03.05.2013

Jugenddemokratieprojekt – Handlungs:spiel:raum Europa

Schauspielhaus Magdeburg, 26. April 2013, 19:15 Uhr: Heide Palmer blickt nervös auf ihre Armbanduhr. "Wir sind alle ziemlich aufgeregt", gibt sie zu. In zehn Minuten ist es so weit: Dann stehen zwanzig Jugendliche auf der Bühne, das Licht geht an und die jungen, deutsch-französischen SchauspielerInnen präsentieren vor dem Magdeburger Publikum, womit sie sich in den vergangenen neun Monaten beschäftigt haben: Europa.

Seit Oktober 2012 haben sich Jugendliche aus den Partnerstädten Magdeburg und Le Havre intensiv über Europa diskutiert und improvisiert. Aus ihren Gedanken, Gefühlen und Erkenntnissen ist das Stück "Handlungs:spiel:raum Europa – latitude:de:jeu Europe" entstanden.

Es ist so bunt, wie sie selbst und wie Europa: Die Popmusik, zu der die Jugendlichen auf der Bühne tanzen, geht plötzlich in "Freude schöner Götterfunken" über. Auf angespannte Stille folgt Handyklingeln aus allen Ecken der Bühne und ein schier babylonisches Sprachgewirr erfüllt den Raum. Textpassagen wechseln sich ab mit Tanzeinlagen, ernste Szenen mit lustigen, ein Thema geht blitzschnell und ohne Übergang zum nächsten über; - das Stück ist modulartig aufgebaut, ähnelt einer Collage.

Europa ist das alles – und noch viel mehr

Ausgehend von der Leitfrage "Was ist Europa für mich?" haben die Jugendlichen während des Projektes Handlungsspielräume und Teilhabemöglichkeiten für Bürger in Europa erkundet. Sie haben darüber diskutiert, was es bedeutet, Europäer zu sein, haben über Politik und Werte gesprochen, Träume und Ängste geteilt und sich über europäische Identität ausgetauscht.

Die 17-jährige Schülerin Miha lebt in Magdeburg, aber ihre Familie kommt aus Rumänien. "Zuhause fühle ich mich rumänisch, wenn ich in der Schule bin fühle ich mich deutsch, und ab und zu auch europäisch", erklärt sie lachend. Durch das Theaterprojekt und den Austausch mit der französischen Gruppe habe sie sehr viel mehr über Europa erfahren und sagt: "Ich nehme Europa jetzt mit mehr Humor."  

Auf der Bühne herrscht ein kunterbuntes Durcheinander: Von der Reisefreiheit zu Hitler, vom Europäischen Freiwilligendienst zur Ausgrenzung der Roma, von der Wirtschaftskrise und mangelnder Solidarität zu den Römischen Verträgen und den Idealen der Gründungsväter Europas, von Zukunftsangst zu Begeisterung und Gestaltungswille. Themen wechseln so schnell wie die Sprachen, in denen die Jugendlichen ihr Werk präsentieren. Die Augen der Zuschauer fliegen von den Darstellern, die mal in deutsch, mal in französisch, englisch oder rumänisch sprechen, zu der im Hintergrund angezeigten Übersetzung, wissen manchmal nicht, wo sie zuerst hinschauen und hinhören sollen.

Verwirrung ist mit dabei. Schlagworte werden in den Raum geworfen: Große Begriffe wie Frieden, Freiheit und Wohlstand treffen auf Themen wie Musik und Kosmetik – Themen, die doch allesamt europäisch sind.

Was ist Europa ohne Solidarität?

"J’ai foi en l’avenir. J’ai peur", tönt es von der Bühne und auf der Übersetzungstafel steht zu lesen: "Ich glaube an die Zukunft. Ich habe Angst".

Dass beides zutrifft, bestätigt die 16-jährige Französin Anouk: "Ja, ich habe Angst, dass wir vergessen, dass wir Europäer sind und nicht nur Franzosen oder Deutsche. Ich habe auch Angst, weil die Menschen kein Vertrauen mehr in die Politiker haben – und wenn wir denen nicht vertrauen können, wem dann? Ich habe Angst, dass in Vergessenheit gerät, dass Europa auf Solidarität gebaut ist."

Solidarität ist ein wichtiges Thema für die jungen Schauspieler. So nehmen die Wirtschaftskrise und ihre Folgen für Länder wie Griechenland einen prominenten Platz auf der Bühne ein. "Wir sagen Europa und denken dabei an Frankreich und Deutschland, aber wir sollten nicht vergessen, dass wir viele Länder sind", sagt Anouk später und schüttelt ihre braune Lockenmähne.

"Es ist faszinierend, wie sehr die intensive Beschäftigung mit Europa den Blick der Jugendlichen auf die EU verändert hat", meint die Dramaturgin Heide Palmer, die Ideengeberin des Projekts war. Sie fügt erklärend hinzu: "Viele Jugendliche, die sich vorher überhaupt nicht für Europa interessierten, erzählen dass sie jetzt öfter Zeitung lesen oder Nachrichten schauen und wissen wollen, was in den Nachbarländern vor sich geht."

Die Schauspielerin Anouk kann dem nur zustimmen: "Am Anfang dachte ich: Oh mein Gott, Europa als Thema? Ouf... aber jeder konnte seine Ideen einbringen und wir haben so viel darüber geredet und das hat echt Spaß gemacht. Und ich fühle mich europäischer jetzt – das hätte ich vorher nie gedacht, dass ich das mal sage!"

Wer verändern will, muss sich zuerst mit den Dingen auseinandersetzen

In einer der letzten Szenen klingt es aus verschiedenen Ecken der Bühne: "Ich will Europa verändern", und dann mit Nachdruck: "Wir werden Europa verändern." Und wie wollen die Jugendlichen das machen? Miha sagt: "Ich alleine kann das nicht, wir müssen uns zusammenschließen. Wir müssen die Leute erstmal aufmerksam machen auf Europa, und das haben wir mit unserem Theaterstück versucht."

Anouk fügt lachend hinzu: "Ich habe die Antwort noch nicht gefunden. Aber mit Theater kann man anfangen, Europa zu verändern, denn das hilft, dass die Leute viel fragen und zusammen nach Antworten suchen. Das ist ein erster Schritt. Ich will nicht, das Geld wichtig ist, sondern Solidarität." Auf der Bühne erklingt es erneut: Wir wollen Europa verändern. Dann steht lange zu lesen: "Vielleicht sollten wir langsam anfangen?"

Die Jugendlichen aus Le Havre und Magdeburg und ihre Projektleiter haben das bereits – an das Publikum bleibt es eine Aufforderung.

(Text: Elisa Rheinheimer, Bild: Nilz Böhme)

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Am 26. April 2013 fand in Magdeburg die Premiere statt, im Mai folgen Aufführungen in Le Havre. Für die Regie und Projektleitung sind Anne-Sophie Pauchet und Ludovic Pacot-Grivel aus Le Havre sowie Elaine Schmidt und Andreas Guglielmetti aus Magdeburg zuständig.  
Mehr zum Theaterprojekt erfahren Sie auf dieser Internetseite...

Das Projekt wurde u.a. durch die Aktion 1.3 – Projekte der partizipativen Demokratie des EU- Programms JUGEND IN AKTION gefördert. Mehr zu den Förderrichtlinien erfahren Sie auf unserer Seite www.jugend-in-aktion.de.

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