11.03.2015

Fachforum Europa: "Es gibt gute Gründe, warum die EU und ihr politisches System so komplex und unbefriedigend sind"

JUGEND für Europa sprach auf dem Fachforum Europa mit Monika Oberle, Professorin für Politikdidaktik an der Universität Göttingen. Ein Interview über Schulbücher, die Lehramtsausbildung und warum die Europäische Union oft unbefriedigend sein kann.

JfE: Frau Oberle, Sie forschen an der Universität Göttingen unter anderem zu Schulbüchern. Wie wird darin momentan noch Europa vermittelt?

Prof. Dr. Oberle: Wir sind noch mittendrin im Forschungsprozess, aber der erste Eindruck ist, dass die Gründungsgeschichte und Institutionen vorkommen, das Parlament aber nur unbefriedigend behandelt wird. Die Europawahlen und die Aufgaben und Kompetenzen des Parlaments kommen nur am Rande vor, um Beteiligung der Bürger geht es fast gar nicht. Das Schulbuch wird immerhin von der Mehrzahl der Lehrkräfte für die EU-Vermittlung eingesetzt – ob als Leitmedium oder nur für bestimmte Dinge, aber es wird genutzt. Umso problematischer, dass sie sehr oft nicht aktuell sind. Das heißt also, das Drei-Säulen-Modell der EU kommt noch vor oder die Kompetenzen des Parlaments werden unterschätzt, obwohl sie sich schon vergrößert haben nach dem Vertrag von Lissabon.

Wie sieht denn die Situation aus bei jungen Politik-Lehrkräften aus? Welche Schwierigkeiten haben sie bei der Vermittlung von Europa?

Das Hauptproblem, das die Lehrkräfte wahrnehmen, ist die Komplexität der Europäischen Union und wie das verständlich gemacht werden kann. Mein Eindruck ist: Die Vermittlung ist auch deshalb so schwierig, weil viele Lehrer es selbst nicht genügend verstanden haben, da die EU in der Lehrerausbildung wenig vorkommt oder Lehrkräfte Politik fachfremd unterrichten. Man sieht in der Lehr-Lernforschung, dass Lehrende einen ordentlichen Wissensvorsprung vor den Lernenden benötigen: ich muss das Thema selbst richtig verstanden haben, um es vermitteln zu können. Daher kommt unser Ansatz, dass man gewisse zentrale, relativ dauerhafte Aspekte der EU und europäischen Integration in der Lehrerfortbildung vermittelt, und wenn diese Inhalte verstanden sind, kann man den Rest auch besser vermitteln. Oft fehlt die Basis, und dann muss man sich alles selbst aneignen.

Wenn aber die Basis fehlt, und man bei dem Stichwort Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl nicht die Verbindung zu Frieden und Wohlstand herstellt, muss man sich das selbst aneignen. Das setzt doch aber schon großes Interesse in irgendeiner Form voraus...

Deswegen plädiere ich auch so stark dafür, dass es nicht nur um Wissen an sich geht, sondern um eine problem-, konflikt-, handlungs- und lebensweltorientierte Vermittlung. Vielversprechende Ansätze sind etwa politische Exkursionen, der direkte Kontakt zu Parlamentariern und anderen EU-Politikerinnen, damit Europa ein Gesicht bekommt. Aber auch Simulationen und Planspiele. Ich bin auch der Meinung, dass bei der EU-Bildung viel gewonnen wäre, wenn es einen beständigen Zugang zum Thema Europäische Union geben würde. Das braucht mehrere Anläufe, und man sollte damit bereits früh starten. In jedem Fall benötigen wir eine moderne, keine verstaubte Institutionenkunde. Eben vom konkreten Problem und nicht der Institution ausgehend, die ja nur der Problemlösung dient.

Also von der Agrarpolitik ausgehend das System erklären...

Ja, wobei die Agrarpolitik noch relativ wenig mit dem Alltag der Schüler zu tun hat. Die Roaming-Gebühren wären so ein konkretes Thema. Oder bei den Grundschulen die Lebensmittel-Ampeln. Etwas, das ein Problem darstellt, das auf europäischer Ebene gelöst werden muss, und die Lösung das Leben dann auch erleichtert. Ein weiterer Schritt wäre, die Leute für das Institutional Engineering zu begeistern. Ich sehe das immer in Seminaren, wenn die Studenten überlegen, ob ein demokratisches EU-System eher parlamentarisch oder eher präsidentiell organisiert sein sollte, ob wir die EU gänzlich intergouvernemental wollen oder wo das Machtzentrum eigentlich sitzen soll. Manche schlagen dann vor, die EU noch viel mehr zu zentralisieren, weil Politik sonst zu kompliziert ist. Dabei zeigen sich dann wieder die Kehrseiten. Und genau dadurch lernen die Studierenden, dass es nicht DIE Lösung gibt, und dass es gute Gründe gibt, warum die EU so komplex ist und ihr politisches System so unbefriedigend.

Angesichts immer komplexerer Probleme, wie der Eurokrise oder dem Fall Griechenland: Verlangen wir nicht vielleicht auch zu viel von Lehrern?

Ich denke wir brauchen beim Thema Europa ganz dringend mehr und vor allem gute Lehrerfortbildungen. Wir haben zu eintägigen Fortbildungen geforscht. Dort wurden die Grundlagen zur EU aufgefrischt und Neuerungen wie der Vertrag von Lissabon vermittelt. Der Unterricht hat die Aufgabe, Orientierungen zu vermitteln. Was Lehrkräfte dafür verinnerlichen sollten ist, dass sie nicht die Lösung parat haben müssen. Sie müssen nicht sagen, ob Griechenland raus aus dem Euro soll oder nicht, denn die Lösung findet auch die Wissenschaft nicht. Sie sollen viel mehr verschiedene Positionen, Hintergründe, denkbare Effekte und Probleme vermitteln. Das kann auch heißen, dass man zusammen durchspielt was passieren würde, wenn Griechenland aus dem Euro austritt, und daran die positiven und negativen Folgen für Griechenland und Europa und verschiedene Akteure aufzeigt. Für mich geht es dabei immer um ein „mehr“: also dass sich der Zugang verbessert, dass eine Problematik etwas mehr durchdrungen wird als vorher oder, dass mehr Interesse und Partizipationsbereitschaft besteht.

Also kann man damit sehr früh anfangen und bereits in der Grundschule ansetzen?

Auf jeden Fall! Zu glauben, dass Grundschüler nichts anfangen können mit Politik, ist Unfug. Das hat Jan van Deth in Mannheim gezeigt, aber auch Franz Walter am Göttinger Institut für Demokratieforschung, mit dem Kinderdemokratie-Projekt. Das ist ein kommunalpolitisches Projekt mit Grundschulkindern und da zeigte sich, wie gut hier politische Planspiele funktionieren können: die Kinder demonstrieren, sind begeistert, spielen Presse und handeln Entscheidungen aus. Ich wage die Aussage, dass auch EU-Planspiele in der Grundschule sinnvoll einsetzbar sind – dazu planen wir gerade ein Forschungsprojekt. Was den alltäglichen Unterricht angeht, ist das allerdings auch eine Frage der Ausbildung von Grundschullehrern. Sachunterricht heißt nämlich nicht, dass es eine Ausrichtung auf politische Bildung geben muss. Da ist noch vieles möglich.

Das Interview führte Lisa Brüßler für JUGEND für Europa.
Bild: ©Lisa Brüßler

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