24.11.2020

"Auch in Corona-Zeiten kann Teamspirit entstehen!"

Barbara Schmidt dos Santos hat schon einige Projekte bei JUGEND für Europa gemeistert. Jetzt ist sie Projektkoordinatorin der 3rd European Youth Work Convention. Mit ihr sprachen wir über die Herausforderungen eines digitalen Großevents mit über 1000 Teilnehmenden.

JfE: Frau Schmidt dos Santos, Sie koordinieren bei JUGEND für Europa die Durchführung der 3rd European Youth Work Convention, ein Vorhaben innerhalb der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des Vorsitzes Deutschlands im Ministerkomitee des Europarates. Was ist die Convention?

Schmidt dos Santos: Auf der European Youth Work Convention werden viele verschiedene Akteure aus dem Bereich Youth Work zusammenkommen, um über die neuesten Erkenntnisse zu diskutieren, sich zu vernetzen und gemeinsame Themen voranzubringen. Die vorhergehenden Youth Work Conventions fanden 2010 und 2015 statt, beide in Belgien. Wir kümmern uns jetzt um die dritte European Youth Work Convention, die im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des Vorsitzes Deutschlands im Ministerkomitee des Europarates vom 7. bis zum 10. Dezember 2020 stattfinden wird. Sie war ursprünglich in Bonn geplant. Nun wird sie von dort aus an über 1000 Teilnehmende aus knapp 50 Ländern in ganz Europa digital gesendet werden.

Worum geht es bei der 3. Convention?

Bei der ersten Convention, die 2010 unter dem Motto Celebrating the Diversity of Youth Work stattfand, sah man, was für verschiedene Definitionen und Umsetzungen von Youth Work es in den europäischen Ländern gibt. Mit der zweiten European Youth Work Convention 2015 einigte man sich auf einen Common Ground, ein gemeinsames Grundverständnis von Youth Work. Trotzdem finden Entwicklungen im Jugendbereich in Europa immer noch relativ unabgestimmt statt. Daher wird es auf der dritten Convention um einen strategischen Rahmen für die Stärkung und Weiterentwicklung von Youth Work in Europa gehen, eine European Youth Work Agenda.

Was genau ist die European Youth Work Agenda?

Schon in der Abschlusserklärung der zweiten European Youth Work Convention wurde eine solche Agenda gefordert. Im Anschluss hat diese Idee in einige politische Dokumente Eingang gefunden, 2017 in die Empfehlung zu Youth Work des Europarats und auch in die EU-Jugendstrategie 2019 bis 2027. Allerdings wird in den politischen Dokumenten nicht genau beschrieben, was die Agenda sein soll.

Deshalb hat sich das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) die Aufgabe vorgenommen, sich der Entwicklung und Gestaltung der European Youth Work Agenda anzunehmen und die Überlappung der Vorsitze im Ministerkomitee des Europarates und des Rates der EU zu nutzen, um mit der Agenda einen gesamteuropäischen strategischen Rahmen zu initiieren. Dieser umfasst sowohl die Ebene politischer Dokumente – innerhalb der EU-Ratspräsidentschaft wird eine EU-Ratsentschließung vorbereitet, die Ende November von den EU-Jugendminister/-innen verabschiedet werden soll – als auch einen Umsetzungsprozess.

Die European Youth Work Agenda soll die Möglichkeit bieten, zukünftige Entwicklungen zielgerichteter gemeinsam vornehmen zu können und den Prozess, in dem Länder voneinander lernen können, strukturierter umsetzen zu können.

Wieso steht Youth Work aktuell im Fokus europäischer Jugendpolitik?

Youth Work spielt eine wichtige Rolle in der Begleitung von jungen Menschen, insbesondere in der aktuellen Situation in Europa mit allen Krisen und Problemen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Corona-Situation. Junge Menschen sollen ihr Leben so gestalten können, wie sie es sich wünschen, Youth Work kann sie dabei maßgeblich unterstützen. Youth Work ist daher auch einer von drei Grundpfeilern der aktuellen EU-Jugendstrategie.

Um welche Themen in Youth Work geht es konkret?

Für die European Youth Work Agenda wurden acht thematische Stränge identifiziert: Neben

  1. der Schaffung eines strategischen Rahmens für die Entwicklung in ganz Europa sind dies
  2. die Etablierung von Youth Work-Politik als integralen Bestandteil von Jugendpolitik und jugendpolitischen Strategien auf allen Ebenen,
  3. die Gewährleistungen und den Ausbau von Strukturen und Ressourcen für Youth Work für alle, insbesondere auf der lokalen Ebene,
  4. die Stärkung eines gemeinsamen Grundverständnisses und gemeinsamer Prinzipien von Youth Work durch eine intensivierte Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und der verschiedenen Ebenen, einschließlich der Förderung von europäischer Zusammenarbeit und der Begegnung junger Menschen,
  5. die qualitative Weiterentwicklung von Youth Work durch zielgerichtete Aus- und Fortbildung und den Ausbau des Angebotes,
  6. die Beobachtung von Entwicklungen und die Unterstützung von Innovationen und die Bewältigung aktueller Herausforderungen,
  7. die Sichtbarmachung der Bedeutung und Wirkung von Youth Work und die Entwicklung von Strategien zur Anerkennung und
  8. die Stärkung der Strukturen, der gestaltenden Rolle und der Angebote von Youth Work in der postpandemischen, so genannten neuen Normalität.

Für wen gilt die European Youth Work Agenda?

Die Vision ist, dass sich der strategische Rahmen für Youth Work nicht nur in der Politik niederschlägt, sondern dass auch andere Akteure in diesem Rahmen etwas bewegen können. Die Agenda wird daher auf der Convention an die Community of Practice übergeben, damit diese Entwicklungen im Jugendbereich vorantreiben und konkret umsetzen kann.

Die Community of Practice sind Akteure aus Politik, Wissenschaft und Praxis in Europa, die Youth Work in unterschiedlichen fachlichen Bereichen, mit unterschiedlichen Mandaten und in verschiedenen Ländern voranbringen. Es sollen auch beide Institutionen, die federführend im Jugendbereich Entwicklungen vorantreiben, EU und Europarat, involviert werden und ein gesamteuropäischer Umsetzungsprozess initiiert werden.

Dann ist die dritte European Youth Work Convention so etwas wie ein Auftakt?

Genau richtig, die dritte Convention soll diese Agenda von der Politik an die Basis bringen und einen gemeinsamen Umsetzungsprozess starten. Eine Abschlusserklärung soll am Ende der Veranstaltung die wesentlichen Erkenntnisse und Perspektiven für diesen Prozess zusammenfassen und das Arbeitsfeld inspirieren.

Welche Rolle spielt JUGEND für Europa bei dem Ganzen?

Wir haben vom Referat 504  - Internationale und europäische Jugendpolitik den Auftrag bekommen, das BMFSFJ in der Zeit der EU-Ratspräsidentschaft zu unterstützen und die European Youth Work Convention gemeinsam auszurichten. JUGEND für Europa hat als Nationale Agentur und als Akteur der EU-Jugendstrategie eine lange Tradition und eine starke Rolle im Bereich Youth Work. Wir haben mit sehr vielen Trägern und sehr vielen verschiedenen Akteuren im Jugendbereich zu tun, besitzen  viel Wissen über verschiedene Themen und auch über verschiedene Bedarfe in der Szene.

Wer ist sonst noch an den Vorbereitungen beteiligt?

Eine European Youth Work Convention organisiert man nicht allein, das Projekt ist durch und durch Teamwork. Wir arbeiten mit einer europäischen Steuerungsgruppe zusammen, die vom Ministerium eingesetzt wurde. Darin sind viele zentrale Stakeholder aus Europa beteiligt, unter anderem die europäischen Institutionen, Jugendverbände und -vertretungen, europäische Dachverbände im Jugendbereich. Sie unterstützen und steuern das Projekt und tragen dazu bei, dass es den Bedarf der Akteurslandschaft trifft. Außerdem gibt es noch viele europäische Partner, die Kolleg/innen im Ministerium – und, für mich persönlich sehr wichtig, meine Kolleginnen und Kollegen bei JUGEND für Europa.

Gemeinsam haben wir uns dem Konstrukt European Youth Work Agenda genähert. Dazu gibt es drei analytische Papiere. Dann haben wir mit den Hauptaussagen der Papiere und dem, was man in den politischen Dokumenten über die European Youth Work Agenda lesen kann, die thematischen Stränge sowie Handlungsfelder der Agenda ausgearbeitet. Das wurde im Papier "Growing Youth Work across Europe: Inspirational Paper for Making the European Youth Work Agenda Happen" festgehalten. Bei dem Prozess hat man immer wieder den Bogen zur European Youth Work Convention gespannt und sich gemeinsam überlegt, welche Funktion die Convention haben kann: Die zentrale Auftaktveranstaltung für den Umsetzungsprozess der Agenda.

Wie laufen die Vorbereitungen angesichts der Corona-Beschränkungen?

Seit März dieses Jahres geschieht unsere interne Zusammenarbeit und auch die Kommunikation mit den externen und europäischen Partnern fast ausschließlich digital. Auch wenn ich meine Kolleginnen und Kollegen in dieser heißen Projektphase kurz vor der Convention natürlich lieber öfter persönlich sehen würde als immer nur in Videokonferenzen, muss ich sagen, dass die Umstellung auf die digitale Zusammenarbeit sehr gut geklappt hat. Auch in Corona-Zeiten kann Teamspirit entstehen!

Im Sommer mussten wir dann aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie entscheiden, auch die Convention ins Digitale zu transformieren. Da hat man gesehen, wie flexibel der Jugendbereich ist, weil alle Vorbereitungsgruppen und alle unsere Partner sofort umdisponiert haben. Das war auch eine sehr positive und schöne Erfahrung. Es macht Spaß, in einem Bereich zu arbeiten, der Veränderungen so konstruktiv in einer sehr schwierigen Situation mitträgt und aktiv mitgestaltet.

Wenn man nicht dabei sein kann, wo kann man sich informieren?

Auf einer eigenen Webseite www.eywc2020.eu/en/ findet man viele Informationen, hier werden auch Teile der Convention gestreamt. Auch in den Social Media wird während der Convention sehr viel passieren, sodass auch Menschen von außerhalb die Möglichkeit haben, mitzubekommen, was geschieht und sich zu beteiligen. Wir freuen uns schon darauf!

(Das Interview führte Dr. Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa)