02.08.2006

EFD - Portrait einer Generation

Die größten Wohnkomplexe der bulgarischen Hauptstadt Sofia heißen Hoffnung, Freiheit, Freundschaft und Jugend – propagandistische Überbleibsel aus Zeiten des Kommunismus.
Luise Schröder hat junge Erwachsene aus Sofia besucht und gefragt, was sie heute mit diesen Worten verbinden. Entstanden ist ein Bild über eine bulgarische „Nachwendegeneration“, das viel über die Stimmung; die Hoffnungen und Ängste eines Landes aussagt, das seine Vergangenheit noch aufarbeitet und nicht recht weiß, was die Zukunft bringen wird.

Mit Bulgarien und seinen Menschen ist Luise Schröder vertraut: Seit ihrem 13. Lebensjahr, seit sie an einem dreijährigen deutsch-bulgarischen Kunstaustausch teilgenommen hat, kennt sie das Land an der äußeren Grenze Europas. Sie war 20, als sie für ein halbes Jahr nach Sofia ging, um als Europäische Freiwillige in dem Kunstverein „Art in Action“ zu arbeiten. Während dieser Zeit fing sie an, Leute aus „ihrer“ Generation zu besuchen. Sie stellte ihnen Fragen und hörte ihren Geschichten zu; sie fotografierte die Menschen und deren Wohnorte und Wohnungen gleich mit. So entstand ein Portrait einer Generation.

„Hoffnung, Freiheit, Freundschaft, Jugend“ hat sie ihre Arbeit betitelt. Die Bilder und Interviews erzählen von jungen Erwachsenen, die als Kinder oder Jugendliche den Ausbruch der Freiheit erlebt haben.

Der Sturz des Kommunismus eröffnete ihnen ungeahnte Perspektiven: Grenzen verschwanden und all die Einschränkungen fielen weg, die noch zum alltäglichen Leben der Eltern gehört hatten. Doch was großartig klingt, brachte allgemeine Orientierungslosigkeit mit sich. Denn ein plötzlich entstehender Freiraum ist erst einmal nur eines: leer.

Wenn junge Erwachsene aus Bulgarien zurückschauen, ist das Land verschwunden, in dem sie aufgewachsen sind. „Die Generation der 20 bis 30jährigen in Bulgarien ist eine des Übergangs“, sagt Luise Schröder. „Den jungen Menschen ist klar, dass sie die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen, aber es fehlt ihnen das Gefühl, auf das Treffen eigener Entscheidungen vorbereitet worden zu sein. Sie sind gleichzeitig auf der Suche nach der eigenen Identität und ihrem Platz in einer neuen Gesellschaft.“ Der Weg, den sie beschreiten, führt also in zwei Richtungen. Sie müssen zurück in die Vergangenheit gehen, um behutsam die eigenen Wurzeln freizulegen, und gleichzeitig müssen sie in die Zukunft schauen, um ihr weiteres Leben zu gestalten.

In naher Zukunft steht der EU-Beitritt Bulgariens vor der Tür und bei aller Hoffnung, die dieses Ereignis besonders bei jungen Bulgaren weckt, existiert doch auch die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. „Bulgarien als die Heimat, mit der man sich identifiziert“, so heißt es in einem Interview, „ist unwiederbringlich verschwunden.“ Nicht aber die Sehnsucht, einen Ort zu finden, der Heimat ausmacht. Diese Sehnsucht, eine Identität zu finden, trifft auf die Sehnsucht, zu reisen. Dabei steht nicht allein die Hoffnung im Vordergrund, im Ausland bessere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten. Reisen bedeutet für junge Bulgaren auch, im Austausch mit anderen sich selbst zu finden.

Luise Schröders Fotografien wurden 2004 mit dem Deutschen Jugendfotopreis ausgezeichnet. Die Ausstellung ihrer Bilder in Berlin und Sofia, die Luise Schröder 2005 mit Hilfe der Future Capital-Förderung und der Konrad-Adenauer-Stiftung Sofia organisiert hat, rief in der bulgarischen Öffentlichkeit außerordentliches Interesse hervor. „Wer sich die Mühe macht, sich mit den Leuten und ihren Problemen wirklich zu befassen, dem öffnen sich in Bulgarien schnell alle Türen“, sagt Luise Schröder. Radio, Fernsehen und Printmedien berichteten ausführlich über ihr Projekt, das einen ausländischen Blick auf eine Generation wirft, die sich im Ausland bisweilen vorkommt, als käme sie „vom Arsch der Welt“. (Andreas Klünter)

--------------

Schröder, Luise: Hoffnung, Freiheit, Freundschaft, Jugend. Fotoband zur gleichnamigen Ausstellung, Sofia 2005.

Schröder, Luise: Hoffnung, Freiheit, Freundschaft, Jugend. Interviewband zur gleichnamigen Ausstellung, Sofia 2005.

Bestellen kann man die beiden Teile des Kataloges für zusammen 15 Euro zzgl. Versandkosten unter: luise.schroeder@gmx.net oder beim Buchladen Sputnik, Charlottenstr.28, 14467 Potsdam, Tel.:0331/6203758, sputnik@potsdam.de.

--------------

Link:

http://www.hgb-leipzig.de/~lutzi/

Kommentare

    Bislang gibt es zu diesem Beitrag noch keine Kommentare.

    Kommentar hinzufügen

    Wenn Sie sich einloggen, können Sie einen Kommentar verfassen.