10.12.2012

Netzwerktreffen Strukturierter Dialog: Kampf gegen Schlagworte und wie junge Menschen trotzdem Politik bewegen

Der Name ist Programm: Strukturiert und koordiniert soll der Dialog zwischen Jugendlichen und Entscheidungsträgern sein, der seit 2007 junge Menschen in die Gestaltung der Politik einbezieht. Etwa vierzig Projektträger kamen nach Berlin, um auf dem Netzwerktreffen zum Strukturierten Dialog Probleme aufzuzeigen und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.

Mit der EU-Jugendstrategie verfolgen alle Länder in der EU das Ziel, bis 2018 die Situation junger Menschen entscheidend zu verbessern. Der Strukturierte Dialog ist hierbei das wichtigste Jugendbeteiligungsinstrument. Mit ihm sollen die Meinungen und Anliegen junger Menschen bei der Umsetzung berücksichtigt werden.

Zugegeben: Die Mehrheit der Deutschen hat wohl weder vom Strukturierten Dialog noch von der EU-Jugendstrategie je gehört. Aber es gibt viele Menschen in Deutschland, die sich dafür einsetzen, dass die Stimmen von Jugendlichen gehört werden – ob in Initiativen auf lokaler Ebene oder in länderübergreifenden Projekten.

Etwa vierzig von ihnen trafen sich am 29. und 30. November in Berlin.

Offene Fragen an den Strukturierten Dialog

"Wie schafft man es, dass Macht geteilt wird, dass Politiker und Ökonomen Macht an Jugendliche abgeben?", formuliert eine Teilnehmerin eine der vielen Fragen, die in den zwei Tagen des Netzwerktreffens durch den Raum schwirren und nach Antworten verlangen. "Wo sind Stolpersteine? Wie können wir Politiker mit ins Boot holen? Wo gibt es positive Erfahrungen und ermutigende Lösungen?", fragt eine Andere.

Im Vorfeld des Treffens haben die Veranstalter, JUGEND für Europa und der Deutsche Bundesjugendring, drei Schwerpunktthemen herauskristallisiert:

  • die "Integration" von Europa in lokale und regionale Projekte,
  • die Einbindung politischer Entscheidungsträger in den Dialog und
  • der "Brückenschlag" zwischen dem eigenen Projekt und dem Strukturierten Dialog auf Landes- bzw. EU-Ebene.    

In Workshopgruppen wird darüber diskutiert. Es fallen Begriffe wie "Mobilität", "Abbau von Vorurteilen" oder "Europäische Identität". Einige Teilnehmer seufzen angesichts dieser "Schlagwörter, in die jeder etwas anderes hineininterpretiert", wie es eine erfahrene Sozialarbeiterin ausdrückt. Es ist schwierig, gemeinsame Interpretationen zu finden – und diese mit Leben zu füllen.

Matthias Beck, tätig in der Jugendförderung in Schleswig-Holstein, drückt aus, was viele im Raum denken: "Was bringen Begriffe wie 'soziale Inklusion'? Darunter kann sich doch keiner etwas vorstellen. Das muss konkreter werden, wir müssen schauen, wie sich das im Alltag bemerkbar macht. Nur dann kann etwas passieren. Eine von oben vorgegebene Strategie nach dem Motto 'Kinder, jetzt beschäftigt euch doch mal mit sozialer Inklusion' geht nicht auf."

Wie weit weg ist Brüssel?

Was er implizit anspricht, ist am Ende des Tages eines der Ergebnisse: Bottom-Up statt Top-Down - denen an der Basis zuhören, klein anfangen, ob in der Schulklasse, der Gemeinde oder im Jugendclub. "Wenn sich Jugendliche für eine Skaterbahn in ihrem Ort einsetzen und dann kriegen sie eine, dann haben sie Demokratie gelernt! Wenn ihre Ideen in ein Papier einfließen, das im Anschluss nur abgeheftet wird, bringt das gar nichts", meint Matthias Beck.

"Europa, das ist nicht nur Politik, das sind auch Menschen!", schreibt eine der Teilnehmerinnen auf eine gelbe Memokarte, und ihr Nachbar hat auf einer grünen Karte notiert: "Europa ist schon hier". Ja, es ist hier, aber nicht immer sichtbar. Pointiert spitzt ein Teilnehmer zu: "Ich wohne mitten im Nirgendwo, ich komme mit dem Bus am Wochenende nicht mal in die Stadt – wie weit weg ist da erst Brüssel?!"

Das scheint Galaxien entfernt, Welten prallen aufeinander. Wie diese dennoch miteinander verbunden werden können, zeigen Projekte Guter Praxis, von denen einige beim Netzwerktreffen in Berlin vorgestellt werden – zum Beispiel die "Europawerkstatt" der Jungen Europäischen Föderalisten (JFE).

Hier diskutierten rund 100 Jugendliche zusammen mit MdEPs über Bundestagsabgeordnete bis hin zum stellvertretenden Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt über europapolitische Themen. Lars Becker, Bundesvorsitzender der JEF, resümiert: "Das Besondere dabei war, dass wir die klassische Teilnehmer-Podium-Konstruktion aufgebrochen haben. Es standen sich nicht mehr Experten und Jugendliche gegenüber, sondern es fand ein Dialog auf Augenhöhe statt. Die Politiker kamen nicht als Referenten, sondern genauso als Teilnehmer wie die jungen Leute auch."

Jeder konnte ein Thema vorbringen und dazu eine Session abhalten. Lars Becker berichtet von der positiven Resonanz: "Einige Politiker mussten wir zwar zunächst etwas hofieren, bis sie sich darauf einließen, aber andere haben sich eben nicht in den Mittelpunkt gestellt, sondern auf die gleiche Stufe wie die Jugendlichen."

Gute Ideen gefällig? - Kein Problem!

Teilnehmer wie der junge Jannik Sonneberg freuen sich, auf dem Netzwerktreffen vom Erfahrungsschatz der Organisatoren solcher Projekte lernen zu können. Er ist da, weil er 2013 selbst einen Jugendtreff organisieren und in Berlin nun Ideen sammeln möchte. "Oft ist es doch so: Politiker kommen vorbei, sagen 'Hallo', schütteln Hände, lassen sich von der Presse ablichten und gehen dann wieder – das wollen wir nicht!", sagt er.

Eva Feldmann-Wojtachnia vom Centrum für angewandte Politikforschung München (CAP) meint dazu: "Jugendliche merken genau, wenn sie nur für Wahlen missbraucht werden. Viele Politiker aber suchen tatsächlich einen intensiven Dialog mit den Bürgern. Der Strukturierte Dialog trifft bei den meisten Politikern auf breite Zustimmung und Offenheit. Das Problem ist nur, dass er längst nicht so bekannt ist, wie er sein sollte."

Das CAP evaluiert den Strukturierten Dialog und so freut sich Feldmann auf dem Netzwerktreffen Neues über die verschiedenen Projekte und Ideen zu erfahren – von Ragna Riensbergs "Containerschiff Partizipia" in Hamburg über das "Modell Europaparlament" von Christopher Lucht bis hin zu Mohammed Lemlahs Projekt "Integration durch Austausch" der "Jugendwerkstatt Frohe Zukunft" in Halle. An Ideen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am politischen Leben mangelt es nicht.

Verbesserungen sind notwendig

Doch das Netzwerktreffen dient nicht nur dem Austausch, sondern auch der kontinuierlichen Verbesserung des Strukturierten Dialogs und so lautet eine der Ideen für die Zukunft: Abgeordnete des Europäischen Parlaments verstärkt mit ins Boot holen und die MdEPs langfristig in den Strukturierten Dialog einbinden.

Denn, wie es Teilnehmer Dominik Ringler ausdrückt: "Es geht nicht nur darum, junge Menschen zu schulen, sondern auch darum, die Politik und Verwaltung fit zu machen." Abgeordnetenbüros der Europaparlamentarier in deutschen Landkreisen sollen miteinbezogen werden, der Dialog mit Fraktionen im Bundestag und Europäischen Parlament gesucht und Trialoge zwischen Europäischem Parlament, Kommission, Rat sowie den Jugendlichen ins Auge gefasst werden.

Regelmäßige Treffen von MdEPs und "ihren" Jugendlichen sieht die Workshopgruppe, die sich mit dem Schwerpunktthema "Brückenschlag zwischen eigenem Projekt und Strukturiertem Dialog auf höherer Ebene" befasste, als besonders wichtige, zukünftige Komponente an.

Im Kreis derer, die über die "Intergration Europas in lokale und regionale Projekte" diskutierten, kommt unter anderem zum Ausdruck, dass interkultureller Austausch auch auf Führungsebenen stattfinden müsse, um eine europäische Dimension im Kleinen zu gewährleisten.

Und die Teilnehmer des Workshops "Einbindung politischer Entscheidungsträger" kommen zu dem Ergebnis, dass verbindliche Vereinbarungen vonnöten seien, um den Strukturierten Dialog voranzutreiben – inklusive eines verbindlichen Feedbacks vonseiten der Politiker an Jugendliche über die Realisierungschancen ihrer Ideen.   

Eva Feldmann-Wojtachnia vom CAP fasst zusammen: "Junge Leute können Politik bewegen und mitgestalten, das zeigen unsere Erfahrungen. Der Strukturierte Dialog bietet klare Möglichkeiten, klare Grenzen – und noch viel Potenzial!"

(Elisa Rheinheimer)

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Gefördert wird der Strukturierte Dialog über die Aktion 5.1 des EU-Programms JUGEND IN AKTION. Die Förderbedingungen erfahren Sie auf unserer Seite www.jugend-in-aktion.de.

Mehr Informationen zum Strukturierten Dialog und seine Umsetzung in Deutschland finden Sie auf der Seite des DBJR: www.strukturierter-dialog.de.
Dort finden Sie auch die aktuelle Konsultation zum Thema "Inklusion junger Menschen": hochINKLUSIV - Mittendrin statt außen vor.

Weitere aktuelle Nachrichten u.a. zum Strukturierten Dialog bietet unsere Seite www.jugendpolitikineuropa.de.

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