Ich würde also sagen: Diversität steckt sowohl in mir als auch in jedem Einzelnen.

Was hat euch motiviert, an dem Seminar teilzunehmen?

Cathy: Ich habe von dem Trainingskurs auf der Facebook-Seite der griechischen Nationalagentur erfahren. Da dachte ich gleich: Da musst du teilnehmen. "Embracing Diversity" – der Titel hat mich angesprochen. Er drückt ja genau die Wertschätzung für Diversität aus, die mir in meiner Arbeit auch wichtig ist.

Natürlich ist so ein Seminar auch immer ein große Chance, das persönliche Netzwerk auszubauen und den eigenen Horizont zu erweitern. Und mich beschäftigt die Frage, wie ich die Zielgruppen in meiner Arbeit noch besser erreichen kann, wie wir alle Inklusion besser leben können. Ich arbeite ja mit jungen Menschen im LGBTQIA-Bereich. Im Umgang mit Heteronormativität spielt Diversität eine große Rolle.

Jan: In meiner alltäglichen Arbeit habe ich mit den verschiedensten Menschen zu tun, die Altersspanne reicht von 5 bis 35 Jahren, darunter sind diverse kulturelle und ethnische Identitäten, ebenso Menschen mit Behinderung. Diversität begleitet mich also ständig.

Als mir die Ausschreibung zugetragen wurde, war mir klar, dass dieses Training das "Skillset" bedient, welches ich täglich anwende und das mir Vertiefung, Auffrischung und Zukunftsperspektiven zur Weiterentwicklung ermöglicht.

Was hat euch in dem Training am meisten überrascht?

Jan: Beeindruckt hat mich die Vielfalt der Projekte der verschiedenen Teilnehmenden. Das hat mir gezeigt, wie vielschichtig die Themen Diversität und Inklusion behandelt und welche Schwerpunkte wo und weshalb gesetzt werden.

Sehr angetan war ich vom Jugendraum in Griechenland, wo die Organisatoren ohne staatliche Förderung ein wahnsinnig großes Stadtfest auf die Beine stellen, bei dem einfach alle Menschen zusammen kommen – egal, ob jung oder alt, arm oder reich. Methodisch hat mich beeindruckt, wie viel Arbeit man in sich selbst stecken muss. Um das Konzept von Diversität sinnvoll zu verbreiten, muss man sich tatsächlich all seiner Macken, Vorurteile, aber auch Stärken und Tugenden bewusst werden.

Cathy: Während des Trainings hatte ich ja eine gute Möglichkeit zu sehen, wie viel die anderen Teilnehmenden schon über das Konzept der verschiedenen sexuellen Identitäten wissen und wie sie damit umgehen. Da war ich schon überrascht, wie wenig Erfahrungswissen vorhanden ist. Ich sehe da tatsächlich Nachholbedarf in der Jugendarbeit. Wer junge Menschen anleitet oder unterrichtet, braucht diese Kompetenzen. Die sexuelle Orientierung spielt eine zentrale Rolle beim Erwachsenwerden. Sie muss in der Diversitäts-Debatte, vor allem aber in der konkreten Anwendung auch tatsächlich vorkommen.

Welche Ergebnisse nehmt ihr konkret mit nach Hause?

Cathy: Auf jeden Fall viele neue Methoden, die ich auch gleich mal in meiner Arbeit zu Hause ausprobieren werde. Auch für den theoretischen Input bin ich dankbar. Ich denke da an die Lernleiter (learning ladder) – ein interessantes tool, die drei Kernelemente meiner Kompetenzen zu visualisieren (knowledge, skills, attitude) – und zwar, wo ich vor dem Trainingskurs stand und wo ich mich jetzt befinde. Und dann sind da natürlich noch all die inspirierenden Menschen aus den anderen Ländern, die mich an ihren Erfahrungen teilnehmen ließen. Dafür kann ich mich nur bedanken.

Jan: Mit den Erfahrungen dieser Woche liegt jetzt erst mal eine Menge planerische Arbeit vor mir. Ein langfristiges Ziel wird die Öffnung der offenen Jugendarbeit hin zu einer europäischen Perspektive sein. Wir haben in unseren Einrichtungen eine diverse Zielgruppe, allerdings sind viele Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, weshalb die Verknüpfung mit der Jugendarbeit in unseren Partnerstädten angestrebt ist.

Welche Themenbereiche hättet ihr gerne noch weiter vertieft?

Jan: Ich bin insgesamt ziemlich zufrieden mit dem Input, auch in der Menge. Konfliktmanagement wäre vielleicht eine Sache. Das hätte man in einer längeren Zeitspanne auch mit Praxisbeispielen und Rollenspielen gut vertiefen können. Konflikte treten dort auf, wo es Leben gibt. Insofern ist das immer wichtig.

Cathy: Ich hätte mir noch mehr Praxisbeispiele gewünscht, wie sich Diversität denn nun konkret erreichen lässt. Zum Beispiel beim Thema Intersektionalität. Aber auch, wenn es um die eigene Rolle als "Führungskraft" oder Leiter geht. Da hätte ich noch Vertiefungen brauchen können.

Wenn ich mit benachteiligten Jugendlichen arbeite, merke ich immer wieder, wie wichtig die eigene Reflexion ist. Da stelle ich mir Fragen: Leite ich das jetzt wirklich richtig an? Bin ich mir meiner Handlungen bewusst? Integriere ich oder grenze ich aus? Reproduziere ich vielleicht sogar Stereotype?

"Embracing Diversity" heißt nicht nur, irgendwas ausführen. Es sind Handlungen, die wohl überlegt sein wollen. Ich kann ganz offen und zugewandt über Diversität sprechen, wenn sich das aber nicht gleichzeitig auch in meinem Tun widerspiegelt, dann komme ich nicht weiter.

Was ist dir am Thema Diversität besonders wichtig?

Jan: Dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn Menschen nicht perfekt sind. Jeder Mensch hat etwas, mit dem er aus der Norm fällt. Die positive Besetzung des Vielfaltbegriffs erlaubt es uns, diese Einzigartigkeit auszuleben und uns nicht auf Teufel komm raus an alles anpassen zu müssen.

Cathy: Für mich ist besonders die Unterscheidung zwischen den Begriffen "Toleranz" und "Fürsorge" wichtig. Wir sprechen immer darüber, die Toleranz zu fördern, aber das bringt uns aus meiner Sicht nicht weiter. Es begrenzt uns eher und blockiert uns. Toleranz gibt es heute schon in vielen Fällen, aber es ist nicht genug. Toleranz allein macht keine positive Haltung aus.

Ich erkläre das mal an einem Beispiel. Nehmen wir an, jemand sei Flüchtling und schwul. Dann kann ich tolerieren, dass es diesen Menschen gibt, aber ich kann ihn immer noch hassen und ihm jede nötige Unterstützung verwehren. Auch Akzeptanz allein ist nicht so einladend. Es gibt also Begriffe, die uns davon abhalten, "Embracing Diversity" wirklich zu leben. Anders ist das bei der "Fürsorge". Da sehe ich den Menschen als Ganzes und auch Empowerment-Konzepte kommen voll zum Tragen.

Wie sieht Diversitätsmanagment in eurer Jugendarbeit aus?

Jan: Unsere Einrichtungen nutzen einen inklusiven Menschenbegriff. Wer zu uns kommt, ist einfach Besucher, ohne weitere Zuschreibung. In unseren Aktionen binden wir oft die Eigenschaften unserer Jugendlichen mit ein. Sie bringen beispielsweise verschiedene Rezepte für unsere Kochnachmittage ein, zeigen uns anderen eine neue Sportart usw.

Konkret beim Kochen zeigt sich die Vielfalt besonders gut und wird absolut positiv genutzt. Davon abgesehen bedeutet ein sozialraumorientierter Ansatz auch immer die Mediation zwischen verschiedenen Interessensgruppen im Stadtteil oder in der gesamten Stadt. Vom Anwohner über den Bürgerverein bis hin zum Kulturschaffenden und vielen mehr findet Dialog statt - mit dem Ziel, den Sozialraum für alle lebenswert zu gestalten.

Cathy: Ich achte vor allem immer auf meine eigene Haltung und bemühe mich, eine neutrale und inklusive Sprache zu verwenden. Das ist nicht immer einfach, aber sicherlich auch ein wichtiger Bestandteil, damit gelebte Diversität gelingen kann.

 (Das Interview führte Marco Heuer im Auftrag von JUGEND für Europa. Foto: Cathy Manousaki / Jan Ammensdörfer) 

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Link: Cathy Manousaki und Jan Ammensdörfer haben am internationalen Training "Embracing Diversity" teilgenommen. Einen Bericht über das Training können Sie hier lesen...

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