19.03.2015

Rhauderfehn europäisch, oder: Ein gelungenes Projekt des Strukturierten Dialogs

Für ein gelungenes Projekt des Strukturierten Dialogs zwischen Jugendlichen und Entscheidungsträgern braucht es vor allem zwei Dinge, sagen Kalle Puls-Janssen und Pirjo Niskanen (Studienleiter im Europahaus Aurich und Organisatoren eines Beteiligungsprojekts in der Gemeinde Rhauderfehn). JUGEND für Europa sprach mit beiden auf dem Vernetzungstreffen zum Strukturierten Dialog in Bonn.

Im Jahr 2012 wurde in der Gemeinde Rhauderfehn bei Aurich in Niedersachsen eine Befragung von Jugendlichen zwischen zwölf und sechzehn Jahren durchgeführt zum Thema Freizeitverhalten und was in Rhauderfehn für sie getan werden müsse, damit sie sich dort wohler fühlten. Was waren die Ergebnisse dieser Auswertung?

Kalle Puls-Janssen: Aus der Auswertung resultierten fünf konkrete Forderungen: die Schulwegsicherung, ein konkreter Ansprechpartner im Rathaus für Jugendarbeit, eine langfristige Interessenvertretung für Jugendliche in Rhauderfehn, ein Treffpunkt, an dem die Jugendlichen ungestört ihre Freizeit verbringen und sich mit Freunden treffen können und eine Web-Plattform, auf der Angebote für Jugendliche kommuniziert werden.

Pirjo Niskanen: Die Forderungen wurden dann den Ratsmitgliedern der Gemeinde präsentiert, die mit 24 von 31 Mitgliedern anwesend waren. Und die waren davon so begeistert, dass sie uns etwa vier Wochen später zu einem weiteren Treffen im Rathaus eingeladen haben. Davor hatten sie mit ihren Fraktionen beraten.

Was ist aus den Forderungen konkret geworden?

Kalle Puls-Janssen: Der Gemeindejugendring ist gegründet worden, ein Vierzehnjähriger ist Vorsitzender; Marina Krone ist mit halber Stelle als Präventionskraft und mit halber Stelle für die Jugendarbeit eingestellt worden bei der Gemeinde Rhauderfehn und ist als Ansprechpartnerin da. Die Schulwegsicherheit ist erheblich verbessert worden durch ein absolutes Halteverbot während der Schulzeit an der entsprechenden Straße und das Jugendcafé wird seit September letzten Jahres betrieben, ein Ort, an dem sich die Jugendlichen treffen können. Es wird durch einen europäischen Freiwilligen und einen Freiwilligen im Ökologischen Jahr betrieben, dazu kommen ca. vierzehn Ehrenamtliche.

Wie ist das Jugendcafé von der Gemeinde angenommen worden?

Kalle Puls-Janssen: Unter den Ehrenamtlichen sind neben den Jugendlichen, die jüngste von ihnen ist vierzehn Jahre, auch Erwachsene, der älteste ist 75 Jahre alt. Das hat uns bei der Akzeptanz geholfen, da viele Leute ja misstrauisch sind, wenn ein neues Jugendcafé eröffnet wird.

Prijo Niskanen: Durch ein riesiges Schaufenster kann man nicht nur von innen nach außen, sondern auch von außen nach innen sehen und so sieht man auch immer die Erwachsenen, die dort mitarbeiten. Sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Erwachsenen haben wir eine sehr gute Resonanz. Außerdem haben wir ganz bewusst auch die Polizei mit ins Boot geholt. Die ist regelmäßig im Café, in Uniform, aber nicht, um zu kontrollieren, sondern um mal einen Kaffee zu trinken. Sie zeigen Präsenz, und dass das Café etwas völlig Normales ist. Das Café ist in der Gemeinde verankert, das zeigt zum Beispiel auch, dass ein Kickertisch von der örtlichen Zeitung und ein Billardtisch von der örtlichen Bank finanziert wurden.

Wer sind die Jugendlichen, die das Café besuchen?

Pirjo Niskanen: Das Café ist für Jugendliche, die Förder- und Hauptschulen besuchen, wichtiger, als für Jugendliche, die das Gymnasium besuchen. Das sind die Jugendlichen, die mehrheitlich auch an der Konsultation mit den Entscheidungsträgern teilgenommen haben.

Wie habt Ihr die Jugendlichen für die Teilnahme an der Konsultation gewinnen können?

Kalle Puls-Janssen: Die Veranstaltung zum Strukturierten Dialog war frei ausgeschrieben. Insbesondere in den Haupt- und Förderschulen wurden die Schüler von ihren Lehrern stark gemacht, ermutigt.

Pirjo Niskanen: Dabei ist niemand von ihnen allein gekommen, sondern sie haben sich als kleine Grüppchen aus zwei bis drei Personen angemeldet.

Wer ist für die Öffentlichkeitsarbeit und die Netzwerkpflege zuständig?

Kalle Puls-Janssen: Das ist eine größere Gruppe. Zunächst ist da der Förderverein des Gymnasiums, der sich aber bewusst als ein Verein besteht, der für alle Schulen arbeitet. Dieser arbeitet eng mit der politischen Gemeinde zusammen. Eine Stärke des Projekts ist, dass verschiedene Partner im Boot sind – es gibt eine gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde, mit dem Gemeindejugendring und mit den politischen Parteien.

Pirjo Niskanen: Der Vorteil ist, dass es sich um eine recht kleine Gemeinde handelt, in der man alle Leute kennt. In einer großen Stadt ist es wahrscheinlich schwieriger, so ein Projekt zu organisieren. Man kann bei einem solchen Projekt ja auch nicht nur die Politiker einladen, man braucht auch die Menschen aus der Verwaltung, die das Ganze dann umsetzen.

Welchen Stellenwert hat die europäische Dimension bei dem Projekt?

Kalle Puls-Janssen: Ein Punkt sind die beiden europäischen Freiwilligen. Außerdem haben wir bei der Konsultations-Veranstaltung den Image-Film über den Strukturierten Dialog gezeigt. Die Jugendlichen, die sonst meinen, die EU-Politik sei viel zu weit entfernt, haben so gesehen, dass das Projekt ganz stark mit Europa verbunden ist, da wir für das Projekt die Gelder von der EU bekommen haben. Europa ist also auf einer anderen Ebene auch ganz nah.

Pirjo Niskanen: Außerdem haben wir ein Café International eingerichtet, das wird von den beiden europäischen Freiwilligen organisiert und dorthin werden Austauschschüler und  Flüchtlinge aus der Gemeinde eingeladen, um einen europäischen Duktus herzustellen. Außerdem werden im Café vormittags Sprachkurse für Asylbewerber durchgeführt.

Wie sichert ihr die Nachhaltigkeit des Projekts?

Kalle Puls-Janssen: Wir wollen nun eine Interessenvertretung der Jugendlichen über den Gemeindejugendring hinaus einrichten, auch angesichts der Wahl, die im kommenden Jahr stattfinden wird – die Kommunal- und Landratswahl in Niedersachsen. Wir wollen die jungen Menschen für die Wahlen und politische Betätigung interessieren – das wird auch im Jugendcafé stattfinden. Da steht die Frage, wie man Jugendliche für Kommunalpolitik begeistern kann, so dass sie nicht nur wählen, sondern sich auch wählen lassen. Das jüngste Gemeinderatsmitglied ist bei uns jenseits der 45, so dass es toll wäre, wenn dort auch zwei, drei junge Menschen vertreten wären.

Welche Tendenzen kann man beobachten – gibt es bereits Jugendliche, die sich aufgrund des Projekts jetzt mehr für Politik interessieren?

Kalle Puls-Janssen: Die Jugendlichen haben die Scheu vor Politik verloren. Als Bürgermeister und jugendpolitische Sprecher der Fraktionen am Anfang zu Besuch ins Café kamen, wurden sie als Kontrolle wahrgenommen, inzwischen wird gegrüßt und miteinander gesprochen. Die Berührungsängste sind gewichen.

Haben auch die Politiker die Scheu vor den Jugendlichen verloren?

Kalle Puls-Janssen: Ja, das hatte aber einen längeren Vorlauf. Es gab bereits mal ein Jugendzentrum, was aber irgendwann nicht mehr vernünftig lief, wo sich nur noch eine bestimmte Gruppe traf und die keine anderen Jugendlichen mehr zum Zuge kommen ließen. Dieses Jugendzentrum ist dann geschlossen worden. Etwa zwei Jahre gab es einen Stillstand, bei dem sich die Fraktionen gegenseitig blockierten. Mit der Umfrage wurde diese Situation aufgebrochen, sie hat neuen Input und eine neue Grundlage geschaffen und da war es auch für die Politiker fraktionsübergreifend selbstverständlich, dass sie teilnehmen würden. Auch die Investitionen für das Café wurden einstimmig und fraktionsübergreifend beschlossen.

Welchen Tipp könnt Ihr anderen Projekten geben, wenn sie ein Projekt des Strukturierten Dialogs erfolgreich durchführen wollen?

Pirjo Niskanen: Man muss gemeinsame Ziele von Politikern und Jugendlichen definieren, so kann man zusammenkommen und zusammen arbeiten, miteinander reden und nicht übereinander, und da ist es egal, ob es Erwachsene oder Jugendliche sind. Wichtig dabei ist, dass man nicht gegenseitige Schuldzuweisungen vornimmt, warum eine bestimmte Sache nicht richtig läuft, sondern man braucht eine gemeinsame Grundlage. Beide Seiten müssen verstehen, dass für jede von ihnen ein Vorteil entsteht.

Das Interview führte Babette Pohle für JUGEND für Europa
Bild: Babette Pohle

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