06.09.2007

Klettern für den Freiwilligendienst

Auf einem neuartigen Seminar lernen potentielle Projektträger die Chancen und Herausforderungen des Freiwilligendienstes kennen – sogar am eigenen Leibe.

Bonn, September 2007: Das Seminar hat gerade begonnen, und schon steht die gesamte Gruppe auf der Kippe. Voller Anspannung kauern die 24 Teilnehmer beieinander, vereint auf einer riesigen Holzwippe, die in Schieflage zu geraten droht, sobald sich nur einer zur Seite beugt. Ein turbulenter Beginn für ein Seminar, von dem manche Teilnehmer nur Folienpräsentationen und schnöde Theorie erwartet haben. Denn es soll laut Ankündigung in den folgenden fünf Tagen nicht um Action-Spiele gehen, sondern um den Europäischen Freiwilligendienst – und wie man ihn in seiner eigenen Organisation erfolgreich einführt.

Der Europäische Freiwilligendienst, einer der populärsten Bestandteile des EU-Förderprogramms JUGEND IN AKTION, stößt auf wachsendes Interesse – nicht nur unter Jugendlichen, die ein Auslandsjahr erleben möchten, sondern auch unter sozialen Organisationen, die Europäische Freiwillige aufnehmen und entsenden möchten.

Seit Jahren nimmt die Zahl der Antragsteller zu, mehr als 500 Freiwillige aus 31 EU- und Partnerländern arbeiten jährlich allein in Deutschland, zum Beispiel in Kindertagesstätten, Behinderteneinrichtungen und Naturschutzprojekten. Viele Organisationen haben schon langjährige Erfahrungen mit Europäischen Freiwilligen und sind routiniert in der Betreuung der Teilnehmer. Für Neueinsteiger dagegen ist der EVS, so die internationale Abkürzung, zunächst ein Projekt mit vielen organisatorischen Unbekannten. Da gilt es Antragsbedingungen zu beachten, Standards der Sozialarbeit einzuhalten und darüber hinaus das ABC der internationalen Jugendarbeit zu kennen.

Viele Fragen kommen auf, die sich am besten von Angesicht zu Angesicht klären lassen. Und genau darum geht es auf dem internationalen Newcomer-Seminar in Bonn, das in dieser Weise zum ersten Mal in Europa stattfindet. Bisher gab es jedes Jahr zwei Neueinsteiger-Seminare nur für deutsche Teilnehmer, außerdem Kontaktseminare, auf denen erfahrene Projektträger internationale Partner suchen konnten.

„Wir haben aber festgestellt, dass es gerade auch für Neueinsteiger frühzeitig Sinn macht, Kontakte zu knüpfen und europäische Partner zu finden“, erzählt Seminarleiterin Heike Hornig. Schließlich ist die Grundlage eines EVS-Projekts eine funktionierende Partnerschaft zwischen internationalen Organisationen, die Freiwillige entsenden oder aufnehmen. Und weil mit dem neuen Programm nur noch eine der Partnerorganisationen dafür verantwortlich ist, den Antrag zu stellen, werden Vertrauen und gute Kommunikation noch wichtiger.

Der Bedarf an Informationen und Kontakten ist hoch. Die 40 Anmeldungen für das Newcomer-Seminar belegen es, genauso wie die vielen Fragen, die die Teilnehmer an die Experten stellen. Am Nachmittag lässt sich Silke Dust von der Jugendakademie Walberberg über ihre Praxiserfahrung löchern, es gibt mehr Fragen als der Zeitplan zulässt: Mit welchen Problemen man im Laufe eines Freiwilligenjahres als Aufnahmeorganisation rechnen müsse, möchte eine Teilnehmerin aus Holland wissen. Ein anderer fragt, wie man mit Balkan-Staaten zusammen arbeiten könne. Eine armenische Projektleiterin erkundigt sich nach Möglichkeiten, Kontakte und Netzwerke aufzubauen, an denen es in ihrem Land besonders mangelt.

Um auch die Perspektive der Jugendlichen einzubringen, hat Heike Hornig zwei Europäische Freiwillige zur Diskussion eingeladen. Auch sie werden bombardiert mit Fragen: Wie habt ihr euer Projekt gefunden? Hattet ihr Ängste? Das Taschengeld, hat es gereicht? Es wird viel diskutiert an diesem Nachmittag, doch das Seminarleitungsteam von OiMi e.V. will, dass die Teilnehmer nicht nur reden, sondern auch fühlen, und hat in die Trickkiste der Erlebnispädagogik gegriffen. „Heute Morgen haben wir die Teilnehmer mit ganz wenig Informationen auf den Weg zur Jugendakademie geschickt“, erzählt Heike Hornig. „So konnten sie nachfühlen, wie es einigen Freiwilligen am Tag ihrer Anreise geht. Wenn der Anfang schief geht, läuft auch das gesamte Freiwilligenprojekt oft schleppend an.“

Eine Erfahrung, die bei den Teilnehmern bleibenden Eindruck hinterlässt. Faszination weckt auch die schwankende Holzbohle, auf der sich alle Teilnehmer in der Rolle von „Entsender“, „Gastgeber“ und „Freiwilliger“ versammeln und am eigenen Körper die sensible Harmonie erfahren, die unter den Akteuren eines Europäischen Freiwilligendienstes herrscht. „Die Akteure können nur mit einem Mittel die Balance halten“, sagt Heike Hornig, „und das ist die Kommunikation untereinander.“

Verständigung spielt auch später beim „Säureteichspiel“ eine Rolle, bei dem drei Gruppen, ausgerüstet mit Seilen, Karabinerhaken und Alpinhelmen, zeitgleich imaginäre „Gastgeber“, „Freiwillige“ und „Aufnehmer“ aus einem Kreis herausfischen und zusammenbringen müssen, ohne den Boden zu berühren. Nach viel Basteln und Proben gelingt, was zunächst unmöglich erscheint – und das alles auf englisch und mit einer Gruppe, die sich erst seit 24 Stunden kennt.

„Es ist Offenheit, die beim Freiwilligendienst besonders zählt“, resümiert Charlotte Krabben aus den Niederlanden (siehe Interview). Anfangs habe man das Gefühl, sich mit der Aufnahme Europäischer Freiwilliger in unbekanntes Gewässer zu stürzen und drauflos schwimmen zu müssen. Doch mit der Erfahrung und den Kontakten wachse der Überblick. Krabben möchte im April 2008 die ersten Freiwilligen begrüßen. „Ich bin jetzt sicher, dass wir das hinbekommen werden“, sagt sie. Für den Heimweg bekommen sie und die gesamte Gruppe noch einen Rat von Silke Dust geschenkt: „Der Europäische Freiwilligendienst kann Konflikte und Probleme bescheren, aber er ist in vielerlei Hinsicht eine gewinnbringende Sache!“

(Andreas Menn)

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