18.03.2013

Experiment: Ein Europäischer Freiwilligendienst für alle schafft mehr Bürgerschaftssinn

Einer der Experten auf dem diesjährigen Fachforum Europa in Bonn war Martin Bach. Er ist Projektmanager bei der Allianz Kulturstiftung (AKS) und derzeit damit beschäftigt, das im Mai 2012 von Daniel Cohn-Bendit und Ulrich Beck veröffentlichte politische Manifest für einen Europäischen Freiwilligendienst für alle Gesellschaftsschichten populärer zu machen.

Herr Bach, was ist aus Sicht der Allianz Kulturstiftung das Besondere an der Initiative von Cohn-Bendit und Beck? 

Der Aufruf "Wir sind Europa" verbindet die Vision einer solidarischen, europäischen Bürgergesellschaft mit der Praxis und bestehenden Strukturen und wird so greifbar und praktikabel. Die Forderung nach einem Europäischen Freiwilligenjahr für alle scheint für manche vielleicht auf den ersten Blick reines Wunschdenken zu sein.

Wenn man sich aber anschaut, welche Strukturen mit dem bestehenden Europäischen Freiwilligendienst bereits vorhanden sind und wie viel Expertise und Erfahrung in Deutschland und Europa zur Verfügung stehen, sollte es möglich sein, neue Räume zu öffnen und das bestehende Freiwilligenprogramm der EU zu erweitern und weiterzuentwickeln.

Welche Ziele hat sich die Stiftung gesetzt?

Die Allianz Kulturstiftung versteht sich als Mitinitiator, Moderator und Co-Finanzierer der Anfangsphase. Mittelfristig muss die Umsetzung in Strukturen übergehen, die über die personellen Ressourcen und die entsprechende Expertise verfügen. Deswegen ist es jetzt sehr wichtig, dass die AKS weitere Partner national und europaweit dazu gewinnt. Die Reaktionen sind vielversprechend.

Sehr dankbar sind wir schon jetzt für die Beratung und Mithilfe durch JUGEND für Europa, der Europäischen Kommission  und der "Association of Voluntary Organizations" (AVSO). EU-Kommissarin Vassiliou hat die Initiatoren eingeladen, ein Modellprojekt zu entwickeln und im Sommer dieses Jahres zu präsentieren.

Für wen wäre so ein Freiwilligendienst denn überhaupt interessant?

Grundsätzlich kann das freiwillige Engagement im europäischen Ausland für jede Bürgerin und jeden Bürger ein Gewinn sein. Das ist die Überzeugung, die hinter dem Aufruf "Wir sind Europa" steht. Es geht ja nicht nur um die interkulturelle Erfahrung, die den Blick auf die Situation im eignen Land schärft. Die Freiwilligen arbeiten in einem Arbeitsbereich, der ihnen in der Regel bis dahin nicht vertraut war – wie zum Bespiel in ökologischen, sozialen oder kulturellen Projekten.

Dieses Lernen erweitert den eigenen Horizont und bereichert den Erfahrungsschatz. Das Freiwilligenjahr passt vielleicht nicht zu jeder Zeit in jede biographische Situation. Je breiter das Angebot aber ist, desto mehr Menschen werden am Ende auch davon profitieren können.

Es gibt aber nicht nur Befürworter, sondern auch deutliche Kritiker des Projekts.

Das stimmt. Der Aufruf hat neben großer Zustimmung auch Fragen provoziert, die sich aber keiner speziellen gesellschaftlichen Gruppe zuordnen lassen. Zwei Aspekte stehen bei den Nachfragen im Vordergrund: die Arbeitsmarktneutralität und der Betreuungsaufwand. Wie lässt sich sicherstellen, dass die Freiwilligen nicht als billige Arbeiter missbraucht werden? Lassen sich die bestehenden Strukturen einfach auf neue Zielgruppen übertragen oder benötigen nicht gerade Benachteiligte eine ganz andere, intensivere Betreuung? Das sind Fragen, denen sich die Initiatoren stellen müssen. Und das tun sie auch. Sie sind sich der Bedenken bewusst und setzten deshalb auf Erfahrungen in diesen Bereichen.

Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Thema "Freiwilligendienst" einen Nerv trifft und auf großes Interesse und Offenheit stößt. Die Zeit scheint reif, dem EFD neue Türen zu öffnen. Das wird auch durch die vielen prominenten Erstunterzeichner der Initiative deutlich.

"Ein Europa von unten" lautete der Titel Ihrer Arbeitsgruppe auf dem Fachforum Europa. Wie kann das gelingen?

Die Dichotomie von "unten" und "oben" ist eine Überspitzung. Vielmehr geht es darum, einen verantwortungsbewussten europäischen Bürgerschaftssinn zu entwickeln. Und der kann grundsätzlich von einem jungen Arbeitslosen genauso verinnerlicht werden, wie von einer Vorstandsvorsitzenden eines erfolgreichen Konzerns oder von einem EU-Beamten. 

Wie erleben Sie die gegenwärtige Krisen-Debatte um Europa?

Ich fürchte eine zunehmende Verengung der Debatte auf ein einfaches Pro oder Contra: Das heißt, wer sich grundsätzlich für die Ziele der EU ausspricht, wird für jede Entscheidung der EU-Organe in Mithaftung genommen. Gleichzeitig werden kritische Stimmen leicht der Gruppe der "Anti-Europäer" zugeordnet. Wir brauchen eine andere Diskussionskultur, offene Debatten, Kritik, Zu- und Widerspruch – ohne, dass wir uns dabei in eine rein nationalstaatliche und ökonomische Perspektive begeben.

Wie kann man Jugendliche derzeit am besten dazu bringen, sich mit Europa auseinanderzusetzen?

Europa muss unmittelbar erfahrbar sein. Ein Satz wie "Europa ist gut für euch, weil es Frieden und Wohlstand gebracht hat" bewirkt nicht mehr viel. Und das geht nicht nur Jugendlichen so. Genau deshalb ist der Europäische Freiwilligendienst so wertvoll. Hier geht es um "Doing Europe", wie es im Aufruf von Beck und Cohn-Bendit heißt.

(Das Interview führte Marco Heuer im Auftrag von JUGEND für Europa)

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Veranstaltet wurde das Fachforum in diesem Jahr von JUGEND für Europa, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Netzwerk Europäische Bewegung und der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar.

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