20.04.2016

"Europa muss dafür sorgen, dass die geflüchteten Menschen den Schutz und die Fürsorge erhalten, die sie brauchen.“

Abschluss der europäischen Konferenz "Bildung, Partizipation, Integration – Erasmus+ und Geflüchtete" in Essen. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2017, so die Ankündigung der Direktorin Gariazzo, werde ganz sicher Integration als Priorität setzen. Zusammen mit den anderen Nationalen Agenturen "Bildung für Europa" beim BIBB, dem DAAD und dem PAD hatte JUGEND für Europa für den 19./20. April 2016 nach Essen zur Konferenz eingeladen.

Chiara Gariazzo, Direktorin bei der Europäischen Kommission und zuständig für Erasmus+, startete mit einer Situationsanalyse. Der hohe Anteil an jungen Menschen und an unbegleiteten Kindern und Jugendlichen sei ebenso ein Problem wie die Tatsache, dass viele Geflüchtete, auch qualifizierte, oft längere Zeit weder in Beschäftigung noch in Ausbildung waren. Eine "ganz schöne Herausforderung" sei dies, vor allem für Deutschland, das 2015 die meisten Geflüchteten aufgenommen habe.

Geflüchtete müssten möglichst schnell in das reguläre Bildungs- und Beschäftigungssystem integriert, "Underachievement" müsse verhindert werden, ganz gleich, ob die Menschen nur kurze Zeit oder auf Dauer in der EU blieben. Die Situationen in den Mitgliedsländern seien allerdings unterschiedlich. So hätten Deutschland, die Niederlande und Frankreich viel weniger qualifizierte Flüchtlinge aufgenommen, während in Schweden die besser Gebildeten in der Überzahl seien.

In jedem Fall, das habe auch Kommissar Tibor Navracsics bei einer Anhörung vor dem Europaparlament betont, spiele Bildung bei der Flüchtlingsfrage die Hauptrolle, ganz gleich, ob es um Qualifizierung gehe oder um die Vermittlung europäischer Werte. In einem Nebensatz ordnet sie das Problem allerdings grundsätzlich ein: Eigentlich, so Chiara Gariazzo, sei Flüchtlingspolitik natürlich Sache der Mitgliedstaaten.

Pläne der EU-Kommission

Danach referierte sie dann doch Einiges, was auch die Europäische Kommission tun könne. Die habe immerhin Erfahrung mit vergleichbaren Situationen: Viele Probleme wie schlechte oder keine Schulabschlüsse seien nicht an Migration gebunden.

Den Katalog von Maßnahmen, den sie nannte, war lang. Geplant seien der Ausbau der Online-Sprachunterstützung (Online Linguistic Support - OLS), die normalerweise Teilnehmende von Erasmus+-Mobilitäten beim Erwerb von Sprachkenntnissen unterstützen soll sowie die Verbesserung der Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen. Die Arbeit an der Europäischen Strategie zur frühkindlichen Bildung habe das Ziel, Standards festzulegen und müsse verstärkt mit Blick auf die Migrationsströme verfolgt werden. Geeignete Maßnahmen seien die Verbreitung guter Praxis aus den Mitgliedstaaten, Peer-Learning-Initiativen und, innerhalb des Programms Erasmus+, Strategische Partnerschaften zum Thema. Hier gebe es viel Expertise in den Mitgliedstaaten, die es gelte, europaweit zu teilen.

Innerhalb des Programms sei ein Fokus auf Geflüchtete zu erwarten, zum Beispiel für den nächsten Aufruf für Strategische Partnerschaften. Zusätzlich stünden mit einem gesonderten Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen zur sozialen Integration in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung und Jugend zur Förderung der Integration benachteiligter Lernender sowie Verhütung und Bekämpfung diskriminierender Praktiken 13 Millionen Euro zur Verfügung. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2017, so ihre Ankündigung, werde dann ganz sicher Inklusion als "Priorität der Prioritäten" setzen.

In der Podiumsdiskussion wurde ihre Kollegin Marta Gutierrez Benet deutlicher. Auch sie plädierte vehement für eine Neujustierung der Programmprioritäten, man müsse die "Augen offen halten für die neuen Bedarfe". Gemeint war damit wohl auch die Sensibilisierung des formalen Bildungsbereichs, "weg von Beschäftigungsfähigkeit als oberstem Ziel, hin zu Inklusion", einem Thema, "das der Jugendbereich schon immer als Priorität gesetzt habe". Auf die Frage aber, ob Geflüchtete am Programm Erasmus+ teilnehmen dürften, antwortete sie klar: Nur die mit anerkanntem Asylstatus. 

Ein lebhaftes Abschlussplenum

Im Abschlussplenum wurde noch einmal die ganze Bandbreite der Konferenzteilnehmer deutlich. Neben Vertreterinnen und Vertretern großer NROs appellierten Lehrkräfte aus Schulen oder ehrenamtliche Flüchtlingshelfer an die Zuhörer, die mithilfe von Karten für die eine oder andere Forderung "voteten". Auch die Beschreibung der Probleme wurde geschärft. So referierte Thomas Huddleston, Direktor in der "Migration Policy Group", einem Think Tank in Brüssel, eindrückliche Zahlen und urteilte: "Viele Bildungssysteme in der EU versagen dramatisch, wenn es um die Integration von Geflüchteten geht."

Als Forderung aus den Workshops wurde klar, dass "wir eine Willkommenskultur auf politischer Ebene brauchen, fehlt diese, kommen auch Grass-Root-Initiativen nicht dagegen an", wie der Referent zusammenfasste. Daran anschließend wies Dr. Karolis Žibas vom Litauischen Zentrum für soziale Forschungen deutlich auf den mangelnden Ehrgeiz einiger nationaler Regierungen hin, eine gedeihliche Flüchtlingspolitik in Europa zu gestalten.

"Wenn dann Polen oder die Slowakei nur Flüchtlinge christlichen Glaubens aufnehmen, würde ich mich gern von den nationalen Standpunkten emanzipieren können", sagte er. Man solle doch eine Idee aus einem Workshop aufnehmen und innerhalb des Programms Erasmus+ eine europäische "Pressure Group" gründen, die "Druck auf bestimmte Länder ausüben könnte". "Vertikale Kooperationen" seien ein Mittel, um mit geeinten Kräften die Politik zu bewegen. Huddleston unterstützte das Votum und plädierte für eine Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft zur Umsetzung politischer Strategien.

Die vielen Engagierten im Publikum trugen etliche Ideen zusammen, wie die Arbeit an der Basis praktisch aussehen könne. Bildungspartnerschaften sollten den formalen und informellen Sektor zusammenbringen, um die Aus- und Fortbildung für Geflüchtete zu verbessern. Der Einsatz von neuen Medien wurde ebenso propagiert wie Plattformen, auf denen religiöse und kulturelle Unterschiede offen verhandelt werden könnten. Auch heikle Themen wie die Vermittlung europäischer Werte oder die Arbeit am "Gender-Thema" wurden genannt.

Inklusion als Leitmotiv

"Inklusion muss das Leitmotiv von Erasmus+ werden", sagte Klaus Fahle. Wichtig sei es, die Basis einzubinden, "viel mehr Akteure, als wir bisher dabei hatten".

Wie gut Einigen das Netzwerken auf der Konferenz getan hatte, konnte man an zwei ganz "normalen" Bürgern erkennen, die sich als Freiwillige für Geflüchtete einsetzen. Sie brachten schlussendlich den Herzton der Basis ins immer noch übervolle Plenum. Bevor er die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe zum Thema "Persönlichkeit und Identität" vorstelle, sagte Frank aus Norwegen, müsse er das sagen, was er immer schon mal sagen wollte: "Good morning, Europe!" - Donnernder Applaus.

(Dr. Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa)

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