19.05.2009

"Breaking Barriers" – Klettern im Selbstversuch

Dr. Carlos Barata hängt in den Seilen. Der Leiter der portugiesischen Vereinigung "Zerebrale Lähmungen" müht sich am Kletterturm ab. Warum? Er ist Teilnehmer des internationalen Seminars "Breaking Barriers".

In die Seile geschickt wurde Dr. Barata von seinem Gastgeber „ZERUM“, dem „Zentrum für Erlebnispädagogik und Umweltbildung“ in Ueckermünde. Das europäische Seminar „Breaking Barriers“ brachte Fachkräfte von sechs Einrichtungen aus Deutschland, Portugal, Slowenien und Rumänien zusammen. Sie alle wollten schauen, wie sie abenteuer- und erlebnispädagogische Methoden in Maßnahmen für Jugendliche mit Behinderungen einsetzen können.

Der pädagogischer Ansatz von ZERUM liegt in der Arbeit des Einrichtungsträgers begründet, dem „Verein zur Förderung bewegungs- und sportorientierter Jugendsozialarbeit“ (bsj e.V.). Je nach Alter und Fähigkeit bietet das ZERUM unterschiedliche Aktivitäten für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen an: Fotosafaris, Wandern nach Karte, Spiele, Klettern, Kochen auf offenem Feuer, Wasseruntersuchungen und Fahrten auf der „Wappen von Ueckermünde“, Deutschlands erstem rollstuhlgerechtem Großsegelschiff.

Alle Handgriffe in den Aktivitäten werden möglichst von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst durchgeführt, z.B. das Anlegen von Schwimmwesten, das Steuern eines Bootes oder die Führung einer Gruppe bei Naturerlebniswanderungen. Helferinnen und Helfer lassen die Kinder und Jugendlichen gewähren, sie leisten keine überflüssige oder einschränkende Hilfe und schützen die Handlungsspielräume der Beteiligten. Am ZERUM machen viele Kinder und Jugendliche die Erfahrung, wesentlich mehr zu können, als sie vorher annahmen.

Erlebnisraum Höhe

Vielleicht gilt dies auch für die Fachkräfte auf dem Seminar „Breaking Barriers“. Im Selbstversuch erproben sie die erlebnispädagogischen Methoden, die sie in ihrer Praxis umsetzen wollen. Manches läuft unter dem Motto „Augen zu und durch“ (wie die Balancierübungen mit verbundenen Augen). Doch alles, was sie ausprobieren, wird anschließend weitsichtig reflektiert. So wird der Kletterturm schnell zum „Erlebnisraum Höhe“ – und ein theoretischer Input wie „nationale Modifikationen praktischer Anwendungsbeispiele“ zum Anlass für eine ausgiebige Diskussion.

Die Träger-Szene, die sich mit dem Querschnittsthema „Abenteuer-/Erlebnispädagogik, Behinderung und Internationale Begegnung“ ist nicht groß. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Gruppe, die sich in Ueckermünde einfindet, ein bisher informelles europäisches Netzwerk repräsentiert, das nun schon seit acht Jahren existiert. Die Partner fanden 2001 während eines europäischen Kongresses zusammen. Aus einer Arbeitsgruppe entstand die Idee, Fachkräfte und Organisationen zu vernetzen, die abenteuer- und bewegungsorientierte Methoden für junge Menschen mit Behinderungen einsetzen. Das Netzwerk "Breaking Barriers“war geboren.

Wunsch nach gemeinsamen Qualitätsstandards

Während des gleichnamigen Seminars reflektieren die Fachkräfte über die Praxiskonzepte aus den einzelnen Ländern und überlegen, wie diese in die anderen Länder übertragen werden können. Doch neben dem Austausch von Methoden und Erfahrungen wird auf dem Treffen auch ein neues internationales Projekt entwickelt: Eine große internationale Jugendbegegnung, an dem junge Menschen mit Beeinträchtigungen aus mindestens fünf europäischen Ländern teilnehmen, wird angeschoben.

Johan Reinert vom bsj/ZERUM freut sich, „dass das Programm JUGEND IN AKTION solche innovativen, notwendigen und zum Teil gesellschaftlich ‚vergessenen’ Projekte fördert und unterstützt.“ Es sei, so meint er, immer noch ungewöhnlich, dass Menschen mit Beeinträchtigungen „abenteuerliche Situationen“ bestehen müssen (und dürfen). „So haben sie nicht viele Möglichkeiten zu lernen, wie sie in solchen Situationen angemessen reagieren können. Das aber sei wichtig für ihre Entwicklung – und damit letztlich ein entscheidender Beitrag zur gesellschaftlichen Integration und Normalisierung dieser Zielgruppe.“

Seine feste Überzeugung, dass die Autonomie der Kinder und Jugendlichen gefördert werden müsse, teilen die anderen Mitglieder des Netzwerks. Sie wünschen sich gemeinsam erarbeiteten Qualitätsstandards. Erste Schritte dafür haben sie gemacht. Weitere werden folgen. Das alles fußt auf der guten und kontinuierlichen Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen. Seit 2001 habe sich eine Gruppe gefunden, mit der man leicht zusammenarbeiten kann, schwärmt Johan Reinert. Auch weil ihre Mitglieder immer wieder bereit sind, Neues auszuprobieren. Und genau deswegen wird sich Dr. Barata auch beim nächsten Mal wieder ins Zeug legen.

(Dr. Helle Becker)

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Sowohl das Fachkräfteseminar wie auch die anschließende Jugendbegegnung wurden über das EU-Programm JUGEND IN AKTION gefördert. Neben den körper- und bewegungsorientierten Aktivitäten spielten kooperations- und kommunikationsspezifische Elemente bei der Jugendbegegnung eine entscheidende Rolle.

Weitere Informationen zum ZERUM – dem Zentrum für Erlebnispädagogik und Umweltbildung erhalten Sie unter www.zerum-ueckermuende.de/.

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