27.10.2015

"Wir verhindern, dass Ergebnisse einfach verpuffen"

Das Projekt "ICYC – I City You City – I See You See" vereint sieben Projektpartner aus sieben europäischen Ländern. Es befördert mit verschiedenen künstlerischen Ansätzen die persönliche Entwicklung der Teilnehmenden, die Verbesserung der Nachbarschaftskultur oder die Lösung sozialer Probleme.
JUGEND für Europa sprach mit Mitinitiator Dragan Atanasov, Youth Worker im Jugendzentrum creACTtive in Skopje (Mazedonien), wie die hehren Ziele auf scheinbar einfachste Art und Weise erreicht werden und was sich andere Organisationen abschauen können. 

JfE: Wenn man als (Jugend-)Organisation ein internationales Austauschprojekt plant, kann man bereits daran scheitern, dass man keine Partnerorganisation im Ausland findet. Bei ICYC gibt es sieben Partner in sieben Ländern. Wie haben die sieben Projektpartner zueinander gefunden?

Dragan Atanasov: ICYC basiert auf langanhaltenden, stabilen und persönlichen Partnerschaften zwischen den einzelnen Organisationen. Jede der Organisationen war bereits mit einer oder mehreren anderen Organisationen über frühere Projekte verbunden.

Natürlich gibt es auch Organisationen, die sich vorher noch nicht kannten, z.B. Helden wider Willen e.V. aus Leipzig und creACTtive aus Skopje. Doch haben wir eine gemeinsame Partnerorganisation, die aus Belgien. Mit dieser belgischen Organisation gab es bereits ein Langzeitprojekt mit Deutschland und England, aber auch mit uns, Mazedonien.

Und so fanden die sieben Partnerorganisationen zusammen – aus Deutschland, Belgien, Island, Russland, England und Spanien.

Wie kann gewährleistet werden, dass alle Projektpartner über diesen langen Zeitraum im Projekt bleiben?

Wenn es dazu kommt, dass eine Partnerorganisation abspringt, dann passiert es, wir können das nicht verhindern. Was wir nicht wollen, ist, eine neue Partnerorganisation hinzuzuziehen, das ist nicht Idee des Projekts – die Organisationen müssen von Anfang an dabei sein.

Doch indem jede der Organisationen aktiv in das Projekt und die Planung eingebunden ist, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie einfach abspringen – in England beispielsweise wird in genau einem Jahr ein Training stattfinden und die Organisation ist bereits jetzt mit den Vorbereitungen beschäftigt.

Schließlich hat jede Organisation sehr viel Arbeit in das Projekt gesteckt, oder tut es noch. Es geht dabei um Ownership, die persönliche Beteiligung der einzelnen Teilnehmenden und Organisationen.

Das Projekt besteht aus einer komplexen Struktur von einzelnen Aktivitäten – internationalen Jugendbegegnungen, Fachkräfteaustauschen über jeweils nur wenige Tage und den EFD-Aktivitäten über jeweils zwei Monate. Was birgt diese komplexe Struktur von Aktivitäten innerhalb des Projekts für Vorteile?

Wir wollen mit der Struktur dieses Projekts verhindern, was so oft bei solchen internationalen Projekten passiert: Für beispielsweise fünf Tage, die Dauer einer Aktivität, sind die Teilnehmenden sehr interessiert, aufgeschlossen, engagiert. Doch nach der Aktivität fahren sie nach Hause und das war es dann.

Mit unserem Projekt, dem Wechsel aus Trainings, Jugendbegegnungen und Langzeit-Freiwilligendiensten von Einzelpersonen, stellen wir eine Kontinuität her. Wir verhindern, dass Ergebnisse einfach verpuffen, denn die Teilnehmenden haben sehr bald schon wieder die Möglichkeit, diese Ergebnisse bei einer anderen Aktivität anzuwenden und so gehen diese nicht verloren.

Durch eine personelle Kontinuität und die Abfolge mehrerer Aktivitäten aufeinander wird also eine Art Follow-Up sichergestellt. Wir finden, dass das den Lerneffekt nachhaltig stärkt. Die Teilnehmenden haben stets Ansprechpartner, an die sie sich wenden können, die ihre persönliche Entwicklung begleiten und so läuft die Entwicklung strukturierter, als es vielleicht bei anderen Austauschprojekten der Fall ist, wenn Einzelpersonen erst an einer Jugendbegegnung teilnehmen, dann an einem Fachkräfteaustausch zu einem anderen Thema und so weiter.

Ein bisschen provokant könnte man sagen, dass am Ende dieser zwei Zyklen im besten Fall schon so viele kompetente junge Leute nachgerückt sind, dass Ihr, die jetzigen Projektkoordinatoren, das Projekt nicht weiter organisieren braucht, da das dann andere machen, oder?

Das, was nach den zwei Jahren kommen soll, ist auch weniger ein Follow-Up als vielmehr eine Weiterentwicklung des Projekts. Wir wollen daraus eine Strategische Partnerschaft unter Leitaktion 2 machen, die es uns erlaubt, mit den Nachwuchs-Youthworkern in einer noch strukturierteren Art und Weise zu arbeiten, Tools zu entwickeln, die ihnen ermöglichen, noch besser zu lernen (z.B. eine Online-Plattform), ihre Kompetenzen zu entwickeln, den Lernprozess zu begleiten.

Im Moment haben wir keine Möglichkeit, zu analysieren, wie die Langzeitwirkungen auf die Teilnehmenden, die Organisationen und die Kommunen sind. Die oben genannten Tools könnten helfen, den Prozess noch mehr zu analysieren – nicht nur in Bezug auf die internationale Arbeit, sondern auch in Hinblick auf die Entwicklungen auf lokaler Ebene, wenn beispielsweise Schulen miteinbezogen werden oder die Anerkennung durch den formalen Bildungssektor vorangetrieben wird.

In Mazedonien habt Ihr Euch mit Theater beschäftigt, in Belgien steht Animationsfilm im Fokus, hier in Deutschland geht es u.a. um Actionbound, ein digitales Stadttouren-Tool – alles in allem also mit verschiedenen Kunstformen. Welche Rolle spielen die Kunst und künstlerische Herangehensweisen für das Projekt – sind sie mehr als nur Thema?

Die meisten unserer Organisationen nutzen Kunst und künstlerische Herangehensweisen als Methode für ihre soziale Arbeit. Die Kunst ist also auch beim Projekt ICYC weniger das Thema als vielmehr die Methode.

Für uns, die mazedonische Organisation, geht es immer um die persönliche Entwicklung junger Menschen. Für die deutsche Organisation ist das Hauptanliegen die Entwicklung von Anknüpfungspunkten an die lokale Nachbarschaft und deren Weiterentwicklung. Es gibt also verschiedene Ziele von Organisation zu Organisation.

Was wir aber gemeinsam haben, ist die Nutzung künstlerischer Methoden, anstelle von Seminaren oder Diskussionsrunden oder Ähnlichem. Bei der Projektentwicklung hatten wir uns überlegt, dass jede Organisation ihr Know-How des speziellen künstlerischen Feldes zur Verfügung stellt, mit dem sie tagtäglich arbeitet, das über Jahre entwickelt und erprobt wurde.

Die deutsche Organisation hat mehr Erfahrung auf dem Gebiet des Actionbound oder der künstlerischen Interventionen im Stadtraum, mit nachbarschaftlichen Veranstaltungen oder mit den Künstlerresidenzen. Die Organisation aus Belgien kennt sich besonders gut mit Animationsfilm aus. Wir in Mazedonien haben uns auf Theater spezialisiert. Indem wir uns die verschiedenen Ansätze gegenseitig beibringen, weiten die einzelnen Organisationen ihren Blick und können bisher ungenutzte künstlerische Methoden dann vielleicht selbst in der einen oder anderen Weise nutzen.

Die Projektbeschreibung sieht vor, dass bei ICYC etwa 30 Prozent der Teilnehmenden Menschen mit geringeren Chancen sind. Für viele Organisationen und Projekte ist es schwer, Kontakt zu dieser Zielgruppe herzustellen und sie für die Projekte zu begeistern. Wie schafft es ICYC, einen so großen Anteil der Teilnehmenden aus der Zielgruppe ins Projekt zu integrieren?

Die erste Frage ist, über welche Art von Benachteiligung wir sprechen, das kann sehr vielfältig sein. Wir sind zu dieser Zahl gekommen, weil wir über die Menschen und Zielgruppen nachgedacht haben, mit denen wir sowieso arbeiten. Darunter sind arbeitslose Jugendliche, Menschen mit LGBT-Hintergrund, Menschen, denen der soziale Kontakt zu anderen schwerfällt.

Wir in Mazedonien arbeiten mit ehemaligen Gefangenen, ehemaligen Drogenabhängigen, jugendlichen Langzeitarbeitslosen, Schulverweigerern. Es geht nicht darum, einfach Jugendliche mit Benachteiligungen anzusprechen und sie am Projekt zu beteiligen, wenn sie eigentlich nicht zur Zielgruppe unserer Organisationen gehören. Vor allem bei den Jugendbegegnungen wird ein Großteil der Teilnehmenden aus dieser Zielgruppe kommen.

Wie kann man diese Zielgruppe auch über einen längeren Zeitraum beim Projekt halten und eventuell dahin kommen, dass diese Teilnehmenden später selbst eine internationale Jugendbegegnung organisieren?

Wir arbeite als Organisation ja sowieso über einen längeren Zeitraum mit diesen Jugendlichen. Eine unserer Teilnehmerinnen aus unserer Organisation kennen wir schon seit sieben Jahren und sie ist seither dabei. Man muss aber Geduld haben, wenn man Erfolge sehen will. Die persönliche Entwicklung der Jugendlichen dauert mitunter Jahre.

Wenn man dann starke Partnerorganisationen im Ausland hat, die diese Idee auch unterstützen, solche Jugendlichen zum Beispiel für einen Europäischen Freiwilligendienst aufnehmen, dann hat das viele Vorteile – für die Organisation, aber vor allem für die Jugendlichen.

(Das Interview führte Babette Pohle für JUGEND für Europa)

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