12.12.2013

Eine Brücke von London nach Göttingen

Acht Jugendliche aus einem Jugendzentrum im Londoner Stadtteil Bexley verbrachten neun Tage in Göttingen. Sie nahmen am Unterricht einer berufsbildenden Schule teil und diskutierten in Workshops und Rollenspielen mit acht einheimischen Jugendlichen über die Zukunft Europas, ihre Einstellung zur Politik und ihre Berufsperspektiven.

Wenn demnächst in London ein Restaurant eröffnet, in dessen Küche sowohl Fish ´n´ Chips als auch Kassler und Sauerkraut zubereitet werden, stammt die Idee wahrscheinlich aus einem Jugendaustausch in Göttingen. In der niedersächsischen Universitätsstadt trafen sich jeweils acht Jugendliche aus dem Bexley Integrated Youth Service in London und einem Göttinger Jugendzentrum. Elf Erzieher und Erzieherinnen im ersten Ausbildungsjahr der Berufsbildende Schulen (BBS) Ritterplan organisierten und koordinierten die Zusammenkunft im Rahmen ihrer Ausbildung.

"Die Anregung zu diesem Austausch hatten zwei unserer Schüler nach ihrem Auslandspraktikum im Bexley Youth Service in London zusammen mit ihrem Betreuer und Youth Development Officer Tony Ball“, berichtet Kathrin Bittner-Szaukellis, die in Göttingen an den BBS unterrichtet. "Wir haben ihre Anregung sofort aufgenommen und konnten sie im vergangenen Jahr realisieren." Die BBS begleitete das neuntägige Treffen im Rahmen ihres Projekts "Erzieher/-innen in Europa".

Arbeitslosigkeit ist ein wichtiges Thema

Zum Auftakt der Zusammenkunft malten die Jugendlichen aus Deutschland und Großbritannien ihre Träumen und Idealvorstellungen von der eigenen Zukunft. Ein Haus im Grünen, eine glückliche Familie und aufregende Reisen - die Wünsche junger Menschen sind überall in Europa ähnlich. Doch der Weg dahin kann steinig sein. Voraussetzungen, mit denen sich so mancher Traum realisieren lässt, sind ein befriedigender Job und eine gute Ausbildung.

Obwohl die Gefahr, als junger Erwachsener arbeitslos zu werden und keinen Ausbildungsplatz zu finden, in Großbritannien größer ist als in Deutschland, setzten sich beide Gruppen intensiv mit dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit auseinander. Es wurde schnell deutlich, wie wichtig Arbeit und Ausbildung für Jugendliche unabhängig von der Staatszugehörigkeit ist.

In Rollenspielen setzten sich die Mädchen und Jungen mit der Suche nach dem passenden Job auseinander. Sie schlüpften in die Rolle von Arbeitslosen, die sich in Deutschland bei der Agentur für Arbeit vorstellen oder nahmen die Position des Beraters einer Arbeitsagentur ein. In einer anderen Rolle stellten sie typische Situationen einer Berufsberatung in England und Deutschland nach.

Youth Councils erleichtern Zugang zur Politik

Ein weiteres Thema des Treffens war die Teilhabe junger Menschen am politischen Prozess. In Großbritannien haben Jugendliche durch School Parliaments, die es bereits in Grundschulen gibt, und die Youth Councils schon früh einen Zugang zur Politik. Sie können in diesen Gremien ihre Anliegen vorbringen und die Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene beeinflussen. Junge Briten sind durch die Teilnahme an den Youth Councils generell politisch stärker interessiert. Sie wissen, wie und wo sie ein Anliegen vortragen und ihre Stimme erheben können.

"Solch eine Einrichtung fehlt den jungen Menschen in Deutschland und würde ihnen helfen, ihr Interesse für Politik zu stärken", lautete der Tenor der britischen Gäste und der deutschen Gastgeber. Außerdem kamen beide Gruppen zu dem Schluss, dass Jugendarbeit in Großbritannien professioneller ist und vom Staat und den Kommunen finanziell besser unterstützt wird.

Gemeinsame Politikverdrossenheit

Eine traurige Parallele zwischen beiden Gruppen ist die vorherrschende Politikverdrossenheit. Sowohl die Schülerinnen und Schüler aus Göttingen als auch ihre britischen Gäste glauben, dass die politische Klasse beider Staaten und ganz Europas von Korruption durchsetzt ist. Beide Gruppen nehmen den politischen Betrieb negativ wahr. Auf eine Verbesserung dieser Situation hoffen sie kaum.

Die jungen Gäste aus dem Londoner Osten nahmen vormittags am Unterricht mehrerer Berufseinstiegsklassen der BBS teil. Die deutschen Schülerinnen und Schüler werden darin auf eine Ausbildung zur Schneiderin, zum Friseur oder zur Köchin vorbereitet. Für die britischen Mädchen und Jungen war diese Form des fachpraktischen Unterrichts neu, da es eine ähnliche Qualifizierungsmöglichkeit in ihrer Heimat nicht gibt. Die Nachmittage und Abende verbrachten die jugendlichen Gäste gemeinsam in einem Göttinger Jugendhaus. Während nachmittags Workshops und Rollenspiele anstanden, kochten sie abends zusammen, trieben gemeinsam Sport und feierten am letzten Abend eine Abschiedsparty.

Ausgelassene Stimmung

"Zu Beginn waren unsere Gäste aus Bexley noch eher schüchtern. Das änderte sich aber schon während der ersten Tage. Die Stimmung zwischen den englischen und deutschen Jugendlichen war sofort herzlich und ausgelassen", berichtet Kathrin Bittner-Szaukellis. Die Mädchen und Jungen des Bexley Integrated Service kehrten mit vielen Anregungen zurück auf die Insel. Einer der britischen Gäste, der zunächst sehr skeptisch gegenüber dem deutschen Essen war, empfand schließlich Geschmack an deutschen Gerichten und entwickelte sogar die Vision eines Restaurants mit deutsch-englischer Küche. London, sei der optimale Standort für solch ein Lokal, war er überzeugt.

Als sich der Austausch dem Ende entgegen neigte, waren sich alle einig, dass man in den neun Tagen die Basis für weitere Begegnungen geschaffen habe. Mehrere Jugendliche haben Freundschaften geschlossen und sich inzwischen gegenseitig besucht. Für die beteiligten Partnerorganisationen steht fest, dass sie den Austausch weiter führen möchten. Die Göttinger planen für 2014 den Gegenbesuch in Bexley.

Auch für die angehenden Erzieherinnen und Erzieher der BBS war die internationale Begegnung eine gute Erfahrung. Die Auszubildenden hatten sich in ihrer Freizeit durch Teilnahme an Seminaren mit den Themen "Jugendarbeitslosigkeit“ und "Demokratie im Alltag“ auf die Jugendbegegnung vorbereitet und empfanden die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen statt mit Kindern als große Bereicherung.

"Sie hatten sehr viel Spaß dabei und sahen sich viel mehr als Begleiter denn als Pädagogen“, zieht Kathrin Bittner-Szaukellis ein positives Fazit.

(Michael Sachse im Auftrag von JUGEND für Europa)

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Auch das neue EU-Programm Erasmus+ (2014 - 2020) fördert weiterhin Jugendbegegnungsprojekte. Die erste Antragsfrist hierfür wird der 17. März 2014 sein.

Alle Informationen zur Antragstellung über das neue Programm erhalten Sie ab Januar 2014 auf unserer Seite www.jugend-in-aktion.de.

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