15.11.2014

Die eigene Komfort-Zone verlassen, um sich selbst zu begegnen

Alex D. Foss, 22 Jahre aus Gütersloh, hat die Herausforderung gesucht. Nach Frankreich wollte er für seinen EFD darum nicht gehen, das hatte seiner Meinung nach zu viele Ähnlichkeiten mit Deutschland. Darum entschied er sich für Armenien. Hier arbeitete er von Oktober 2013 bis August 2014 in Gjumri, der zweitgrößten Stadt des Landes. Von extremer Gastfreundschaft hin zu extremer Hoffnungslosigkeit hat Alex während seines Freiwilligendienstes alles erlebt.

„Die Lage Armeniens musste ich zunächst bei googlemaps nachschlagen“, erzählt Alex. Umgeben von der  Türkei im Westen, Georgien im Norden, Aserbaidschan in Osten und dem Iran im Süden kann das Land schon mal übersehen werden. Mit knapp 30.000 Quadratkilometern ist es ein bisschen kleiner als Nordrhein-Westfalen, das Heimatland von Alex. In ganz Armenien leben so viele Menschen, wie in Berlin allein – drei Millionen. Alex sprach zunächst natürlich auch kein Armenisch, wieso auch? „Das war Teil des Nervenkitzels für mich“. Ein sehr produktiver Nervenkitzel – während seines Aufenthalts lernte er Sprache und Alphabet gut genug, um sich überall im Land verständigen zu können.

Alex arbeitete während seines Freiwilligendienstes für das YIC – Youth Initiative Center,  eine Jugendorganisation, die sich für die Inklusion und Mitbestimmung der Jugend einsetzt. Es gab Trainings an Schulen und anderen Einrichtungen, die armenische Jugendlichen sollten auf diese Weise andere Kulturen kennenlernen. „Ich habe zum Beispiel einen Vorbereitungskurs für den TOEFL-Test angeboten“. Die Arbeitsbedingungen waren nicht immer leicht: „Das war der kälteste Winter, den ich je erlebt habe, auch gab es im Haus der Organisation nicht durchgehend fließendes Wasser und es war nicht erwünscht, über politische Themen zu sprechen“ – alles Teil der Herausforderung für Alex. Diese Herausforderung war für ihn aber auf ein Jahr begrenzt. Für Armenier ist sie Alltag, dem sie kaum entfliehen können.

Damit armenische Jugendliche andere Kulturen kennenlernen können, müssen die anderen Kulturen meist nach Armenien kommen. Denn die Ausreise aus dem Land wird den Menschen schwer gemacht. Viele wollen ins Ausland, doch ein Visum gibts nicht einfach so – außer nach Russland. Für Reisen in den Westen benötigen sie eine riesige Summe Geld auf dem Bankkonto, müssen zig Kriterien erfüllen. „Ich habe mich recht gut in die Armenier hinein versetzen können und mir vorgestellt, wie gefangen sie sich fühlen müssen“, so Alex.

Die Schwierigkeit von Auslandsaufenthalten ist gerade das, was den Reiz für junge Armenier ausmacht, ins Ausland zu gehen. „Das ist wie bei einem Kind, dem man etwas verbietet – es will es dann erst recht machen“, erklärt Alex. Der Staat fürchtet um seine Bürger und Bürgerinnen. Viele armenische NGO's sind daher bestrebt, Kontakte mit westlichen Ländern herzustellen, in denen die jungen Leute eine Perspektive haben. Das ist allerdings recht kompliziert – EU-Finanzierung für europäische Freiwillige können armenische Organisationen nicht selbst beantragen, sondern benötigen dafür einen Partner in der EU..

Ein Grund für viele junge Armenier, ins Ausland zu gehen, ist die defizitäre Wirtschaft im Land. Diese ist durch die geografischen Strukturen, die klimatischen Bedingungen, die Binnenlage des Landes und die Vergangenheit als Teil der Sowjetunion nicht besonders gut entwickelt. Arbeit gibt es kaum. Wenn man eine hat, ist das Gold wert. Armenische Männer ziehen häufig nach Russland, arbeiten dort und schicken das Geld nach Hause. Die Leute, die in Armenien Arbeit haben, arbeiten teilweise 24/7 unter schwersten Bedingungen zu einer denkbar schlechten Bezahlung. „Es gibt ja genug willige Arbeiter und wenn man sich beschwert, fliegt man raus – es warten schon tausende andere auf deinen Job“, so Alex.

Die Hoffnungslosigkeit, der Alex an vielen Stellen begegnete, wurde für ihn aber durch eine extreme Gastfreundschaft aufgewogen. „Wenn man wieder zurück kommt, fällt es einem auf, dass die Deutschen sehr steif sind, in Armenien sind die Menschen total warmherzig, kommen auf einen zu. Wenn man nach der Straße fragt, wird man oft direkt auf einen Kaffee oder Wodka eingeladen. Ich war bei so vielen fremden Menschen zu Hause.“ Die Anrede „djan“ bedeutet so viel wie „Schatz“ und so sprechen die Armenier prinzipiell jeden an, ob Fremde oder Bekannte. „Man kümmert sich umeinander, auch, wenn man sich nicht kennt“.

Wenn er gefragt wird, was der EFD mit ihm gemacht hat, gerät Alex ins Schwärmen: „Das war auf jeden Fall eine krasse Erfahrung. Ich kann nur jedem empfehlen, die eigene Komfort-Zone zu verlassen. Man lernt dabei nicht nur andere Länder und Menschen kennen, sondern vor allem viel über sich selbst. Auch habe ich über Themen nachgedacht, über die ich mir zuvor gar keinen Kopf gemacht hab, wie Geschlechterrollen und Gleichberechtigung. Durch Diskussionen wurde mir bewusst, wie wichtig das ist und wie viele Baustellen es da noch in Deutschland gibt“.

Alex wird auch in Zukunft das Land besuchen. Er hat viele Freunde und Bekannte gefunden. Die Kultur, die Sprache und die Gastfreundschaft haben ihn für Armenien gewonnen.  Die Herausforderung hat er bestens gemeistert, sich dabei persönlich weiterentwickelt und eines der interessantesten Länder der Erde kennengelernt.

 

Was ist comeback 2014 und was läuft? Mehr unter www.comeback2014.eu

(Babette Pohle für JUGEND für Europa)

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