15.01.2014

"Nicht formales Lernen spielt bei Erasmus+ eine zentrale Rolle"

Erasmus+ ist gestartet. Für Bildungsträger und Projektverantwortliche aus dem Jugendbereich bedeutet das neue EU-Programm jetzt erst mal Umgewöhnung. Wo liegen die Hoffnungen, wo die Sorgen? Marco Heuer hat mit Klaus Waiditschka gesprochen. Er ist Fachbereichsleiter für außerschulische Jugendbildung und internationale Zusammenarbeit bei JuSeV, einem Verein für Jugendhilfe und Sozialarbeit in Fürstenwalde.

Herr Waiditschka, Erasmus+ ist offiziell zum 1. Januar gestartet. Was erwarten Sie konkret vom neuen EU-Programm für Bildung, Jugend und Sport?

Generell erhoffe ich mir von der Zusammenführung der alten Programme in Erasmus+ eine stärkere Durchlässigkeit und die Möglichkeit zur sektorenübergreifenden Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten. Für unseren Verein ist das zum Glück nicht alles Neuland. Aufgrund der Breite und Vielfalt der Arbeitsfelder, in denen JuSeV bislang tätig war, haben wir bereits Erfahrungen als Antragsteller und Projektdurchführende – nicht nur bei JUGEND IN AKTION, sondern auch bei Leonardo da Vinci und Grundtvig.

Was ist für Sie besonders interessant?

Die spannendsten Möglichkeiten des neuen Programms liegen sicherlich in den "Strategischen Partnerschaften", der langfristigen und vielfältigen Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern und dem Ziel, mehr für Innovation zu sorgen und die Praxis kontinuierlich zu verbessern.

Da unser Verein aber sehr viel mit osteuropäischen Partnerländern zusammenarbeitet und die "Strategischen Partnerschaften" zunächst auf die Programmländer beschränkt sind, werden wir diese Option wahrscheinlich nicht so sehr nutzen können. Ich hoffe aber, dass im Verlauf der Programmlaufzeit auch noch eine Öffnung in Hinblick auf die Partnerländer möglich sein wird.

Mehr Europa in der Kinder- und Jugendhilfe, geht das überhaupt?

Lassen Sie mich da ein bisschen weiter ausholen. Seit 2010 gehen wir aktiv auf Schulen, Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Heime für minderjährige Flüchtlinge zu. Wir bemühen uns, sie aktiv in das Boot der internationalen Jugendarbeit hineinzuholen.

Ausgangspunkt war die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) und die Feststellung, dass es für behinderte Menschen nicht nur wegen des Assistenzbedarfs, sondern auch wegen fehlender Erfahrungen der Mitarbeitenden in den entsprechenden Einrichtungen, wegen struktureller Probleme und eines geringen Bewusstseins für die Chancen und Möglichkeiten grenzüberschreitender Mobilität zu Lernzwecken viel schwerer ist, entsprechende Auslands- und Begegnungserfahrungen durchzuführen. Diese Erkenntnis gilt in ähnlicher Weise auch für junge Menschen in der Heimerziehung sowie Einrichtungen der Flüchtlingshilfe.

Fällt Ihre Bilanz denn bislang positiv aus?

Die ersten Erfahrungen sind ermutigend. Sie zeigen, dass die Öffnung und die Zusammenarbeit mit diesen Bereichen der Jugendhilfe möglich sind. Internationaler Austausch muss nicht nur auf die verbandliche und offene Jugendarbeit beschränkt bleiben. Gleichwohl ist es ein zäher und mühsamer Prozess, der auch dadurch erschwert wird, dass die nötige Arbeitszeit für das behutsame und schrittweise aufeinander Zugehen, die Ermutigung zum Ausprobieren und das Öffnen der Einrichtungen aus der Alltagsroutine hin zu mehr Begegnungserfahrungen bisher nicht und auch aus dem neuen Programm Erasmus+ nicht finanziert werden.

Welche Rolle sollte das nicht formale Lernen für Berufsvorbereitung und Berufsqualifizierung künftig spielen?

Die Förderung der "Beschäftigungsfähigkeit" (employability) von jungen Menschen braucht vielfältige und sich ergänzende Strategien. Sie hängt nicht nur von der berufsfachlichen Qualifikation ab. Mindestens genauso wichtig sind die Ausbildung einer eigenständigen, selbstbewussten und reifen Persönlichkeit sowie soziale, kommunikative und – in einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt – interkulturelle Kompetenzen.

Während die fachliche Ausbildung vor allem im formalen Bildungssystem geschieht und verbleiben muss, sind für die Persönlichkeitsentwicklung und die Ausbildung von Sozialkompetenzen nicht formales und informelles Lernen von entscheidender Bedeutung. Insofern trägt außerschulische Bildung (genauso wie die Familie oder das peer-learning) in einem hohen und unverzichtbaren Maße zur Berufsvorbereitung und Berufsqualifizierung bei.

Es gibt keinen Grund, das Erreichen der Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen ausschließlich dem formalen Bildungssystem als Aufgabe zuzuweisen.

Welche Bedeutung hat die grenzüberschreitende Lernmobilität für Ihre Arbeit?

Nicht in allen, jedoch in sehr vielen Arbeitsfeldern unseres Vereins spielt die grenzüberschreitende Lernmobilität eine Rolle: Die Grundschule hat selbstverständlich eine polnische Partnerschule mit regelmäßigen Besuchen und Austausch, die Schulsozialarbeiter gestalten die Schülerbegegnungen der Förderschule und der Oberschule mit, die WerkStattSchule – ein Projekt für schulverweigernde Jugendliche – nutzt die Möglichkeiten zum Kontakt und Austausch mit ähnlichen Projekten in der Türkei und anderen Ländern, die Jugendbildungsstätte beherbergt und unterstützt viele Jugendbegegnungen, die Jugendclubs fahren zu Begegnungen nach Nordirland oder Italien, und in vielen unserer Einrichtungen arbeiten europäische und deutsche Freiwillige gemeinsam und wohnen auch zusammen in unseren Wohngemeinschaften.

Kurzum: Wir leben Europa und sind ein Beispiel dafür, dass Europa aus vielen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe nicht mehr wegzudenken ist.

Gibt es bereits Ideen für die Zusammenarbeit mit dem formalen Sektor, der Schule oder der Berufsschule?

Ein sehr großer Teil unserer Vereinsaktivitäten geschieht schon jetzt in Zusammenarbeit mit Schulen, sowohl auf dem Schulgelände wie auch in der Bildungsstätte oder an anderen Orten in der Stadt. Deshalb bitten uns Schulen auch immer wieder, ihnen bei der Anbahnung von internationalen Kontakten und der Durchführung von Begegnungen zu helfen.

Darüber hinaus führe ich als Trainer des Deutsch-Polnischen Jugendwerks schon seit vielen Jahren Lehrer-Fortbildungen zur Unterstützung deutsch-polnischer Schulpartnerschaften durch. Jetzt müssen wir schauen, was uns Erasmus+ noch als zusätzliche Optionen bringt.

(Das Interview führte Marco Heuer im Auftrag von JUGEND für Europa.)

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Die Programminformationen zu Erasmus+ JUGEND IN AKTION finden Sie unter www.jugend-in-aktion.de.

Informationen zur Tätigkeit des Vereins für Jugendhilfe und Sozialarbeit in Fürstenwalde erhalten Sie unter www.jusev.de.

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