28.04.2011

Jugendinitiative – Wenn die Fahrt in der Straßenbahn zum Kunsterlebnis wird

An einer Haltestelle mitten in Bremen: Die Straßenbahn kommt mit einem quietschenden Geräusch zum Stehen, zischend öffnen sich die Türen. Die Fahrgäste drängen hinein; einige mit gelangweilten Gesichtern, andere fröhlich, wieder andere gehetzt und müde von einem langen Arbeitstag.
Aber etwas ist anders als sonst: In der Bahn hängen Zeichnungen, Masken, Bilder; da steht ein aufgeklappter Koffer auf einem der Sitze, der Inhalt für alle zugänglich. Die Menschen werden neugierig. Und Mirjam, Juliane, Carolin und Insa wissen: Ihr Projekt funktioniert!

Die vier Studentinnen der Kunst- und Kulturvermittlung riefen Bremer Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihre Wahrnehmung der Stadt aus der Perspektive der Straßenbahn künstlerisch umzusetzen. Die Werke, die daraus entstanden sind, wurden in fahrenden Straßenbahnen ausgestellt.

Die Jugendinitiative machte das Straßenbahnfahren drei Tage lang zum Erlebnis: Die Bahn als mobiler Ausstellungsort, der die Fahrgäste in ihrer alltäglichen Routine überraschte. Das Besondere daran: Es waren nicht die Besucher selbst, die sich gezielt zu einer Ausstellung hinbewegten, sondern die Ausstellung kam zu ihnen.

Mirjam Krafft, Juliane Mettler, Carolin Christgau und Insa Meyer schauen zurück und erzählen von der Organisation des Projekts "vernetzt!".

JfE: Wie kamt ihr auf die Idee, ein solches "Straßenbahnprojekt" zu organisieren? Und warum eigentlich gerade die Straßenbahn?

vernetzt!: Wir wollten ein Kunstprojekt auf die Beine stellen, das eine möglichst heterogene Gruppe von Menschen anspricht. Wie nehmen ganz unterschiedliche Menschen diese Stadt wahr? Was beeinflusst ihre Wahrnehmung?

Diese Fragen erschienen uns spannend und die Straßenbahn stellt in unseren Augen einen ganz besonderen Ort dar: Ein öffentlicher Raum, der jedoch nicht an einem festen Ort verankert ist, sondern sich durch die Stadt bewegt. Und während der kurzen Zeit zwischen den Haltestellen bewegen sich alle Menschen im Fahrzeug in die gleiche Richtung mit. Dieser Gedanke eines zwangsweise gemeinsamen Weges machte für uns den besonderen Reiz aus.

Viele Freunde und Bekannte können wahrscheinlich nur schwer nachvollziehen, warum ihr euch diesen Organisationsstress angetan habt. Was hat euch das gebracht?

Die Organisation des Projekts hat insgesamt natürlich sehr viel Zeit beansprucht – und nebenbei haben wir ja alle auch noch studiert. Aber das Ausprobieren und Umsetzen unserer Visionen, der Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen, das alles hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. vernetzt! war für uns letztlich ein sehr gelungenes Beispiel, dass es möglich ist, Kunst- und Kulturprojekte außerhalb der immer gleichen "Dunstkreise" zu verwirklichen.

Sowohl die Teilnehmer als auch das Publikum wären wahrscheinlich bei den meisten anderen Ausstellungsprojekten nicht zusammengekommen. Es war ein schönes Erlebnis zu sehen, wie Bleistiftzeichnungen und bunte Bilder von Kindern professionellen Zeichentechniken und Videomontagen gegenüberstanden; wie sich ein eher fachkundiges Publikum zu ganz normalen Fahrgästen gesellte oder manche Menschen vor allem deshalb bei uns in der Bahn blieben, weil sie auf die Preisverleihung mit Verköstigung warteten.

Was war euer größtes Erfolgserlebnis - und welche Herausforderungen hattet ihr zu bewältigen?

Das schönste Erlebnis war der erste Tag der Ausstellung. Als alles im Wagen befestigt war und die ersten verdutzten Gesichter durch die Türen der Straßenbahn guckten. Viele Menschen haben gelacht und Kontakt aufgenommen und wir wussten, dass unser Konzept tatsächlich aufging, die Routine und die Anonymität des Straßenbahnfahrens zu durchbrechen.

Die größte Schwierigkeit während der Organisation war es, nicht den Mut zu verlieren. Und auch die Freude an der Arbeit darf nicht verloren gehen... Ja und es war auch nicht ganz leicht, die Bremer Straßenbahn AG von unserem Konzept zu überzeugen. Über ein Jahr Arbeit steckte für uns dahinter – und dann die Herausforderung, die Menschen auf irgendeine Art und Weise zu motivieren, bei dem ausgeschriebenen Wettbewerb mitzumachen. Aber bei all dem haben wir auch eine Menge gelernt.

Was habt ihr denn zum Beispiel gelernt? Was nehmt ihr mit für die Zukunft?

Oh, was wir mitnehmen... so einiges: Überzeugungskraft, Eigeninitiative, Teamfähigkeit und das Wissen, auch Rückschläge einstecken zu müssen. Was die Organisation angeht, ist uns im Nachhinein klar geworden, dass unsere Aufgabenverteilung noch konkreter hätte ausfallen müssen. Die Zuständigkeiten haben sich häufig überlagert und überschnitten, was im Endeffekt eine Mehrarbeit bedeutet hat. Und was uns bewusst geworden ist: Es ist sehr wichtig, einen soliden Zeitplan für das Projekt zu erarbeiten, der nach Möglichkeit auch eingehalten werden sollte...

Fahrt ihr jetzt anders Straßenbahn? Was geht euch dabei durch den Kopf?

Ja, wenn wir heute in die Bremer Straßenbahn steigen, dann kommen bisweilen schon nostalgische Gefühle auf. Unsere Ausstellung hat gezeigt, dass die Straßenbahn auch mehr sein kann als nur ein notwendiges Mittel, um von A nach B zu kommen. Denn für eine kurze Zeit wurde die Straßenbahn zu einem Ort des Austauschs, der Begegnung und des Dialogs. Sie wurde zu einem Kunst- und Kulturraum, der die Menschen aus der alltäglichen Routine herausriss, sie miteinander ins Gespräch brachte –  zu einem Ort, der überraschte, inspirierte und vielleicht manchen Fahrgast auch irritierte. Wenn wir uns heute also beim Straßenbahnfahren umsehen und in abwesende Gesichter schauen, versteckt hinter Zeitungen oder Handys, dann denken wir zurück an die Ausstellungsphase von vernetzt! – und sagen uns, dass das ganze Szenario doch eigentlich auch ganz anders aussehen könnte…

Das Interview führte Elisa Rheinheimer.

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Die Jugendinitiative wurde über die Aktion 1.2 des EU-Programms JUGEND IN AKTION gefördert.

Einen Rückblick auf das Projekt bietet die Internetseite von vernetzt!.

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Aktuelle Studien zeigen, welche Wirkungen Projekte mit JUGEND IN AKTION haben. Mehr hierzu finden Sie auf der Seite www.jugend-in-aktion.de.

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