01.10.2018

Transnationale Jugendinitiative: "Hallo, welche Werte sind Ihnen wichtig?"

Logo des Projekts Denkende GesellschaftMenschen miteinander ins Gespräch bringen, durch den Austausch unterschiedlicher Meinungen gesellschaftliche Brücken bauen und Wahlberechtigte dazu ermutigen, ihre Stimme zu nutzen – das sind die gemeinsamen Ziele der Vereine "Projekt Denkende Gesellschaft" aus Deutschland und "De Beweging"* aus den Niederlanden.

Im "Projekt Denkendes Europa" wollen sie Menschen motivieren, kommendes Jahr zur Europawahl zu gehen. JUGEND für Europa sprach darüber mit Elisabeth Nöfer, die beim Projekt für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

JfE: Warum ist es Deiner Meinung nach so wichtig, sich als EU-Bürgerin und EU-Bürger im kommenden Jahr 2019 an der Wahl des Europäischen Parlaments ("Europawahl") zu beteiligen?

Elisabeth Nöfer: Je mehr die Grundlagen der europäischen Einigung und der supranationalen Zusammenarbeit in Frage gestellt werden, desto wichtiger ist es, diese zu schützen. Das können wir unter anderem, indem wir zur Wahl gehen und das Europäische Parlament in seiner Arbeit legitimieren, denn die wirtschaftliche Stabilität und der Zusammenhalt der europäischen Länder sind nicht selbstverständlich.

Die Wahlbeteiligung nächstes Jahr bei der Europawahl wird aber möglicherweise wieder sehr gering sein, ähnlich wie bei der Wahl 2014. Deshalb machen wir parteipolitisch neutral auf die Wahl aufmerksam, tauschen Meinungen aus und liefern, wenn gewünscht, Informationen.

Kannst Du bitte kurz Eure Methoden beschreiben?

Wir gehen auf die Straße und an Haustüren, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Außerdem haben wir einen Stand, wo wir durch ein interaktives Spiel den Einstieg finden. Wir sprechen die Menschen meist mit dem Satz an: "Hallo, welche Werte sind Ihnen wichtig?" und kommen über diesen Bogen dann auch auf politische Themen zu sprechen.

Dabei wird den Menschen oft klar, dass ihr Alltag und die Werte, für die sie einstehen wollen, viel mit Politik zu tun haben. Wir wollen die Menschen auf diese Weise ermuntern, ihre Stimme zu nutzen und bieten uns selbst als eine Art Reflexionshilfe an.

"De Beweging" bringt bei dem Projekt die Methode der "Town Hall-Meetings" oder Podiumsdiskussionen ein, zu denen Politikerinnen und Politiker der unterschiedlichsten Parteien sowie die Menschen aus der jeweiligen Region eingeladen werden. Wir sehen das als eine großartige Möglichkeit, auch mal mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden.

Auf welche Ansichten und Probleme stoßt Ihr in den Gesprächen mit den Menschen vor Ort, vor allem, wenn es um das Thema Europa / die EU geht?

Wir stoßen auf eine gefühlte Distanz zur großen Politik in Berlin oder Brüssel und auf Frust über den mangelnden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir treffen auch auf sogenannte Protestwähler, merken dann aber in den Gesprächen manchmal, dass unter ihnen Unklarheit über die Programminhalte ihrer Parteien besteht.

Im Osten Deutschlands wird zudem die Angliederung an die BRD als ein persönlicher Bruch wahrgenommen – unter anderem, was die berufliche Laufbahn betrifft. Zu den EU-spezifischen Themen werden wir mehr sagen können, wenn wir unseren Einsatz abgeschlossen haben.

Wie begegnet Ihr solchen ablehnenden Haltungen?

Wir hören den Menschen zunächst einmal zu, was meist sehr positiv aufgenommen wird. Kommt das Gespräch auf politische Themen, versuchen wir, nachzufragen und die Fakten abzugleichen. Häufig wird deutlich, dass sich die Menschen über alternative Medien informieren, in denen andere Dinge stehen als die, die wir für richtig halten. Dann fragen wir nach, ob das so stimmen kann, ob die Quelle glaubwürdig ist, ob bestimmte Informationen vielleicht Fälschungen sind.

Wie stellt Ihr sicher, dass Ihr gerade auch mit diesen Menschen – Menschen, die eine ablehnende Haltung gegenüber "der Politik", "den Medien", "dem Establishment" hegen – ins Gespräch kommt?

Wir gehen bewusst in Regionen, Kommunen und Stadtteile mit einer geringen Wahlbeteiligung. Besonders die Haustürgespräche sind dafür geeignet, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die vielleicht weniger am öffentlichen Leben teilnehmen – aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen zum Beispiel.

Es gibt bereits eine Vielzahl von Angeboten politischer Bildung. Welche Lücken schließen Eure Methoden in dieser Landschaft?

Wir sind ohne einen Trägerverein unterwegs, ehrenamtlich, parteiunabhängig und damit interessenungebunden. Solche Angebote politischer Bildung gibt es außerhalb von Institutionen nicht so viele.

Wir sind recht einzigartig mit unserem Konzept, Menschen in Alltagssituationen anzusprechen. Und in den Gesprächen stellen wir fest, dass viele Menschen bisher weniger mit anderen Angeboten von politischer Bildung in Kontakt gekommen sind.

Im "Projekt Denkendes Europa" geht es Euch des Weiteren darum, Euch als Initiativen weiterzuentwickeln: durch Methodenaustausch, Netzwerken, Multiplikatorinnen- und Multiplikatorentrainings. Kannst Du bereits eine erste kurze Zwischenbilanz ziehen?

Wir haben uns seit Projektbeginn Anfang des Jahres intensiv mit der Methode der "Deep Democracy" auseinandergesetzt, bei der es um Depolarisierung geht. Wir haben diese Methode, angeleitet durch unsere niederländische Partnerorganisation, an einem gemeinsamen Wochenende mit niederländischen Aktiven kennengelernt, außerdem war der Leiter für zwei Vorträge auf unseren Treffen in Deutschland.

Wir haben unsere Gruppe gestärkt und sehr viele neue Mitglieder gewonnen – wir sind jetzt ca. 80 Aktive. Außerdem sind wir dabei, verstärkt an unseren dezentralen Regionalgruppen zu arbeiten, die dann eigenständiger agieren können.

Gemeinsam entwickelt Ihr ein Kampagnenkonzept für die Europawahl 2019, um so viele Menschen wie möglich zu motivieren, zur Wahl zu gehen. Kannst Du über diese Kampagne bereits etwas sagen?

Wir beschränken uns bei der Kampagne für die Europawahl 2019 auf die Niederlande und Deutschland – alles andere könnten wir finanziell nicht stemmen und auf Grund der Emissionen nicht vertreten. Wir kooperieren noch mit weiteren Organisationen im Bereich Demokratie- und EU-Förderung, deren Netzwerke und Materialien wir nutzen, um ressourcenschonend zu arbeiten und keine Parallelstrukturen entstehen zu lassen.

Was wäre für Euer Projekt ein Erfolg im Hinblick auf die Europawahl nächstes Jahr?

Für uns wäre positiv, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen, unsere Netzwerke zu vergrößern, uns dezentraler zu organisieren und unseren Gesprächspartnern fundierte Informationen weitergeben zu können. Dazu bilden wir uns selbst fort. Ich persönlich hatte diesen "Aha-Moment", als mir die Relevanz von EU-Verordnungen für meinen Alltag bewusst wurde.

Ich denke da zum Beispiel an die neue Datenschutzgrundverordnung, die ich für ein fantastisches Beispiel dafür halte, wie die EU die Verbraucherinnen und Verbraucher vor der Macht der Konzerne zu schützen vermag, trotz der teilweise berechtigen Kritik. Erkenntnisse wie diese möchte ich unbedingt weitergeben.

(Das Interview führte Babette Pohle im Auftrag von JUGEND für Europa.)

* Die ursprünglich informelle Gruppe "De Beweging" ist seit Februar 2018 eine Stifung ("Stichting voor Gesprek & Dialoog") https://svgd.nl

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Weiterführende Informationen

Link: Mehr zum "Projekt Denkende Gesellschaft" erfahren Sie hier...

Link: Das Projekt wird als Transnationale Jugendinitiative gefördert über die Leitaktion 2 des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION. Mehr dazu erfahren Sie hier...

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