04.10.2015

comeback 2015: "Europa ist kein Elitenprojekt mehr"

Als Befürworterin eines vereinten Europas punktete Linn Selle bei der Polit-Battle mit ihrem Sinn für Realität. Vereinigte Staaten, machte die Politikwissenschaftlerin deutlich, seien vorerst ein langfristiges Ziel. Zuvor muss das europäische Denken in die Breite wachsen. Die Ansicht, dass ein Europäischer Freiwilligendienst so etwas besser transportiert als politische Reden, teilte sie und schloss persönliche Erfahrungen in ihre Argumentation ein.  

Luftnummern sind nicht ihr Ding. Kaum, dass sich das Mikrofon außer Reichweite befindet und Polit-Battle-Moderator Andreas Korn die Bühne gewechselt hat, klettert Linn Selle vom "Expertinnen-Barhocker" und erdet sich. Sie nimmt am Rand des Podests Platz, auf Augenhöhe mit den EFDlern, deren Einsatz für Europa sie wertschätzt. Deshalb ist sie hier, um den Jugendlichen das zu sagen.

Linn Selle hat selbst keinen Freiwilligendienst gemacht, engagiert sich stattdessen ehrenamtlich im Vorstand des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland und war stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Europäischen Förderalisten (JEF). Ein vereintes Europa, macht die 29-Jährige deutlich, muss für seine Bürger nachvollziehbar und seine Institutionen transparent sein. Das Mittel zum Zweck: Bildung für junge Menschen.

"Engagement für Europa beginnt auf der persönlichen Ebene"

"Völkerverständigung ist vielgestaltig. Ein Versuch von mir, sie auszudrücken war, dass ich mich während der Griechenlandkrise mit Freunden zu einem Flashmob zusammengetan habe und wir einen Solidaritätssirtaki tanzten." Selle geniert sich nicht, die Aktion zu schildern, obwohl deren politische Wirkung gering gewesen sein dürfte. Zusammengerückt war die Gruppe dadurch gleichwohl. "Engagement für Europa beginnt auf persönlicher Ebene, in der Begegnungʺ, begründet sie, weshalb sie die Szene mit ihrem Publikum teilt. Vergleichbare Momente ihres Freiwilligendienstes dürften den Jugendlichen ähnlich stark im Gedächtnis bleiben. 

Mehr Mut musste Linn Selle 2014 aufbringen. Im Rahmen der Europawahlen initiierte sie eine Petition für ein gesamteuropäisches TV-Duell, bei dem die Bürger alle Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten erleben und deren Programm hören würden. EU-Politik als Wohnzimmer-Liveschaltung. Soweit kam es nur jedoch nicht. Das Vorhaben scheiterte am Widerstand der Sender. Angeblich war die Übersetzung des Duells zu komplex. Völkerverständigung sieht anders aus. "Europa ist unfertig", sagt Linn Selle.

"Stellt nicht die europäische Idee infrage!"

An die Adresse der EFDler appelliert sie, den Austausch mit dem Gastland nach der Rückkehr nicht abreißen zu lassen, sondern weiterzuführen: "Unsere Generation denkt europäischer, weil wir auf zwischenmenschlicher Ebene anfangen, uns zu engagieren. Dadurch habt Ihr Vorsprung gegenüber vielen Politikern." Dass dies nur für die kleine Gruppe der EFDler gilt, will Selle nicht gelten lassen: "Drei Millionen Deutsche waren bislang mit Erasmus im Ausland. Zwar sind die meisten von ihnen Studenten, aber es studiert inzwischen mehr als die Hälfte eines Abiturjahrgangs. Über Europa zu reden, wird selbstverständlicher. Europa ist kein Elitenprojekt mehr."

Damit, dass die Mandatsträger den Diskurs vornehmlich auf der Institutionsebene führten, erwiesen sie Europa keinen Gefallen, gibt sich die Westfälin kämpferisch. "Die Griechenlandkrise hat bewiesen, dass auf politischer Ebene viel falsch läuft, wenn der Erfahrungsaustausch auf Fakten und Verfahren beschränkt bleibt. Die Gremien der EU sind für die Menschen weniger bedeutsam als die Gemeinschaft. Europa funktioniert, wenn seine Bürger dahinterstehen. Einzelne Politiker oder Regierungen muss man kritisieren oder ablehnen. Aber stellt die europäische Idee deshalb nicht infrage!"

Dr. Tanja Kasischke für JUGEND für Europa
Bild: David Ausserhofer, Bonn

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