01.03.2021

Implementierung des Europäischen Solidaritätskorps in Deutschland. Welches Fazit lässt sich ziehen?

IKAB e.V. und CAP haben die Einführung des neuen Programms wissenschaftlich begleitet und die Ergebnisse für JUGEND für Europa als Nationale Agentur zusammengefasst.

Als der damalige EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Idee eines Europäischen Solidaritätskorps (ESK) aufbrachte, traf das neue Format bei den Akteuren der internationalen Jugendarbeit nicht automatisch auf Gegenliebe. Zu groß waren die Bedenken gegen eine neue Initiative für den Europäischen Freiwilligendienst. Gerade erst hatte sich die neue Programmgeneration Erasmus+ JUGEND IN AKTION erfolgreich etabliert. Es bestanden zahlreiche Vorbehalte gegenüber möglichen Doppelstrukturen. Auch hatte die Bezeichnung ´Korps´ einen recht militärischen Anklang.

Von anfänglicher Skepsis zu positiver Resonanz

Mittlerweile trifft das ESK jedoch auf ein grundsätzlich positives Echo in der Trägerlandschaft. Das zeigt der Schlussbericht einer internen Begleitstudie der Nationalen Agentur JUGEND für Europa zur Implementierung des ESK in Deutschland (2018-2020).

Die Zahl der neu akkreditierten Träger und aktiven Organisationen ist seit der Einführung des ESK stetig angestiegen. Über 700 ESK-Projekte wurden beantragt. Das Spektrum der Organisationen ist vielfältiger geworden. Dies geht mit einer größeren Diversität der Themen und Projekte sowie einer zunehmenden Auseinandersetzung und Identifizierung mit den Zielen des ESK einher. Die Antrags- und Projektqualität hat sich in der Implementierungsphase sichtbar positiv entwickelt.

Die Informationsstrategie der Nationalen Agentur geht auf

Um das neue Standbein der europäischen Jugendpolitik publik zu machen sowie Träger und junge Menschen zur Teilnahme am ESK zu motivieren, hat JUGEND für Europa auf ein mehrgleisiges Vorgehen gesetzt. Der Schwerpunkt der Strategie zur Verbreitung des ESK lag bei der deutschlandweiten Informationstour mit eintägigen dezentralen Einführungsveranstaltungen. In Zusammenarbeit mit den Bundesländern wurden die örtlichen Strukturen aus dem Jugend-, Bildungs- und Sozialbereich in die Kooperation eingebunden.

Als weitere Maßnahme wurden die relevanten Informationen zum ESK für die unterschiedlichen Zielgruppen aufbereitet. Sehr schnell stand eine informative Webseite bereit. Neben den ausführlichen Informationen für Träger und interessierte junge Menschen sind hier Erklärvideos, Aufzeichnungen von Webinaren, Publikationen, Factsheets, ein Dokumentencenter wie auch ein übersichtlicher Foliensatz zum ESK abrufbar.

Der Programmleitfaden in deutscher und englischer Sprache gibt einen guten Überblick über die Inhalte und Ziele des ESK. Zudem wurden weiterführende Veranstaltungen zur Antragstellung und inhaltliche Workshops angeboten. Mit großem Verständnis für „work in progress“ beim Aufbau des neuen Jugendprogramms und hoher Anerkennung für die Implementierungsleistung der Nationalen Agentur fällt das Feedback aller Akteur*innen auf die vielfältigen Informationsleistungen durchweg positiv aus.

Die Begleitstudie kommt zu dem Schluss, dass die kohärente Informations-, Beratungs- und Informationsstrategie deutlich dazu beigetragen hat, dass ein breites Spektrum von zivilgesellschaftlichen Akteure*innen für das ESK angesprochen werden konnte. Neben den bisher involvierten Trägern aus dem Programm JUGEND IN AKTION zeigen sich viele weitere Strukturen der Jugendarbeit sowie bislang neue Träger der Behindertenarbeit, der Flüchtlingshilfe, der Jugendsozialarbeit, der Politischen Bildung, der Umweltbildung und des Naturschutzes interessiert. Die Zahl der neu akkreditierten Organisationen ist seit der Einführung des ESK von Antragsrunde zu Antragsrunde stetig angestiegen.

Solidaritätsprojekte: Impuls für Europa

Aus dem Monitoring der EU-Jugendprogramme wird deutlich, dass Solidarität für junge Menschen eine große Bedeutung hat. Befragt danach, welches Thema durch die Teilnahme an einem Projekt wichtiger geworden ist, stehen Solidarität und die Unterstützung Anderer für 64 % der Teilnehmenden an erster Stelle an.

Anhand der Implementierungsstudie zeigt sich, dass die neue Programmlinie der Solidaritätsprojekte im ESK zunehmend genutzt wird. Diese stellen für junge Menschen eine Möglichkeit dar, mit eigenen Ideen und in vielfältigen Formaten den Solidaritätsgedanken im lokalen Umfeld konkret umzusetzen. Solidarität drückt sich für junge Menschen in der Gestaltung einer fairen und gerechten Gesellschaft aus, in der Pluralismus, Nicht-Diskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit und Gleichheit gelten und an der sie aktiv mit ihren Projekten mitwirken möchten.

Dabei steht die Beschäftigung mit den Themenfeldern "Bürgerschaft und politische Partizipation", "Jugendarbeit" und "Europäische Identität und Werte" an erster Stelle. Die kontinuierlich steigenden Antragszahlen und die zunehmende Ausdifferenzierung des Solidaritätsverständnisses machen deutlich, dass das neue Format der Solidaritätsprojekte als positive Bereicherung des ESK-Programms aufgenommen wird.

Herausforderungen und Perspektiven

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass in äußerst kurzer Zeit die organisatorische und inhaltliche Einführung des neuen Programms mit einem qualitativen Zugewinn gelungen ist. Mittlerweise sind die `Weichenstellungen´ von der Programmphilosophie und den Inhalten des EFD im Erasmus+ JUGEND IN AKTION Programm hin zu den Zielen und inhaltlichen Schwerpunkten im ESK vollzogen.

Die Träger haben sich zunehmend konzeptionell mit dem Solidaritätsbegriff auseinandergesetzt, wobei weniger als beim EFD das individuelle Lernen im Fokus steht. Die Ziele des ESK richten sich stärker auf positive gesellschaftliche Wirkungen durch solidarisches Engagement junger Menschen im lokalen Kontext. Zunehmende Antragszahlen und eine größere Diversität bei den Themen und Projekten tragen diesem zentralen Ziel inzwischen auf vielfältige Weise Rechnung.

Die Solidaritätsprojekte stellen dabei eine qualitative Bereicherung im Portfolio der Antragsmöglichkeiten dar. In die Gesellschaft hinein zu wirken und dabei den Anspruch von Inklusion und Partizipation im Blick zu behalten, wird - insbesondere vor dem Hintergrund der Corona Pandemie - auch in der neuen Programmlaufzeit eine zentrale Herausforderung darstellen.

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung geben einen positiven Ausblick. Zu untersuchen, ob und in welcher Weise mit den Projekten nachhaltig gesellschaftliche Veränderungen bewirkt werden, bleibt Aufgabe für eine Nachfolgestudie.

Am Ende der Implementierungsphase des neuen Programms zeigen sich erste Anzeichen dafür, dass durch das ESK eine Vitalisierung des gesellschaftlichen Engagements im lokalen Kontext und des Demokratieverständnisses junger Menschen in einer europäischen Dimension beobachten lassen.

Ein Artikel von Eva Feldmann-Wojtachnia & Barbara Tham, Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Zum Hintergrund

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung für JUGEND für Europa wurde das Team "Unter der Lupe" von IKAB e.V. in Kooperation mit dem CAP unter Leitung von Dr. Hendrik Otten damit beauftragt, die Implementierung des Europäischen Solidaritätskorps in Deutschland (2018-2020) wissenschaftlich zu begleiten und die Umsetzung zu untersuchen.

Die Ergebnisse wurden der Nationalen Agentur jetzt in einer Studie vorgelegt. Dieser liegt eine umfangreiche Datenanalyse aus den Antragsrunden (2018-2020) mit den bisher eingereichten Schlussverwendungsnachweisen zugrunde, wie auch Gesprächsrunden mit den Mitarbeiter/-innen der Nationalen Agentur zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Implementierung. Darüber hinaus sind die Erkenntnisse einer umfangreichen teilnehmenden Beobachtung bei den dezentralen Informationsveranstaltungen zum ESK, dem "comeback" und der ESK-Projektwerkstatt, wie auch zahlreiche qualitative Interviews mit Trägern und Teilnehmer/-innen in die Studie eingeflossen.