22.09.2022

comeback 2022: Von Stereotypen, Horizonterweiterungen und der eigenen Rolle als Freiwillige*r

Teilnehmende des comeback 2022Teilnehmende des comeback 2022Beim comeback tauschen sich jedes Jahr junge Menschen nach der Rückkehr aus ihrem Freiwilligendienst im Europäischen Solidaritätskorps (ESK) aus – in diesem Jahr erstmals auch solche, die ein Solidaritätsprojekt in Deutschland gemacht haben. Auch 2022 kamen viele junge Menschen virtuell zusammen, um sich über die Erfahrungen in ihren Projekten und die Möglichkeiten, sich auch weiter für Europa zu engagieren, auszutauschen.

Über 200 winkende Hände in Zoom-Kacheln eröffnen das comeback 2022 am vergangenen Freitag: Das Engagement-Event im Europäischen Solidaritätskorps (ESK) für ehemalige ESK-Teilnehmende aus Deutschland am 16. und 17. September 2022 fand – pandemiebedingt – auch in diesem Jahr wieder virtuell statt. Junge Menschen, die ihren Einsatz zwischen September 2021 und September 2022 beendet haben, blickten gemeinsam zurück auf ihr Engagement im Dienst Europas – ob als Lang- oder Kurzzeitfreiwilligendienst im Ausland oder in Solidaritätsprojekten in Deutschland.

Wie lange warst du weg? Seit wann bist du zurück und welche neue Eigenschaft hast du nach deinem Einsatz an dir entdeckt? Im Umfragetool Mentimeter ploppen auf diese Fragen dutzende Begriffe in einer Wortwolke auf. „

Selbstbewusstsein“, „Spontanität“, „Flexibilität“, „Offenheit“, aber auch „Durchhaltevermögen“ und „Mut“ steht dort. Die Begriffe kündigen an, um welche (Grenz)-Erfahrungen sich die kommenden Stunden drehen werden. Nach der Eröffnung im virtuellen Plenum durch die Moderatorin und europäische EuroPeer-Koordinatorin, Marie Heimburg, ging es an die Reflektion der eigenen Zeit im In- und Ausland.

„Ich wollte in ein Land gehen, von dem ich nicht viel mitbekommen hatte, was eine Art blinder Fleck für mich war“, berichtet Wendla Schaper, die für ein Jahr in einer LGBTIQ+-Organisation in Slowenien mitarbeitete. „Ein besonderer Moment für mich war, als ich in einem kleinen Dorf bei einer Pride-Parade teilnahm und gemerkt habe, was für ein hoch politisches Event das dort ist“, erzählt sie. Da sei ihr klar geworden, dass die Realität der Hauptstadt Ljubljana eben nicht die des ganzen Landes repräsentiere.

Spaziergang durch die Zeit im Ausland

In der Länder-Gruppe „Israel, Estland und Lettland“ reflektierten die Jugendlichen ihre Auslandserfahrung während eines Audio-Spaziergangs, bei dem sie Gegenstände sammelten, die in Verbindung mit den Eindrücken, Gefühlen und gesellschaftlichen Herausforderungen während und nach dem Freiwilligendienst stehen. Pia Glinka, die acht Monate in Tallinn in einer Grundschule mithalf, nennt einen Kopfkissenbezug, den sie aus der Heimat mitnahm und hält eine kleine Engelsfigur in ihre Kamera. Sie stehe für sie für die Begleitung durch Menschen, die ihr auch in der Ferne nah waren und Halt gaben, erzählt sie.

Florian Nunier, der in Estland in einer Kita und Grundschule seinen Dienst absolvierte, hat sich auf dem Spaziergang eine Haselnuss samt Schale ausgesucht: Während die Hülle das Zuhause darstelle, stehe die einzelne Nuss für den Freiwilligen, der im Gastland auf sich allein gestellt ist und erstmal eine Zeit brauche, um sich einzuleben, erzählt er. Insbesondere die Wohn-Situation und der lange Winter seien für ihn persönlich herausfordernd gewesen.

Zwischen Offenheit und Stereotypen

Mit „leeren Händen“ kam Dortje Witt aus Leipzig vom Spaziergang zurück: „Ich habe hier keinen Gegenstand gefunden, weil ich nach einer Muschel gesucht habe. Die steht für mich symbolisch für meine Zeit in Tallinn“, erzählt sie. Als Ausgleich zu ihrer Arbeit mit Kindern in Kita und Krippe sei sie oft an den Strand gegangen. Irritiert hat sie bei ihrer Arbeit anfangs das Denken in Geschlechtern, berichtet sie: „Für die Mädchen gab es rosa Puppen, für die Jungen war alles in Blau. Als ich das angesprochen habe, war das für niemanden seltsam“, erinnert sie sich.

Immer wieder ging es in der Reflexionsphase um Stereotype, Horizonterweiterungen und die eigene Rolle während des Einsatzes. Eine beeindruckende Erfahrung war für Florian Nunier die Solidarität in Estland kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Februar 2022: „Man hat sehr schnell gemerkt, wie stark die Esten an der Seite der Ukraine standen und das auch öffentlich zeigten“, sagt er. Selina Wagner, die ein Jahr in Jerusalem in einem Frauenhaus mit Kindergarten mitarbeitete, berichtet, dass es sie erstaunt habe, wie viel Begeisterung für Deutschland sowohl bei den Israelis, als auch bei den Palästinensern vorhanden sei – in Deutschland sei sie hingegen mit vielen kritischen Meinungen zu Israel konfrontiert worden.

Engagement in Deutschland

Während einige Teilnehmende schon vor ein paar Monaten nach Deutschland zurückgekehrt sind, kommen andere gerade erst wieder in der alten-neuen Realität der Heimat an. Ist das Engagement für Europa nun vorbei? Wie kann ich das mit Studium und Job vereinbaren? Davon berichteten zwölf EuroPeers in Regionalgruppen für alle Bundesländer.

EuroPeers gehen unter anderem in Schulen, Jugendclubs oder Fußgängerzonen, um Jugendliche über das Erasmus+-Programm, das ESK und andere Mobilitätsprogramme zu informieren. Die Berlinerin Emma berichtete ihrer Regiogruppe Berlin-Brandenburg-Mecklenburg Vorpommern von ihren Erfahrungen: „Ich habe 2020 meine Schulung zum EuroPeer gemacht. Dann kam das Studium dazwischen, sodass ich das Engagement dort eine Zeit lang habe ruhen lassen. Das ist kein Problem, man kann immer wieder einsteigen – je nachdem worauf man genau Lust hat und wofür man Zeit hat“, betont sie.

Welche Möglichkeiten es gibt, dazu gab es noch viele Fragen: Die Abschluss-Umfrage im Mentimeter zeigte, dass das, was vom ersten comeback-Tag hängen geblieben ist, „Spaß“, „neue Leute kennenlernen“ und „Motivation“ waren. Viele hätten sich trotz des dichten Programms aber noch mehr Zeit für individuelle Gespräche, Reflektionen zu den schwierigen Aspekten des ESK-Einsatzes und Details zu den Engagement-Möglichkeiten gewünscht.

Unter diesem Stern steht der zweite Tag des comeback, der in diesem Jahr erstmals auch jungen Menschen offen steht, die noch keine Erfahrungen mit europäischer Mobilität gemacht haben.

Mehr zu den Wegen ins Engagement können Sie im Bericht zum Engagementtag von JUGEND für Europa lesen: www.jugendfuereuropa.de/news/11195-engagementtag-von-jugend-fuer-europa-in-deutschland-ins-engagement-kommen/

(Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa)