27.03.2007

EU-Ratspräsidentschaft? – Bitte handeln, nicht nur große Gipfel und Reden!

Wiederbelebung des EU-Verfassungsvertrages, eine neue Ausrichtung der Energiepolitik und Entbürokratisierung – das sind einige der Themen, die sich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auf die Fahnen geschrieben hat.
Doch was erwarten umgekehrt deutsche Jugendorganisationen, Verbände und Bildungsträger von der Politik? Marco Heuer hat sich zur Halbzeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einmal umgehört.


PAULA RIESTER, Sprecherin Bundesverband Grüne Jugend

Für uns steht der Klimaschutz auch während der EU-Ratspräsidentschaft an vorderster Stelle. Die EU muss in diesem Feld Vorreiterin werden, ihre Verantwortung darf nicht vom Handeln anderer Staaten abhängig sein. Um es konkret zu machen: Bis 2020 brauchen wir europaweit eine Verringerung der Emissionswerte um mindestens 30 Prozent – dafür muss unter deutscher Präsidentschaft der Startschuss fallen. In der Energiefrage ist die Atomkraft für uns keine Alternative. Wichtig wäre die Auflösung des EURATOM-Vertrages.

Die Diskussion um die Europäische Verfassung muss wieder belebt werden – allerdings sollten die vorgetragenen Kritikpunkte auch in die Debatte einfließen. Über eine neu erarbeitete Verfassung sollte parallel zur Europawahl 2009 in einem europäischen Referendum abgestimmt werden.

Die EU muss sich zudem stärker für ihre Bürgerinnen und Bürger öffnen. Gerade junge Menschen wachsen wie selbstverständlich in einem Europa ohne Grenzen auf, empfinden die Institution Europa jedoch als undurchschaubares Bürokratiemonster. Dies muss sich ändern, schließlich werden europäische Entscheidungen für uns und zukünftige Generationen ein noch größeres Gewicht haben. Die Initiative „Austausch für Alle“ verschiedener Jugendorganisationen sollte 2007 ein Schwerpunkt europäischer Jugendpolitik sein.

Unsere Bitte an die Bundesregierung: Setzen Sie sich dafür ein, dass es künftig allen Schülerinnen und Schülern EU-weit möglich wird, an einem zweiwöchigen Austausch teilzunehmen. Als erster Schritt sollte dieses Ziel in die Ratsentschließung zur Jugendpolitik aufgenommen werden.


JAN HOLZE, Deutsche Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Bund

Mehr Unterstützung für eine freie, friedliche und bildungsorientierte europäische Jugend; mehr Engagement für eine europäische Zivilgesellschaft – das wünscht sich die Deutsche Sportjugend für das Jahr 2007. Der Schlüssel zum Erfolg: adäquate Beteiligung. Für unsere Arbeit heißt das: zusätzliche Seminare, Jugendbegegnungen und Kongresse. Aber auch mit den Anforderungen an eine gesunde Lebensweise setzen wir uns auseinander. Hilfestellung bei Ernährung und Bewegung – diese Themen sind für die Deutsche Sportjugend von großer Bedeutung.

Die Vermittlung interkultureller Kompetenz, Erziehung zu Fairplay und Toleranz sind zentrale Elemente unserer pädagogischen Schwerpunktarbeit. Diese europäischen, grenzüberschreitenden Maßnahmen werden ganz überwiegend ehrenamtlich getragen, aktiv umgesetzt und in der täglichen Jugendarbeit im Sport gelebt.

Gerne tragen wir unseren Teil dazu bei, die Akzeptanz der Europäischen Union unter Jugendlichen zu erhöhen. Das verstärkte Engagement muss sich aber auch in einer stärkeren Verbandsförderung niederschlagen – ansonsten sind die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft nicht zu stemmen. Neben einer gezielten Informationsvermittlung wünschen wir uns vor allem einen engeren Dialog und Beratung.


HANS STEIMLE, Youth and European Social Work Forum (Y.E.S)

Auch wenn europäische Jugendpolitik im Rahmen der EU vergleichsweise jung ist, es gibt klare Prioritäten für eine integrierte Jugendpolitik der Mitgliedsstaaten. Das Weißbuch „Neuer Schwung für die Jugend Europas“ und der „Europäische Pakt für die Jugend“ geben die Richtung vor.

Das Programm der EU-Ratspräsidentschaft offenbart jedoch in jugendpolitischer Hinsicht nur wenig Klarheit. Wörtlich heißt es, dass „konkrete Beschlüsse zur besseren sozialen Integration insbesondere auch benachteiligter junger Menschen“ angestrebt werden. Doch wie das geschehen soll, wird nicht erklärt. Auf welche Bereiche beziehen sich diese Beschlüsse? Und wie bindend werden sie für die einzelnen Mitgliedsstaaten sein? Für junge Menschen, die bislang wenig gesellschaftlich aktiv waren, wird sich wenig ändern.

Das Y.E.S. Forum unterstützt europaweit die verstärkte Integration und Partizipation von Jugendlichen. Wir fordern die deutsche Ratspräsidentschaft deshalb auf, mit allen beteiligten Partnern in einen intensiven Dialog zu treten und die bislang auf EU-Ebene vereinbarten Ziele auch wirklich umzusetzen. Diese Ziele müssen auf lokaler Ebene fassbar sein und mit Leben gefüllt werden.

Folgende Schwerpunkte müssten dabei berücksichtigt werden:

  • Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen im Gemeinwesen, der Schule sowie innerhalb der Jugendarbeit. Dies erfordert die Weiterentwicklung und Förderung von Strukturen, wodurch Jugendliche gezielt in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, so dass junge Menschen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden.
  • Schaffung integrativer Bildungs- und Berufsausbildungssysteme. Dies schließt eine stärkere Verknüpfung der Angebote sowohl im Bereich des formalen als auch des non-formalen Lernens ein.
  • Unterstützung und Förderung von Freiwilligenarbeit als wichtiges Element in der Entwicklung von eigenverantwortlichem Handeln.
  • Gezielte und langfristige Förderung nachbarschaftlicher Dienste und des Vereinslebens im Gemeinwesen. Finanzmittel und Räume müssen bereitgestellt werden, damit sich ein soziokulturelles Leben gerade in so genannten sozialen Brennpunkten entfalten kann.
  • Differenzierte Betrachtung des Migrationphänomens in den verschieden EU-Mitgliedsstaaten. Integrationskonzepte müssen unter Einbeziehung der Zielgruppe entwickelt werden, um daraus lokale Entwicklungspläne zu formulieren.
  • Stärkung des europäischen Austausches und des voneinander Lernens im Bereich der Integrations- und Migrationspolitik.


UTE THEISEN, stellvertretende Vorsitzende Deutscher Bundesjugendring 

Europa muss spürbar sozialer gestaltet werden. Dazu haben die im Deutschen Bundesjugendring zusammengeschlossenen Jugendorganisationen und -verbände die Bundesregierung während der deutschen Ratspräsidentschaft aufgefordert. Deutschland sollte sich vor allem für die soziale Integration von Jugendlichen einsetzen und jungen Menschen die Möglichkeit geben, an der Gestaltung europäischer Themen mitzuwirken.  

Jugendliche in Europa brauchen eine soziale Perspektive. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein zentrales Thema. Zudem muss Europa der gesellschaftlichen und sozialen Ausgrenzung junger Menschen entschlossener entgegentreten. Dies gelingt nur, wenn Politiker in der Zukunft noch stärker ressortübergreifend zusammenarbeiten. Auch der „Europäische Pakt für die Jugend“ darf nicht in Vergessenheit geraten. Die vereinbarten Zielvorgaben müssen jetzt umgesetzt werden.

Jugendliche brauchen mehr Angebote zum Mitgestalten europäischer Fragen. Die Jugendarbeit im europäischen Bereich sollte verstärkt vor Ort stattfinden. Anstelle von Großveranstaltungen müssen kleinere Projekte gefördert werden, die leichter zugänglich sind. Echte Beteiligung von Jugendlichen erfordert kontinuierliche Arbeit und feste Strukturen. Wir fordern die deutsche Ratspräsidentschaft auf, den bestehenden Trend umzukehren und Projektarbeit nicht mehr auf Kosten der Verbandsarbeit zu fördern. Langfristige demokratische Erziehung sollte nicht mit kurzfristiger Medien- und Projektarbeit konkurrieren müssen.

Der Deutsche Bundesjugendring geht hier mit gutem Beispiel voran: Im Rahmen des Aktionsprogramms für mehr Jugendbeteiligung fördern wir während der Ratspräsidentschaft insgesamt 30 Aktionen unserer Mitgliedsorganisationen zum Thema Europa. Bei „YOUrope07“ ist fast alles erlaubt. Wichtig ist lediglich, dass Gäste aus dem europäischen Ausland oder europäische Entscheidungsträger mitwirken und die Themen der EU-Ratspräsidentschaft berücksichtigt werden.


LOTHAR HARLES, Geschäftsführer Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (aksb)

In den vergangenen Jahren hat es wesentliche Fortschritte in der europäischen Jugendpolitik gegeben. Angefangen beim Weißbuch „Neuer Schwung für die Jugend Europas“ über den „Europäischen Pakt für die Jugend“ bis hin zu dem im Januar 2007 gestarteten EU-Programm JUGEND IN AKTION finden die Belange der Jugend immer stärkere Berücksichtigung.

Doch noch bleibt viel zu tun. Nach einer Umfrage wünschen sich zwei Drittel der Jugendlichen mehr Informationen über die EU und bessere Möglichkeiten, den Integrationsprozess mitzugestalten. In meiner Arbeit als Vorsitzender des Nationalen Beirats für das bisherige EU-Programm JUGEND und auch in der täglichen politischen Bildungsarbeit unserer Mitglieder mache ich die Erfahrung, dass die Jugendlichen großes Interesse an Europa haben und sich für das Thema engagieren. Dafür erwarten sie jedoch Beteiligungsformen, die über Meinungsumfragen, Anhörungen und Events hinausgehen. Überall da, wo Europa persönlich erfahren werden kann, geht es auch voran. Entscheidend ist also, dass Wege und Formen der Beteiligung entwickelt werden, die es Jugendlichen ermöglichen, aktiv und nachhaltig einen Beitrag für dieses Europa zu leisten.

Dies gilt auch für die Ausgestaltung der neuen Förderprogramme - für die Bildung im Allgemeinen und für die Jugend im Besonderen: Die EU-Kommission hat diese Programme zwar vereinfacht. Sie sind  aber immer noch zu aufwändig gestaltet, um die erwünschte nachhaltige Wirkung zu erzielen.

Wenn ich an die deutsche Ratspräsidentschaft denke, wünsche ich mir nicht nur große Gipfel und Reden. Das deutsche Verhältnis zur europäischen Politik sollte mehr Aufmerksamkeit bekommen. Themen wie interkultureller Austausch, Chancengleichheit und gesellschaftliche Beteiligung von Jugendlichen sind als Schwerpunktthemen richtig gesetzt.

Unsere Regierung sollte dann aber auch vermitteln, was wir konkret für Europa tun können und nicht den Eindruck erwecken, dass wir nur Opfer europäischer Bürokraten sind. Dann wird es auch wieder mehr Interesse an Europa geben, visionäre Vorschläge zur Weiterentwicklung inklusive.

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